Von Stefan Sasse
Die Schuldenkrisen, die wir derzeit in den USA und in Europa erleben, sind - darin sind sich die Beobachter überraschend einig - zu einem guten Teil künstlich produziert. Tatsächlich scheint das grundlegende Problem zu sein, dass nicht genügend Geld vorhanden ist, um die Schulden in dem Ausmaß zu bedienen, wie es die Schuldtitel vorsehen, und gleichzeitig noch ein wenigstens stagnierendes Wirtschaftswachstum aufrecht zu erhalten. Hier enden die Gemeinsamkeiten jedoch. Der Grundtenor der gesamten Debatte unterliegt einer Schieflage, weil nur eine Seite des Problems beleuchtet und die andere komplett ausgeblendet wird. Die Dominanz der ausgeleuchteten Seite - der staatlichen Ausgaben - und die Ausblendung der anderen Seite - die Einnahmen - sind Produkt einer hervorragenden Pressearbeit seitens derer, die entweder von liebgewonnen Ansichten nicht lassen wollen oder aber davon profitieren.
Dass die Finanzmärkte nicht die effizienten, neutralen und gnadenlos objektiven Instanzen sind, als die sie 20 Jahre lang in den Himmel gelobt wurden, hat sich inzwischen selbst in den größten Betonköpfen der neoliberalen Reformära herumgesprochen. Hartnäckig hält sich jedoch die Ansicht, dass der einzig gute Staat ein Staat ist, der nach Möglichkeit wenig Handlungsspielraum durch restriktive fiskalische Schranken besitzt und seine Aufgabe hauptsächlich in einer größtmöglichen Annäherung an das Ideal des Nachtwächterstaats sieht. Betrachtet man die Reaktionen des derzeit völlig aus der Bahn schlagenden britischen Staatsapparats, würde man sich bisweilen ein bisschen mehr Zurückhaltung wünschen. Jedoch wird die Beschneidung staatlicher Ausgaben alleine keinen Erfolg mit sich bringen, schon gar nicht in einer laufenden Rezession, die derzeit an Fahrt aufnimmt.
Dieses noch immer weit verbreitete Bild ist fatal. Es tut so, als ob die derzeitige Einnahmenlage des Staates das absolut gerade noch erträgliche Maximum darstellt. Radikale wie die FDP oder die Tea Party halluzinieren sogar immer noch über Steuersenkungsspielräume bei gleichzeitiger Haushaltsausgleichung. Dabei ist das Problem der meisten Staaten nach über 20 Jahren neoliberaler Reformpolitik sicher kein aufgeblähter Wohlfahrtssektor. Die Größe, die dieser derzeit einnimmt, ist zu einem guten Teil Produkt der schlechten wirtschaftlichen Lage - und an der ist die Idee vom zurückhaltenden Staat zu einem guten Teil mit Schuld. Es ist richtig, dass die Staaten derzeit praktisch alle mehr ausgeben als einnehmen und dass sie unter einer beträchtlichen Schuldenlast ächzen. Das Ressentiment, dass dies auf eine laxe Finanzmoral zurückzuführen sei, ist aber mehr als frech.
Vor 2009 hatte Deutschland einen Schuldenstand von knapp über 60% des BIP - nichts, das irgendwie weltbewegend wäre. Seit der Bankenrettung beträgt diese Zahl über 80%, mit dem Potential für eine rasante Steigerung sollten die Bürgschaften für etwa Griechenland irgendwann fällig werden. Andere Staaten wurden durch die Finanzkrise noch viel tiefer in den Abgrund gerissen. Die Chuzpe, mit der die Akteure eben jener Finanzkrise nun die Staaten für ihre verantwortungslose Haushaltsführung schelten entspricht der eines Bankräubers, der sich über die mangelnde Sicherung der Bank beschwert, die das Geld von seinem Konto an den Räuber verloren hat. Eigentlich sollte man diesen Akteuren rechts und links eine Watsche geben; das wäre die wahrscheinlich angemessene Reaktion auf solches Geschwätz. Das ist nicht möglich. Deswegen wäre es nötig, diese Watschen endlich verbal auszuteilen und danach jene Maßnahmen zu ergreifen, die absolut notwendig sind: solche Maßnahmen, die die Einnahmesituation der Staaten verbessern.
Solche Maßnahmen können und dürfen nicht mehr Mittel- und Unterschicht betreffen. Die Steuern- und Abgabenlast für die Mittelschicht ist ohnehin grenzwertig hoch, während die Unterschicht nichts hat, von dem sie Steuern oder Abgaben zahlen könnte. Gleichzeitig sind gerade die Akteure der Finanzwirtschaft und ähnliche hohe Tiere, die von der gewaltigen Party vor dem Crash profitiert haben, immer noch hervorragend gestellt - trotz ihrer oft gewaltigen Einkommen. Warum Einkommen aus tatsächlicher Arbeit mit bis zu 45% besteuert wird, während Kapitalerträge pauschal nur 25% abgegolten werden müssen, entzieht sich aber meinem Verständnis. Warren Buffets Brandbrief in der New York Times ist keinesfalls daneben: die Reichen und besonders Superreichen zahlen lächerlich wenig Steuern und Abgaben (relativ gesehen) im Vergleich zu Menschen aus der Mittelschicht. Gleichzeitig tragen sie zum Wirtschaftswachstum wenig bei.
Es ist deswegen notwendig, dass die Staaten ihre Einnahmesituation verbessern, indem sie endlich wenigstens einen Teil des Geldes zurückholen, das die Bankenrettung gekostet hat, und zwar bei denjenigen, die gerettet wurden. Banken machen wieder Milliardengewinne; was also spricht dagegen, einen Teil dieser Gewinne mit Sondersteuern abzuschöpfen? Auch die Erbschaftssteuer, Vermögenssteuer und Kapitalertragssteuer sind tendenzielle Reservoirs für zusätzliche Einkommen, die die überwältigende Mehrheit nicht zusätzlich belasten. Die Wiedereinführung der Börsenumsatzsteuer und die Einführung einer Transaktionssteuer währen ebenfalls probate Mittel.
Um diese Einnahmeverbesserungen durchführen zu können braucht es allerdings politische Überzeugungsarbeit. Das Klima ist gerade wieder deutlich anti-staatlich und knüpft damit an das Bild der Staatsgewalt der neoliberalen Reformära an. Dass einzig und alleine Staaten zwischen 2007 und 2010 den Zusammenbruch der Weltwirtschaft verhinderten, spielt inzwischen keine Rolle mehr. Glaskugelbeschwörern wie S&P, deren AAA-Ratings für Schrottanleihen überhaupt die Blase erst ermöglichten, wird größere Kompetenz eingeräumt als der staatlichen Wirtschaftspolitik. Es ist dringend notwendig, dass die Politik in die Offensive geht und die Missstände auf dem Finanzsektor, die sich grundlegend seit 2007 kaum gebessert haben, offen benennt und dagegen vorgeht. Politiker aller Parteien sollten die Frage stellen, ob wir unser Schicksal lieber in die Hände gewählter Vertreter legen oder ob wir das Parlament abschaffen und einfach einen Aufsichtsrat Deutschland bilden, der paritätisch aus Großbanken und -konzernen besetzt wird. Das wäre dann ehrlicher. Wenn die Politik nicht regieren möchte, wenn sie glaubt, andere könnten das besser, dann sollte sie abtreten. Andererseits müssen endlich die Hände aus den Taschen genommen werden. Es gibt viel zu tun, und die Staaten sind lange nicht so machtlos wie sich selbst herbeireden.
Die Schuldenkrisen, die wir derzeit in den USA und in Europa erleben, sind - darin sind sich die Beobachter überraschend einig - zu einem guten Teil künstlich produziert. Tatsächlich scheint das grundlegende Problem zu sein, dass nicht genügend Geld vorhanden ist, um die Schulden in dem Ausmaß zu bedienen, wie es die Schuldtitel vorsehen, und gleichzeitig noch ein wenigstens stagnierendes Wirtschaftswachstum aufrecht zu erhalten. Hier enden die Gemeinsamkeiten jedoch. Der Grundtenor der gesamten Debatte unterliegt einer Schieflage, weil nur eine Seite des Problems beleuchtet und die andere komplett ausgeblendet wird. Die Dominanz der ausgeleuchteten Seite - der staatlichen Ausgaben - und die Ausblendung der anderen Seite - die Einnahmen - sind Produkt einer hervorragenden Pressearbeit seitens derer, die entweder von liebgewonnen Ansichten nicht lassen wollen oder aber davon profitieren.
Dass die Finanzmärkte nicht die effizienten, neutralen und gnadenlos objektiven Instanzen sind, als die sie 20 Jahre lang in den Himmel gelobt wurden, hat sich inzwischen selbst in den größten Betonköpfen der neoliberalen Reformära herumgesprochen. Hartnäckig hält sich jedoch die Ansicht, dass der einzig gute Staat ein Staat ist, der nach Möglichkeit wenig Handlungsspielraum durch restriktive fiskalische Schranken besitzt und seine Aufgabe hauptsächlich in einer größtmöglichen Annäherung an das Ideal des Nachtwächterstaats sieht. Betrachtet man die Reaktionen des derzeit völlig aus der Bahn schlagenden britischen Staatsapparats, würde man sich bisweilen ein bisschen mehr Zurückhaltung wünschen. Jedoch wird die Beschneidung staatlicher Ausgaben alleine keinen Erfolg mit sich bringen, schon gar nicht in einer laufenden Rezession, die derzeit an Fahrt aufnimmt.
Dieses noch immer weit verbreitete Bild ist fatal. Es tut so, als ob die derzeitige Einnahmenlage des Staates das absolut gerade noch erträgliche Maximum darstellt. Radikale wie die FDP oder die Tea Party halluzinieren sogar immer noch über Steuersenkungsspielräume bei gleichzeitiger Haushaltsausgleichung. Dabei ist das Problem der meisten Staaten nach über 20 Jahren neoliberaler Reformpolitik sicher kein aufgeblähter Wohlfahrtssektor. Die Größe, die dieser derzeit einnimmt, ist zu einem guten Teil Produkt der schlechten wirtschaftlichen Lage - und an der ist die Idee vom zurückhaltenden Staat zu einem guten Teil mit Schuld. Es ist richtig, dass die Staaten derzeit praktisch alle mehr ausgeben als einnehmen und dass sie unter einer beträchtlichen Schuldenlast ächzen. Das Ressentiment, dass dies auf eine laxe Finanzmoral zurückzuführen sei, ist aber mehr als frech.
Vor 2009 hatte Deutschland einen Schuldenstand von knapp über 60% des BIP - nichts, das irgendwie weltbewegend wäre. Seit der Bankenrettung beträgt diese Zahl über 80%, mit dem Potential für eine rasante Steigerung sollten die Bürgschaften für etwa Griechenland irgendwann fällig werden. Andere Staaten wurden durch die Finanzkrise noch viel tiefer in den Abgrund gerissen. Die Chuzpe, mit der die Akteure eben jener Finanzkrise nun die Staaten für ihre verantwortungslose Haushaltsführung schelten entspricht der eines Bankräubers, der sich über die mangelnde Sicherung der Bank beschwert, die das Geld von seinem Konto an den Räuber verloren hat. Eigentlich sollte man diesen Akteuren rechts und links eine Watsche geben; das wäre die wahrscheinlich angemessene Reaktion auf solches Geschwätz. Das ist nicht möglich. Deswegen wäre es nötig, diese Watschen endlich verbal auszuteilen und danach jene Maßnahmen zu ergreifen, die absolut notwendig sind: solche Maßnahmen, die die Einnahmesituation der Staaten verbessern.
Solche Maßnahmen können und dürfen nicht mehr Mittel- und Unterschicht betreffen. Die Steuern- und Abgabenlast für die Mittelschicht ist ohnehin grenzwertig hoch, während die Unterschicht nichts hat, von dem sie Steuern oder Abgaben zahlen könnte. Gleichzeitig sind gerade die Akteure der Finanzwirtschaft und ähnliche hohe Tiere, die von der gewaltigen Party vor dem Crash profitiert haben, immer noch hervorragend gestellt - trotz ihrer oft gewaltigen Einkommen. Warum Einkommen aus tatsächlicher Arbeit mit bis zu 45% besteuert wird, während Kapitalerträge pauschal nur 25% abgegolten werden müssen, entzieht sich aber meinem Verständnis. Warren Buffets Brandbrief in der New York Times ist keinesfalls daneben: die Reichen und besonders Superreichen zahlen lächerlich wenig Steuern und Abgaben (relativ gesehen) im Vergleich zu Menschen aus der Mittelschicht. Gleichzeitig tragen sie zum Wirtschaftswachstum wenig bei.
Es ist deswegen notwendig, dass die Staaten ihre Einnahmesituation verbessern, indem sie endlich wenigstens einen Teil des Geldes zurückholen, das die Bankenrettung gekostet hat, und zwar bei denjenigen, die gerettet wurden. Banken machen wieder Milliardengewinne; was also spricht dagegen, einen Teil dieser Gewinne mit Sondersteuern abzuschöpfen? Auch die Erbschaftssteuer, Vermögenssteuer und Kapitalertragssteuer sind tendenzielle Reservoirs für zusätzliche Einkommen, die die überwältigende Mehrheit nicht zusätzlich belasten. Die Wiedereinführung der Börsenumsatzsteuer und die Einführung einer Transaktionssteuer währen ebenfalls probate Mittel.
Um diese Einnahmeverbesserungen durchführen zu können braucht es allerdings politische Überzeugungsarbeit. Das Klima ist gerade wieder deutlich anti-staatlich und knüpft damit an das Bild der Staatsgewalt der neoliberalen Reformära an. Dass einzig und alleine Staaten zwischen 2007 und 2010 den Zusammenbruch der Weltwirtschaft verhinderten, spielt inzwischen keine Rolle mehr. Glaskugelbeschwörern wie S&P, deren AAA-Ratings für Schrottanleihen überhaupt die Blase erst ermöglichten, wird größere Kompetenz eingeräumt als der staatlichen Wirtschaftspolitik. Es ist dringend notwendig, dass die Politik in die Offensive geht und die Missstände auf dem Finanzsektor, die sich grundlegend seit 2007 kaum gebessert haben, offen benennt und dagegen vorgeht. Politiker aller Parteien sollten die Frage stellen, ob wir unser Schicksal lieber in die Hände gewählter Vertreter legen oder ob wir das Parlament abschaffen und einfach einen Aufsichtsrat Deutschland bilden, der paritätisch aus Großbanken und -konzernen besetzt wird. Das wäre dann ehrlicher. Wenn die Politik nicht regieren möchte, wenn sie glaubt, andere könnten das besser, dann sollte sie abtreten. Andererseits müssen endlich die Hände aus den Taschen genommen werden. Es gibt viel zu tun, und die Staaten sind lange nicht so machtlos wie sich selbst herbeireden.