Erwin Strittmatter – Nachrichten aus meinem Leben

BERLIN. (hpd) Kurz vor dem Erscheinen einer neuen und nicht unum­strit­te­nen Biografie von Anette Leo legt der Aufbau-Verlag den ers­ten Band der Tagebuchaufzeichnungen Erwin Strittmatters vor. Der Leser erlebt die Jahre 1954 bis 1973 aus der Sicht des meist­ge­le­se­nen Schriftstellers der DDR.

strittmatter 199x300 Erwin Strittmatter Nachrichten aus meinem LebenFür einen Leser, der nicht so ver­narrt in die Bücher Erwin Strittmatters ist, wie ich es bin, mag vor allem der erste Teil der Tagebücher nichts­sa­gend sein. Sind seine Tagebucheinträge doch eher Notizen und kaum aus­ge­ar­bei­tet. Das jedoch ändert sich im Laufe der Zeit. Aus den Skizzen und Notizen wer­den aus­for­mu­lierte Kleintexte, die an die “Dreiviertelhundert Kleingeschichten” und die “Nachtigallgeschichten” erin­nern. Hier übt Stittmatter den Stil, der seine spä­te­ren Bücher so ein­zig­ar­tig macht.

Doch nicht nur die per­sön­li­che Geschichte des Dichters wird doku­men­tiert, son­dern vor allem auch die poli­ti­sche. Strittmatter ist als ein ein­fa­cher Bauernsohn gebo­ren; seine Liebe zum Land, zu Tieren und zu den Menschen blie­ben ihm das ganze Leben lang erhal­ten. Landschaften prä­gen Menschen – auf kaum jeman­den trifft das bes­ser zu, als auf Erwin Strittmatter. Aber er war kein “Heimatdichter” – son­dern Chronist sei­nes Landes und der Menschen dar­auf.

Als über­zeug­ter Kommunist kommt Strittmatter aus dem Krieg in das zer­bombte Deutschland zurück. Er will das Gute im Menschen wie­der erwe­cken, das im Krieg Verschüttete wie­der her­vor holen. Mit Brecht insze­niert er sein ers­tes Theaterstück. Über Brecht wird er in sei­nen Büchern viel Gutes schrei­ben; in den Tagebüchern wird erst­ma­lig deut­lich, dass er sich nach­träg­lich von ihm in vie­ler­lei Hinsicht dis­tan­ziert. Das mag man­chen Strittmatter-Leser in Erstaunen ver­set­zen. Nicht erstaun­lich ist jedoch, dass und wie sich Strittmatter im Laufe der Zeit von der offi­ziö­sen Parteilinie immer mehr ent­frem­det.

In den Tagebüchern ist nach­zu­le­sen, wie Strittmatter in den poli­ti­schen und klein­ka­rier­ten Kämpfen in der jun­gen DDR ermü­det. Er ver­liert lang­sam den Glauben daran, dass er Menschen durch seine Tätigkeit als Vorstand des Schriftstellerverbandes ver­än­dern kann. Immer drän­gen­der kommt ihm die Einsicht, dass er nur als Dichter auf andere Menschen wir­ken kann. In sei­nem groß­ar­ti­gem und lei­der letz­tem Buch “Vor der Verwandlung” wird er das dann deut­lich sagen kön­nen. Hier spricht der Menschenkenner, der Beobachter dann all das aus, was er jahr­zehn­te­lang meinte, ver­schwei­gen zu müs­sen.

Die vor­lie­gen­den Tagebücher beglei­ten den Leser die Hälfte die­ses Weges vom über­zeug­ten Kommunisten zum Zweifelnden. Zu einem Dichter, der gefan­gen ist zwi­schen dem Wunsch, der Außenwelt und dem Tagesgeschehen zu ent­flie­hen und ande­rer­seits aber auch abhän­gig ist von den Reaktionen der Leser auf seine Bücher.
Bereits in den noch von ihm selbst aus­ge­wähl­ten Tagebuchaufzeichnungen “Die Lage in den Lüften” tritt die­ser Zwiespalt zutage. Doch anders als dort zei­gen die von Almut Giesecke aus einer kaum über­schau­ba­ren Menge an Tagebuchaufzeichnungen aus­ge­wähl­ten Texte auch einen zu sich selbst sehr ehr­li­chen Erwin Strittmatter. Einen, der sei­nen Jähzorn ver­flucht, einen, der seine (inzwi­schen lei­der auch ver­stor­bene) Frau und Lyrikerin Eva Strittmatter immer wie­der um Verzeihung bit­tet und ihr Dank sagt. Auf die­sen Seiten zeigt sich deut­lich, dass Strittmatter zwar ein gro­ßer Dichter war, aber eben auch ein Haustyrann, der sei­ner Frau und sei­nen Kindern nur sel­ten gerecht wurde. Er ist ehr­lich und muss sich nicht als “guter Mensch ver­kau­fen”.

Ich gehe nicht davon aus, dass die Tagebücher ein Verkaufsschlager wer­den, die oben ange­spro­chene Leo-Biografie könnte das schon eher wer­den, weil sie mit neuen Erkenntnissen auf­war­ten möchte. Die Erlebnisse Strittmatters im Krieg sind so gut wie aus­ge­spart in sei­nen Büchern und sei­nen Tagesaufzeichnungen. Und es scheint, als gäbe es etwas zu ver­ste­cken. Für den Dichter auf jeden Fall.

Und doch: In den Tagebüchern ringt er mit der Sprache, mit der Art, sich aus­zu­drü­cken. Hier ent­wi­ckelt er seine ein­zig­ar­tige Sprache. Das ist ganz sicher nicht nur für Literaturwissenschaftler span­nend anzu­se­hen, son­dern auch für die Leser, die ihm zeit­le­bens und dar­über hin­aus die Treue hiel­ten. Und es ist ein­fach ein gutes Gefühl, das Gefühl zu haben, neben dem Alten in sei­nem Haus in Schulzenhof zu sit­zen und ihm zuzu­hö­ren, wenn er seine Lebensgeschichte erzählt. Und die Geschichte eines unter­ge­gan­ge­nen Landes.

Nic

Erwin Strittmatter: Nachrichten aus mei­nem Leben: Aus den Tagebüchern 1954-1973 – Aufbau-Verlag 2012, ISBN: 978-3351033927, 24,99 Euro.

[Erstveröffentlichung: hpd]

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