Sich als Mutter nachmittags um fünf in die Badewanne verabschieden, mag keine so gute Idee sein. Ich dachte das jedenfalls und verschwand trotzdem in der warmen Versenkung. Die Kinder nutzten die Gunst der Stunde, assen Magenbrot (und berichteten es mir) und spielten laut und lauter.
“Seid doch weniger wild!”, schrie ich irgendwann aus der Wanne. Das war ungefähr zwei Minuten bevor es “ratsch, ratsch” machte und die perfekte Tochter anfing, herzzerreissend zu weinen.
“Er hat meine schönste Zeichnung zerrissen!” Sie stürzte ins Badezimmer, die Teile einer vorher wirklich sehr schönen Zeichnung schwenkend.
“Nur weil sie mir fast die Fische kaputt gemacht hat!”, rief er aus dem Gang.
“Stimmt gar nicht”, schrie sie und rannte in ihr Zimmer. Ihr Weinen drang locker bis ins Badezimmer.
Und jetzt? Mit dem Täter schimpfen, ihm Vorwürfe machen, mir eine sinnlose Konsequenz ausdenken, selber einen Riesenstreit mit ihm haben und danach mit dem Rest übriggebliebener Energie das Opfer trösten. So geht das doch.
Aber nicht heute. Nicht aus meiner Lage in der Badewanne.
Ich tauchte unter. Blieb eine Weile unter Wasser und liess das Denken sein.
Dann tauchte ich auf und fand es an der Zeit, mir die Haare zu waschen und danach die Badewanne zu verlassen. Ins Badetuch gewickelt ging ich in den Gang hinaus.
“Hörst du, wie traurig sie ist, weil du ihr die Zeichnung kaputt gemacht hast?”, fragte ich den perfekten Sohn.
“Ich flicke sie”, sagte er und tat dies schweigend und mit bemerkenswerter Präzision.
Ich ging zu meiner unglücklichen Tochter. “Es war meine schönste Zeichung”, weinte sie.
“Ich weiss. Ich bin auch traurig, dass sie kaputt ist.” Sie schluchzte, ich streichelte ihren Rücken und dann kam der perfekte Sohn und zeigte sein Flickwerk.
“Ja, es ist schön geflickt”, gab sie zu, um anschliessend zu schluchzen: “Aber vorher war sie schöner!”
“Aber du hast fast meine Fische kaputt gemacht!”
“Nein, ich habe nur so getan!”
“Wisst ihr was? Können wir nicht abmachen, dass ihr einander gar nichts kaputt macht, auch wenn ihr wütend seid aufeinander?”
Mein Vorschlag fand keine Resonanz, doch die Stimmung hatte sich beruhigt.
“Ich mache eine neue Zeichnung”, beschloss die perfekte Tochter.
“Ich mache auch eine”, beschloss der perfekte Sohn.
“Ich kümmere mich um die Wäsche”, beschloss ich.
Und erst in der Wäscheküche wurde mir bewusst, dass ich es soeben geschafft hatte, zwei Verhaltensmuster zu durchbrechen:
Ich hatte meine Kinder nicht in eine Täter- und eine Opferrolle gedrängt.
Ich hatte mir keine Vorwürfe gemacht, weil ich für mich geschaut statt für Ruhe gesorgt hatte.
Badewanne sei Dank!