Freiheitsliebe: Hallo Janine Wissler du bist eine von vier Politiker/innen die angeklagt wurden, weil sie im Februar vergangenen Jahres eine Großdemonstration von Nazis blockiert haben, zusammen mit mehreren Tausend Menschen. Wie kam es zu deiner Teilnahme an der Gegendemo und an der Blockade?
Janine Wissler: Ich nehme seit meiner Schulzeit an Demonstrationen gegen Nazis, Rassismus und Rechtsextreme teil. In Dresden findet alljährlich anlässlich des Jahrestages der Bombardierung Dresdens einer der größten Nazi-Aufmärsche Europas statt. Um den Aufmarsch zu verhindern sollte es eine möglichst breite und entschlossene Veranstaltung mit Teilnehmern aus unterschiedlichen politischen Spektren geben, die gemeinsam auftreten und sich den Nazis so in den Weg stellen, dass sie tatsächlich daran gehindert werden zu marschieren. Wir haben dann als Landtagsfraktion mit LINKEN Fraktionen in anderen Parlamenten besprochen, dass wir Fraktionssitzungen unter offenem Himmel auf der Route der Nazis anmelden. So kam es, dass wir sehr nah an dem Naziaufmarsch und der Polizeikette standen.
Freiheitsliebe: Kannst du dir erklären, warum nur Politiker der Linken angeklagt wurden, obwohl Politiker/Mitglieder verschiedener Parteien teilgenommen haben?
Janine Wissler: Die Initiative zu der bundesweiten Mobilisierung wurde zu Anfang parteipolitisch nur von der LINKEN unterstützt. Später trennte die Frage, ob man sich den Nazis in den Weg stellen oder unabhängig und in weitem Abstand allein demonstrieren sollte, die LINKE und andere beteiligte Parteien. Von daher gibt es aus der Sicht der Staatsanwaltschaft einen gewissen Anlass, uns zuerst ins Visier zu nehmen. Am Tag der Blockade aber bestand diese Trennung in der Aktion so nicht mehr, und auch Politiker von Grünen und SPD beteiligten sich sichtbar an der Blockade. Ich finde es grundsätzlich absurd, dass Menschen angeklagt werden, weil sie sich Nazis in den Weg stellen, die nach dem Vorbild der NSDAP in Uniformen, zu Marschmusik und mit eindeutigen Symbolen durch eine Stadt paradieren. Viel Leid wäre uns erspart geblieben, wenn es in den 20er und 30er Jahren eine wirkungsvollere antifaschistische Bewegung gegeben hätte. Die Nazis sehen es als Teil ihrer politischen Strategie, die Hoheit über die Straße zu erobern und ihre Gegner einzuschüchtern. Gerade deshalb ist es wichtig, ihnen das nie durchgehen zu lassen. Dass nun ausschließlich Politiker der LINKEN strafrechtlich belangt werden, kann ich mir nur mit der allgemeinen Kampagne erklären, die gegen unsere neue Partei gefahren wird. Dazu gehört, die LINKE zu kriminalisieren. Dass die Justiz sich dieser Kampagne anschließt und zum Beispiel die Selbstanzeige des Grünen Politikers ignoriert, während sie in unseren Fällen auf eine Aufhebung unserer Immunität als Abgeordneten pocht, halten wir für skandalös.
Freiheitsliebe: Hast du von Politikern oder Mitgliedern anderer Parteien Unterstützung erhalten, oder unterstützen diese sogar die Anklage?
Janine Wissler: Die Anklage wird von der Staatsanwaltschaft Dresden vorgetragen. Die anderen Parteien halten sich aber damit zurück, die Anklage und die Forderungen nach Aufhebung unserer Immunität zu kritisieren. In Thüringen hat die SPD der Aufhebung der Immunität im Fall von Bodo Ramelow zugestimmt. Wie sich die anderen Parteien in Hessen verhalten, werden wir Anfang Februar erleben.
Freiheitsliebe: Auch in diesem Jahr findet eine Nazidemo in Dresden statt. Werdet ihr wieder dahin mobilisieren?
Janine Wissler: Dasselbe Bündnis wie im vorigen Jahr arbeitet auch diesmal an der Mobilisierung. Wir werden als LINKE aus Hessen mehrere Busse nach Dresden organisieren und als Fraktion wieder in erster Front vertreten sein. Nach der guten Erfahrung im letzten Jahr, glaube ich, stehen unsere Chancen gut, wieder ausreichend Menschen nach Dresden zu mobilisieren. Was dann konkret vor Ort passieren wird, werden wir sehen.
Freiheitsliebe: In diesem Jahr finden einige Landtagswahlen statt. Denkst du, es könnte einer rechtsextremen Partei gelingen, in den Landtag einzuziehen?
Janine Wissler: Unsicherheit, Unzufriedenheit und Wut auf die Regierenden sind in der Bevölkerung weit verbreitet. Der Aufschwung kommt nicht bei den Menschen an, die Job- und Lebensperspektiven gerade junger Menschen sind unberechenbar, und „die da oben“ setzen sich vor aller Augen über den Willen der Mehrheit hinweg, egal ob es um den Atomausstieg, den Afghanistankrieg oder die ständigen Kürzungen bei Bildung, Sozialem und Gesundheit geht. Das heißt, es gibt ein erhebliches Protestpotential, das wir im Herbst vor allem bei den Protesten gegen den Castor-Transport und in Stuttgart gesehen haben. Diese Stimmung versuchen auch die Rechten anzuzapfen und in ihre Bahnen zu lenken. Ihr Haupteinfallstor dazu ist der Rassismus, der von Sarrazin und anderen als Kritik am Islam und unseren muslimischen Mitmenschen unter die Leute gebracht wird. Ob es Rechtsextremen gelingt, über die Fünfprozenthürde zu kommen, wird vor allem davon abhängen, ob sich linke Kräfte als glaubwürdige Alternative präsentieren und die eigentlichen Probleme und Lösungen dafür benennen können. Deswegen ist Dresden auch im Hinblick auf die anstehenden Wahlen ein wichtiges Ereignis, denn die Nazis würden sich von einem Erfolg dort ermutigt fühlen, auch anderswo viel brutaler und selbstbewusster in die Öffentlichkeit zu treten.
Freiheitsliebe: Wie siehst du die Chancen der Linken bei den anstehenden Wahlen?
Janine Wissler: Die stehen von Land zu Land recht unterschiedlich. Die Themen der LINKEN sind nach wie vor brandaktuell: Hartz IV, Auslandseinsätze der Bundeswehr und eine gerechte Steuerpolitik. Bei den Landtagswahlen, bei denen es um den erstmaligen Einzug ins Parlament geht, müssen wir uns ein landespolitisches Profil erarbeiten. Bei Kommunalwahlen, bei denen die Wahlbeteiligung meist sehr gering ist, wird es vor allem darauf ankommen, wie stark wir vor Ort präsent sind und unsere Sympathisanten motivieren können, überhaupt zur Wahl zu gehen. Wir blicken mittlerweile auf ein paar Jahre gemeinsamer Kämpfe, Bündnisarbeit und Mobilisierungen zurück und haben uns vielerorts einen Namen gemacht. Jetzt wird es darauf ankommen, dass wir diese Erfahrungen und unsere eindeutigen Positionen zum Beispiel zur Schuldenbremse, in der Atomfrage oder in der Bildungspolitik in den Vordergrund stellen. In Hessen können wir unsere kommunalen Mandate verdoppeln. Und ich sehe überall realistische Chancen, dass wir in die Landtage einziehen oder unsere bestehenden Fraktionen vergrößern.
Freiheitsliebe: Was fällt dir zu folgenden Worten ein, eine kurze Beschreibung?
Bildungspolitik = In der Schule fängt die soziale Selektion an und hier werden die Grundlagen für die späteren Chancen der Menschen gelegt. Deshalb brauchen wir eine Schule für alle und kostenlose Bildung für alle unabhängig vom Einkommen der Eltern.
Afghanistan = Der NATO-Krieg dort dauert jetzt fast 10 Jahre, das Land ist zerstört, und das Leiden geht weiter. Mit den hunderten Milliarden, die für diesen Krieg um Einfluss in Zentralasien ausgegeben wurden, hätte man dort Wohlstand für alle schaffen können. Krieg und Militär schaffen nie Lösungen für politische und soziale Probleme. Dieser Krieg ist völkerrechtswidrig, mörderisch und grundfalsch.
Zusammenschluss von NPD und DVU = es ist besorgniserregend, dass die Schläger der NPD und das Geld des Herrn Frey sich jetzt zusammengetan haben. Es wird weiter entscheidend sein, linke Alternativen zu den Scheinlösungen der Nazis anzubieten und sich ihnen auf der Straße in den Weg zu stellen.
Die Linke = ist eine wichtige Kraft im Widerstand gegen die Agenda-2010-Politik und die Militarisierung der deutschen Außenpolitik.
Jürgen Irmer = http://www.youtube.com/watch?v=pc4iW7XM5lM
Freiheitsliebe: Wir danken dir für das sehr informative Gespräch und wünschen dir viel Erfolg bei den anstehenden Kommunalwahlen.
Mehr Informationen zu Janine Wissler gibt es hier.