Es gibt kein Bleiberecht oder No Future

Von Robertodelapuente @adsinistram
Ich hätte gerne wieder eine Zukunft. Nicht ich persönlich. Okay, das zwar auch. Aber darauf will ich jetzt nicht hinaus. Zukunft, das ist laut Thomas Brussig ein Machtbegriff im ehemaligen Osten gewesen. Die alten Männer aus dem Führungskader gebieteten über ihn. Immerhin. Sie hatten noch einen Begriff davon. Wir haben heute gar keinen mehr. Die Zukunft ist quasi nicht existent. Sie hat abgewirtschaftet. Was sie uns bringen kann und soll, wie wir uns unsere Gesellschaft und damit Zukunft vorstellen, ist immer weniger Gegenstand von Debatten. Früher sprach man nicht über Geld – heute ist es nicht mehr schicklich, über Zukunftspläne zu sprechen, die über den individuellen Lebensplan hinausgehen.

Es wird fürwahr viel von Arbeitsplätzen gesprochen, die künftig geschaffen werden sollen. Meist sind es gar keine richtigen, sondern nur Jobs. Aber gut. Wachstum ist ein Begriff, den wir mit Zukunft konnotieren. Es ist ja auch notwendig – keine Frage. Rentenversichern Sie sich privat, damit es ihnen in Zukunft gut geht. Zukunft ist für uns eine pekuniäre Sache. Keine ideelle. Nur warum wir das alles tun, das bleibt schleierhaft. Für was also? Für welche Art Zukunft? Es gibt keine Vision mehr. Helmut Schmidt sagte mal, dass jemand, der Visionen hat, nicht in die Politik, sondern zum Arzt gehen solle. Ein schmissiger Spruch. Damit punktet man in lustiger Runde. Ich hätte auch gelacht. Aber ich lehne ihn als Wahrheit trotzdem ab. Natürlich braucht man Vorstellungen darüber, wie es werden soll. Was man zukünftig will. Aber darüber erhalten wir eben keine Auskunft mehr. Man stückwerkt pragmatisch an der Gesellschaft herum, ohne ein Leitmotiv zu haben. Zukunft ist etwas, was in keiner Agenda steht. Nicht als langfristige Planung, als Ideal, an das politisch anzunähern man sich traut.
Nochmal zu Brussig. Er schreibt darüber, dass die alten Herren eine Zukunft verwalteten, die ihnen ihre Altvorderen mit auf den Weg gaben. Das war wenigstens noch ein Erbe. Man wollte ja eben eine Gesellschaft aufblühen lassen, die die Bitterkeit des Lebens in den Griff kriegt. Satt werden, wohnen, Arbeit haben, soziale Ausgrenzungen ausmerzen – vorwärts immer, rückwärts nimmer. Man hatte Visionen. Es sollte stetig bergauf gehen. Von Plan zu Plan. Die Sowjets haben es vorgemacht. Es gab ja auch tatsächlich eine Periode, in der sie wirtschaftlich wuchsen und prosperierten und in der es so aussah, als könne die Zukunft ein »rotes Zeitalter« werden. Problem war ja bei beiden, bei Ostdeutschland und Sowjetrussland nur, dass dieses Vorhaben irgendwann die Dynamik verlor, einfror und verwaltet wurde wie sterbliche Überreste im Kühlraum eines Klinikkellers. Die Aufbruchstimmung wurde von Greisen delegiert. Und dann war es vorbei mit einer Zukunft, die etwas versprach. Man spulte Versprechen ab und schaukelte sich die Eier, wenn man glaubte, wieder ein Stückchen besserer Zukunft umgesetzt zu haben.

Brussig schreibt von der Verschlafenheit und vom Stillstand, weil die Zukunft vorgeplant war. Wie gesagt, wenigstens hatte man noch was davon im Kopf. Wir indes haben alle Zukunftspläne aufgegeben, leben vor uns hin, liberalisieren und deregulieren und uns juckt es nicht, ob das ein Fortschritt, Rückschritt oder Ausfallschritt ist. Man tut einfach, setzt um. Pragmatisch eben. Wir senken die Sozialstandards und ahnen, dass das in Zukunft denen teuer zu stehen kommt, die bis heute noch kein Vermögen angehäuft haben. Wir ahnen also, dass die Zukunft eine Verschlechterung bringt, keinen Fortschritt. Und das in Zeiten eines materiellen Reichtums, den der Mensch vorher nie gekannt hat. Wir nehmen es also in Kauf. Und die Politik sediert uns mit Phrasen, die so tun, als seien wir schon lange drüben in der Zukunft angelangt.
»Wir müssen aufpassen, damit wir der soziale Rechtsstaat bleiben, der wir heute sind.« Oder: »Wir müssen sicherstellen, dass wir eine offene und freundliche Gesellschaft bleiben.« Immer wieder solche Sätze; immer wieder sagen sie uns, dass wir bleiben müssen. Bleiben was wir ohnehin nicht sind. Doch das Bleiben suggeriert uns, dass wir es geschafft, das Ziel der Entwicklung genommen haben wie eine etwas zu niedrige Hürde. Ist das das Ende der Geschichte, von dem man nach dem Ende des kommunistischen Blocks gesprochen hatte? Ein Ort, der das Bleiben postuliert und nicht mehr das Weitergehen? Nein, wir bleiben immer nur, wollen immer nur so bleiben wie wir sind und nicht vorangehen. Aus solchen Sätzen liest man heraus, wie es um die Zukunft bestellt ist. Es gibt sie nicht. Nicht mehr. Denn quasi sind wir schon in ihr, weil sich Minister und Staatssekretäre gar nicht vorstellen können, dass es zukünftig vielleicht anders sein wird, soll und darf in diesem Land. Wer schon angekommen ist, der muss nicht mehr reisen.
Aber es gibt so viel zu tun, zu reformieren, zu partizipieren und aufs Neue zu regulieren. Es gibt dieses Bleiberecht nicht. Es hat keine Berechtigung, weil Menschen ein Recht auf Zukunft haben. Weil sie sie als etwas brauchen, was ihnen vor Augen steht. Sie brauchen sie nicht nur als Individuum, sondern eben auch als Subjekt in der Masse. »Verbleiben« ist die Losung einer politischen Kaste, die uns die Zukunft ausredet, sie einfach verschweigt, mit Tipp-Ex übertüncht, die also so tut, als seien wir schon futuristisch dort, um nicht mehr dorthin zu müssen. Es fahren Züge – sicherlich. Aber sie fahren ins Nirgendwo, weil wir ja schon im Irgendwo ausharren.
Man sprach früher viel von der »No Future«-Generation, die sich nun berausche, die lieber high ist, als bei Sinnen. Aber die wirkliche »No Future«-Generation sind wir. Wir wursteln so dahin, machen weiter ohne Ziel und ohne Verstand und haben gar keinen Schimmer mehr davon, wie wir es uns vorstellen. Die Macher von »Star Trek« haben Shakespeares »unentdecktes Land« uminterpretiert. Der sprach im Hamlet davon und meinte den Tod. In einem der unzähligen Kinofilme der Science-Fiction-Reihe war aber die Zukunft gemeint. Es ist heute so, als gäbe es da ein unentdecktes Land. Aber wir haben die Neugier verloren, es auch finden und entdecken zu wollen. »There is no future in England's dreaming« punkten die Sex Pistols Ende der Siebziger. Das genannte Land ist austauschbar. Die Erkenntnis nicht. Wir haben keine Zukunft, weil die Zukunft als politischer Begriff aus dem Verkehr gezogen wurde.
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