Mecklenburg-Vorpommern hat gewählt! Wenn man es genau nimmt, hat nicht mal die Hälfte gewählt. Ihren Wahlzettel in Empfang genommen haben zwar 51,4 Prozent, aber knapp fünf Prozent haben ihre Stimme verungültigt - für das eigentliche Wählen fielen sie damit aus.
Erwin Sellering, der von der Springer-Presse und anderen vergeblich ob seiner Haltung zum Afghanistankrieg und seiner intelligenten Einschränkung der Unrechtsstaatsdoktrin im Vorfeld der Wahl heftig bekämpft wurde, hat sich den Mecklenburgern und Vorpommern unspektakulär als der bessere Kandidat empfohlen. Seine ruhige und offene Art auf „die Menschen“ zuzugehen, weit entfernt von Arroganz und von auch in seiner Partei grassierender Wirklichkeitsferne, kam im Nordosten unserer Republik gut an und hat ihm die Sympathie seiner Wähler und besonders wohl auch seiner Wählerinnen beschert - in einem Maße, wie er es selbst kaum vermutet haben wird. Mit der Unterschätzung des für die Medien bislang „blassen Kandidaten“ ist es seit der Wahlnacht vorbei. Es herrscht Einigkeit darüber: Dass die Landes-SPD ihr Ergebnis gegen den Trend um 5,4 Prozent verbessern konnte, hat sie Sellering zu verdanken.
Greifswald war bislang eine Hochburg der Schwarzen. Erstmals gab es nun für die SPD in Greifswald bei Landtagswahlen ein Traumergebnis: 27,5 Prozent (CDU 23,4)! Sellering holte in der Hansestadt sein Direktmandat mit 41,4 Prozent, das heißt, 14 Prozent der Stimmen kamen von Wählerinnen und Wählern, die ihre Zweitstimme anderen Parteien gaben.
Der Vollständigkeit halber: für die ansässigen Genossen war das Ergebnis der gleichzeitigen Kreistags- und Landratswahl weniger fulminant. Landratskandidat Ulf Dembski z. B. konnte mit 23,4 Prozent der Stimmen 18 Prozent weniger Greifswalder hinter sich versammeln als sein Parteichef und gerade mal ganze 36 Wähler mehr, als der abgestrafte Greifswalder Bürgerschaftspräsident Liskow (CDU), dem mit seinem Ergebnis der Wiedereinzug in den Landtag misslang.
Nach dem Triumph kommt nun für Sellering die erste, vielleicht gravierendste Bewährungsprobe. Heftig, von Interessen und Begehrlichkeiten geprägt, wird öffentlich und hinter verschlossenen Türen um die Lösung der Koalitionsfrage gerungen. Wenn man gewillt ist, den Trend der Wahl und damit den sogenannten und oft missbrauchten Wählerwillen zur Kenntnis und ernst zu nehmen, bleiben viele Möglichkeiten nicht. SPD, GRÜNE und LINKE haben in der Wählergunst zugelegt, CDU, FDP und NPD haben verloren: CDU relativ viel, FDP desaströs und NPD immerhin signifikant. Anerkanntermaßen sind die Schnittmengen mit den LINKEN größer als die mit der CDU.
Bei allen möglichen machtpolitischen Spielchen, Einfluss- und Rücksichtsnahmen, mit denen zu rechnen ist, bleibt zu hoffen, dass die Akzeptanz der parlamentarischen Demokratie bei den Bürgern durch die notwendigen Entscheidungen nicht geschwächt wird. Die Wahlergebnisse verunmöglichen diesmal das Argument, dass nur mit der einen oder anderen Partei eine stabile Regierung möglich sei!
Wäre noch anzumerken: Das allgemeine und medial verstärkte Erschrecken und Bedauern über den Wiedereinzug der NPD in den Landtag sollte sich in ein ernsthafteres Nachdenken über die Gründe wandeln. Das Problem der sukzessiven Zerstörung einer demokratischen Gesellschaft liegt nicht in ihren Rändern, sondern in ihrer Mitte – denn genau dort ist die Ohnmacht der Politik allenthalben zu beobachten. Oder, wie ich es bei Hans-Dieter Schüttim „Neuen Deutschland“ gelesen habe: „Das rettende Gegenteil von Neonazismus ist nicht Antifaschismus, sondern bleibt: eine funktionierende Demokratie.“ Aber das ist dann auch schon wieder ein eigenes Thema!