Es geht um Einschüchterung

[per Mail]

Ein Interview mit Mina Ahadi

 

Mina Ahadi und Maryam Namazie

Mina Ahadi und Maryam Namazie

von Daniel Huber

 

Viel haben der 18-jährige Ebrahim Hamidi und die 43-jährige Sakineh Aschtiani wohl nicht gemeinsam, aber sie teilen dasselbe Los: Ihnen droht der Tod am Strang. Beide schmoren derzeit in einem iranischen Gefängnis und wissen nicht, ob und wann das Todesurteil vollstreckt wird.

Mina Ahadi (l.) und die Iranerin Maryam Namazie setzen sich für die zum Tod verurteilte Sakineh Aschtiani (auf dem Plakat) ein. (Bild: AP Photo/Max Nash)

Die 1956 geborene Exil-Iranerin, die in ihrem Heimatland zum Tod verurteilt wurde, lebt seit 1996 in Deutschland, hat aber die österreichische Staatsbürgerschaft. Sie kämpft für die Rechte der Frauen, die durch islamische Gesetze und Traditionen unterdrückt werden. Hauptanliegen ihrer Arbeit als Menschen- und Frauenrechtlerin ist der Kampf gegen die noch immer in einigen Ländern praktizierte Steinigung.
Im Jahr 2001 gründete sie das «Internationale Komitee gegen Steinigung». Sie ist zudem Gründungsmitglied und Vorsitzende des «Zentralrats der
Ex-Muslime».

4000 Exekutionen
Seit der Revolution 1979 sollen laut «Spiegel Online» mehr als 4000 Männer im Iran wegen homosexueller Vergehen hingerichtet worden sein. Daniel Graf von Amnesty International Schweiz kann die Zahl nicht bestätigen, weist aber darauf hin, dass der Iran zu den Spitzenreitern gehört, was die Zahl der Hinrichtungen anbelangt. 2009 wurden beispielsweise 388 Todesurteile vollstreckt, wobei es sich um eine Mindestzahl handelt. Wie viele davon tatsächliche oder vermeintliche Homosexuelle betrafen, lässt sich nicht sagen.
Graf weist zudem darauf hin, dass die Hürden in der Schweiz für Asylbewerber, die geschlechtsspezifische Fluchtgründe angeben, sehr hoch seien, da diese Fluchtgründe im Asylgesetz nicht verankert sind.

Scharia
Die Scharia ist das unabänderliche islamische Recht, das auf dem Koran und damit auf Gottes Wort beruht. Es unterscheidet zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen und weist Frauen einen unterschiedlichen Rechtsstatus zu, der sie in der Regel benachteiligt.
Die Scharia bedroht eine Reihe von verbotenen Handlungen mit Körperstrafen («Hadd-Strafen»): Dazu zählen Alkoholgenuss, Unzucht, die falsche Bezichtigung der Unzucht, Diebstahl, Geschlechtsverkehr zwischen Männern und der Abfall vom Islam.
Für Ehebruch (Unzucht) bei volljährigen Frauen, die verheiratet sind oder waren, sieht der Koran lebenslangen Hausarrest oder einen von Gott geschaffenen «Ausweg» vor. Dieser Ausweg ist in der Rechtspraxis die Steinigung. Unzucht muss allerdings von vier männlichen Zeugen bestätigt werden, was praktisch ein Geständnis notwendig macht.

Beiden wird ein Vergehen zur Last gelegt, für das die Scharia — das islamische Recht — nur die Todesstrafe kennt (siehe Infobox). Bei Aschtiani, die zuerst gesteinigt werden sollte, ist es Ehebruch, bei Hamidi sind es homosexuelle Handlungen. Und die beiden sind keine Einzelfälle: Die Islamische Republik Iran lässt ihre Scharfrichter wüten wie kaum ein anderes Land der Welt.

Mina Ahadi, Präsidentin des «Internationalen Komitees gegen Steinigung», hat den Zorn der Mullahs am eigenen Leib erfahren: Sie wurde im Iran zum Tod verurteilt, ihr Mann wurde hingerichtet. 20 Minuten Online sprach mit der Exil-Iranerin: 

20 Minuten Online: Eine Weile sah es so aus, als ob die iranischen Justizbehörden keine Steinigungen mehr vollziehen würden. Offenbar ist das aber nicht der Fall.
Mina Ahadi: Die Steinigung ist eine extrem brutale Strafe und ihre Anwendung führt weltweit zu Protesten. Deshalb hat das Regime 2003 ein Moratorium erlassen. Aber spätestens seit den Protesten gegen die Wahlfälschung im letzten Jahr haben die Mullahs die Schraube wieder angezogen. Steinigungen dienen meines Erachtens auch der politischen Abschreckung; es geht um Einschüchterung.

Wie viele Menschen werden denn im Iran gesteinigt?
In den 30 Jahren seit der Revolution 1979 sind mindestens 109 Personen auf diese Weise umgebracht worden. Die Dunkelziffer ist aber hoch. Amnesty International hat für das Jahr 2006 sechs Fälle bestätigt; manchmal sind es pro Jahr vier oder drei. Derzeit sind es 25 Menschen, denen der Vollzug der Steinigung droht.

Trifft die Steinigung mehr Frauen als Männer?
Ja. Schätzungsweise 75 Prozent der Opfer sind Frauen. Die Steinigung wird als Strafe für Ehebruch verhängt, und da gibt es für die Männer mit der Polygamie und der Ehe auf Zeit eher Möglichkeiten, die strengen Regeln zu unterlaufen. Ausserdem besteht für Frauen, die ja rechtlich benachteiligt sind, immer die Gefahr, dass ihr Mann zur Polizei geht und sie anklagt.

Gemäss Medienberichten soll sowohl bei Aschtiani wie bei Hamidi die «Intuition des Richters» zum Schuldspruch geführt haben. Wie kann das sein, wo doch die Scharia mindestens vier männliche Augenzeugen verlangt, um eine Frau für Ehebruch zu verurteilen?
Es sind frauenfeindliche, religiöse Richter, die diese Urteile fällen. Ihnen geht es gar nicht wirklich um die Scharia, es geht in Wahrheit um die Macht.

Was passiert denn eigentlich bei einer Steinigung?
Die Öffentlichkeit wird zur Teilnahme aufgerufen. Dabei werden die verurteilten Frauen nur mit dem Vornamen genannt; so nimmt man ihnen die Identität. In der ersten Reihe stehen dann Polizisten und Revolutionswächter. Ein Mullah wirft den ersten Stein. Wer den letzten, tödlichen Stein wirft, weiss dagegen niemand — so kann man mitmachen, ohne sein Gewissen zu sehr zu belasten.

Seit der Revolution sollen im Iran mehr als 4000 Männer hingerichtet worden sein, weil sie homosexuelle Handlungen begangen hätten (siehe Infobox). Kann diese enorme Zahl stimmen?
Sie ist durchaus plausibel. Man hört immer wieder von solchen Fällen, und auch hier dürfte die Dunkelziffer hoch sein. Homosexuelle sind noch mehr unterdrückt als Frauen; man macht mit ihnen, was man will.

Gibt es denn überhaupt Verständnis für Homosexuelle in der iranischen Gesellschaft?

Bei der älteren Generation kaum, aber bei den Jungen, von denen viele westlich orientiert sind, ist Homosexualität eher akzeptiert.

Regt sich im Iran kein Protest gegen die Todesstrafe?
Doch, es gibt Widerstand. Vor zehn Jahren wurde einmal ein Mullah gesteinigt und die Frau gerettet. Und erst vor kurzem wurden zwei Männer gerettet, die gehängt werden sollten. Darum finden Steinigungen, die theoretisch öffentlich sein sollten, immer häufiger im Geheimen statt. In der Bevölkerung wächst der Widerstand gegen die Todesstrafe, auch weil es kaum noch eine Familie gibt, die nicht Angehörige auf diese Weise verloren hat. Ich habe meinen Mann verloren. Aber das Regime kann ohne dieses Repressionsmittel nicht bestehen.


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