Erwin Strittmatter und der Krieg unserer Väter

strittmatter biografie drommer 225x300 Erwin Strittmatter und der Krieg unserer Väter

Drommer: Strittmatter-Biografie (Cover eBook)

Bereits vor 12 Jahren hat Günther Drommer beim Aufbau-Verlag eine Strittmatter-Biografie vor­ge­legt: „Des Lebens Spiel“ hieß sie. Nachdem Erwin Strittmatter post­hum von meh­re­ren Feuilletons in den Ruch eines Kriegsverbrechers gebracht wurde, wehrt Drommer sich mit einer wei­te­ren Biografie dage­gen.

In „Erwin Strittmatter und der Krieg unse­rer Väter“ ver­sucht er, Strittmatter als Kind sei­ner Zeit zu begrei­fen und stellt klar, dass Vieles an Strittmatters Lebenslauf – soweit er sich noch dar­stel­len lässt – ein nor­ma­ler deut­scher Lebenslauf ist. Einer, wie ihn Millionen vor­wei­sen kön­nen, die die Jahre des „Dritten Reiches“ mit­er­leb­ten. Wer ihm unter­stellt, an Kriegsverbrechen betei­ligt gewe­sen zu sein, tut das – so Drommer – nur des­halb, weil Erwin Strittmatter als einer der weni­gen viel­ge­le­se­nen Schriftsteller der ehe­ma­li­gen DDR die­sem Land nie den Rücken gekehrt hat. 

Das klingt pole­misch und ist es auch. Es ist die Schwäche des Buches, dass Drommer die Tatsachen, die er mühe­voll her­aus­ar­bei­tet an eini­gen Stellen zu pole­misch denen um die Ohren pfef­fert, die Strittmatter angrif­fen. Als selbst in der DDR Aufgewachsener darf ich das sagen. Ich kann ver­ste­hen, dass er Angriffe gegen Strittmatter zurück­weist. Ich kann auch ver­ste­hen, dass er sich gegen die Vereinnahmung ost­el­bi­scher Biografien durch west­li­che Kritiker wen­det. Ich kann nach­voll­zie­hen, wie es sich anfühlt, gesagt zu bekom­men, wie wir in die­sem Teil Deutschlands leb­ten. Ob es not­wen­dig ist, sich dabei einer „Wie-Du-mir-so-ich-dir“-Polemik zu beflei­ßi­gen mag ich nicht beur­tei­len. Es klingt des­halb ein wenig nach Ossi-Jammerei, wenn er schreibt:

„In die­ser soge­nann­ten Diktatur, die ich jeden­falls als sol­che nicht emp­fand und nicht emp­fin­den konnte, habe ich die ers­ten fünf­zig Jahre mei­nes Lebens ver­bracht. Abgeduckt, feige, kor­rum­piert, bemit­lei­dens­wert? So soll ich es erlebt haben, jeden­falls nach dem Willen derer, die mein Leben bes­ser ken­nen wol­len als ich selbst?“

Dabei hat Drommer wirk­lich etwas zu berich­ten. Er hat sich nicht nur in die Vergangenheit Erwin Strittmatters bewegt; er hat auch das Leben sei­nes Vaters unter­sucht. Und stellt sich der – von ihm ver­tei­dig­ten – Kollektivschuld der Deutschen im zwei­ten Weltkrieg. Er lis­tet akri­bisch auf, wann Strittmatter wo im Kriegseinsatz war; er nennt Zahlen und Fakten; nennt Einsatzorte und –zei­ten. Und ver­schweigt nicht, dass die Polizeieinheit, zu der Strittmatter ein­be­ru­fen wurde, gegen Partisanen ein­ge­setzt wurde. Aber es gibt kei­ner­lei Beweis dafür, dass Erwin Strittmatter – der in der Schreibstube eige­setzt war – betei­ligt war. Es ist jedoch davon aus­zu­ge­hen, dass er ver­mut­lich von den Kriegsverbrechen infor­miert war.

So schreibt Drommer: „Obwohl fest­steht, dass Erwin Strittmatter 1940 und auch Anfang 1945 kein Antifaschist war, spricht aus sei­nen spä­te­ren Büchern genau so deut­lich ein Antifaschist zu uns wie aus denen des Mitglieds der Reiter-SA seit 1938 und Weltkriegssoldaten, des ande­ren Dichters, Franz Fühmann (»Kameraden«, »Das Gottesgericht«, »König Ödi­pus«) und aus denen zahl­rei­cher Schriftsteller in Ost und West. Alle zusam­men sind sie in ihren Büchern Zeugen eines Weges hin zur Wahrheit.“ Und stellt dem die Ehrung von ehe­ma­li­gen Wehrmachtsoffizieren (auch ehe­ma­li­gen Vorgesetzten Stittmatters!) in der Bundesrepublik Deutschland gegen­über, die sich nie mit ihrer Vergangenheit kri­tisch aus­ein­an­der­setz­ten.

„In Griechenland hat es wäh­rend des Zweiten Weltkriegs rund sech­zig, sowohl das Völkerrecht als auch das Kriegsrecht ver­let­zende Massaker und soge­nannte Sühneerschießungen gege­ben. Mehr als zwei­hun­dert Strafverfolgungsanträge zu Verletzungen des Völker- und Kriegsrechts durch die 4. SS-Polizei-Panzergrenadier-Division und ihre Mordtaten in die­sem Lande wur­den gegen Täter und befehls­ge­bende Täter gestellt. In der Bundesrepublik Deutschland hat­ten sie juris­tisch gese­hen alle­samt berech­tigte Aussichten auf Erfolg. –Nicht in einem ein­zi­gen Fall ist es zu einer Verurteilung vor einem west­deut­schen Gericht gekom­men…“ Man mag über das Rechtssystem der DDR den­ken, was man mag; aber Kriegsverbrecher wur­den rigo­ros ver­folgt und ver­ur­teilt. So auch in dem von Drommer geschil­derte Fall des ehe­ma­li­gen SS-Obersturmführers der Waffen-SS, Heinz Barth, der 1983 zu lebens­lan­ger Haft ver­ur­teilt wurde und nach der Wiedervereinigung auf freien Fuß kam. „Ihm wurde eine Rente als ‚Kriegsopfer‘ zuge­bil­ligt.“

Ich bin mir ehr­lich gesagt nicht sicher, ob diese Gegenüberstellungen: hier die DDR und der sich mit sei­ner Vergangenheit aus­ein­an­der set­zende Erwin Strittmatter – dort die (alte) Bundesrepublik mit ihrem Vertuschen und Verstecken der Aussage des Buches; die eigent­lich eine objek­tive Darstellung der Wehrmachtszeit des Dichters sein soll, dient. Ob nicht viel­mehr die Polemik den Blick (für den Leser) auf die rei­nen Tatsachen: näm­lich, dass Strittmatter keine Beteiligung an Kriegsverbrechen nach­weis­bar sind, ver­stellt.

Doch mit aller Kritik ist Schluss, wenn man liest, wie Günther Drommer sei­nen für sich selbst wahr­ge­nom­me­nen Teil der Kollektivschuld begli­chen hat.

Im grie­chi­schen Dorf Dístomo wurde am 10. Juni 1944 durch Truppen der Wehrmacht und der Polizei ein Massaker an 218 unschul­di­gen Frauen und Kindern ver­übt. „Das Bundesverfassungsgericht hat am Ende des Jahres 2008 ein immer­hin als kla­res Kriegsverbrechen klas­si­fi­zier­tes Massaker […] nicht mit einer finan­zi­el­len Entschädigungszahlung an die über­le­ben­den Angehörigen zu ver­bin­den­des Ereignis abge­tan.“ Dieses Urteil ließ Drommer keine Ruhe und er sam­melte Geld, kaufte Tiere für einen Spielzeugzoo und brachte die 135 Tiere selbst zu den Kindern von Dístomo.

Nic


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