Dieses Bild dient keinem besonderen Zweck sondern nur dazu, das Posting ein wenig aufzulockern und davon abzulenken, wie lang es eigentlich ist.
Wann immer man ein Fotografielehrbuch aufschlägt, eine Internetseite zur Fotografie aufruft, sich in irgendwelchen Fotografieforen herumtreibt: irgendwann wird man unweigerlich auf den Punkt stoßen, wie wichtig es sei, eine “Geschichte” in der seiner Fotografie zu erzählen. Es ist nahezu vollkommen egal, welches Buch man aufschlägt. Immer wieder liest man die Forderung, eine “Geschichte” zu erzählen. Ein Foto ohne “Story” ist, glaubt man den Schreiberlingen, wertlos. Ganz egal, wie gut das Foto sonst sein mag und ganz egal, welches Sujet gezeigt wird. Landschaft - erzähl’ eine Geschichte, dann wird es besser. Food-Fotografie? Erzähl’ eine Geschichte. Fashion? People? Product? Blümchenmacros? Erzähl’ eine Geschichte. Kurz: Sag mir was mit dem Foto, sonst verschwende ich meine Zeit nicht damit.
Das Verlangen nach einem “Mehr an Inhalt” setzt den enthusiastischen Fotografieaspiranten natürlich gehörig unter Druck. Es ist kaum möglich, aus dem Haus zu gehen, ohne sich tiefschürfende Gedanken darüber zu machen, was das nächste Foto erzählen soll. Ja, es kann sogar so weit gehen, daß man so sehr darüber nachdenkt, daß eine Ladehemmung entsteht. Will man den Auslöser drücken, stoppt der Zeigefinger millimeter über den Auslöseknopf und der Prozeß des Nachdenkens über das, was man eigentlich mit eben diesem Foto “erzählen” will verhindert, daß dieses Foto geschossen wird. Weil man zu dem Schluß kommt, daß man entweder nichts erzählen will, nichts zu erzählen hat oder es zu banal ist.
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Die Forderung nach dem narrativen Element in der Fotografie hat seinen Ursprung - wie könnte es auch anders sein - in der Kunst. Schauen wir auf die Kunstgeschichte, so können wir entdecken, daß die Kunst sehr eng mit dem Erzählen von Geschichten verbunden ist. Insbesondere in der christlichen Tradition, d.h. in der westlichen Welt, hängt Malerei tatsächlich sehr eng mit dem Gedanken des Erzählens zusammen. So wurden z.B. schon seit dem frühen Mittelalter Bilder dazu benutzt, den (zumeist biblischen) Text zu illustrieren. Bilder und Fresken, sogar die bunten Glasgemälde in den Kirchenfenstern dienten zumeist nicht weniger der Dekoration, als vielmehr der Illustration: sie hatten den Zweck, die kirchlichen Lehren in Bildern darzustellen, sie plastischer und lebendiger zu machen - und nein, ich werde mich hier nicht auf die Diskussion über die Funktion von Gemälden in Kirchen auslassen, das können andere machen, ich gebe hier nur eine kurze Übersicht.
Gitto di Bondone, Beweinung Christi, Capella Scrovegni, Florenz, Italien, um 1304-06, Quelle: Wikipedia
Selbst später, als die Welt langsam säkulärer wurde, hatten Bilder den Zweck der Erzählung: sie sprachen z.B. von der Macht eines Herrschers, illustrierten die antiken Sagen, die christlichen Erzählungen, sprachen von modernen Errungenschaften. Auch heute ist das noch so, der Unterschied ist nur die Verlagerung ins Innere. Es werden nicht mehr allgemeingültige Sujets dargestellt, die in einem traditionellen und allgemein bekannten Kontext eingebunden sind, sondern häufig spiegelt sich eine sehr subjektive Ansicht - was es zum Teil extrem schwierig macht, Bilder zu deuten und etwas mit ihnen anzufangen, da die abstrakten inneren Gedanken nach einer abstrakten Bildsprache schreien.
Daher auch die Verrücktheiten der modernen Kunst: sie bietet eine unendliche Freiheit von der Tradition, doch gleichzeitig bietet sie auch keinerlei Orientierungsmöglichkeiten mehr. Erlaubt ist, was gefällt und was dem einen als bedeutungsschwerer Ausdruck des Geheimnisses des Universums scheinen mag ist für den anderen nichts weiter als eine unbedeutende Schmiererei, ein Klecks auf der Leinwand.
Im Gegensatz zu den narrativen Bildern standen von jeher die Dekorationen. Dekorationen sind eben nicht mehr als das: Schmuck. Dekoration ist aus dem lateinischen “decorare” = schmücken entstanden. Es sind hübsche Bildchen, sie können Meisterwerke sein, doch sie haben nicht das gleiche inhaltliche Gewicht wie die narrativen Gemälde, soll heißen: sie werden von der Kunstgeschichte kaum behandelt und eher als Spielerei abgetan. Das Ganze ist noch komplexer, aber zur Erklärung sollte es reichen. Nehmt es hin. Aber ich schweife wieder ab, ich wollte eigentlich nur kurz klarmachen, daß der Gedanke einer “Erzählung” in unserer Bildtradition sehr tief verankert ist. Es ist also kein Wunder, daß Bilder, die eine “Story” zu erzählen haben, mehr Gewicht haben als Bilder, die bloß hübsch sind. Auch heute noch. Auch in der Fotografie.
Teil II folgt dann nach dem Urlaub...