Meine erste Hausaufgabe für den Schreibkurs. Ich war so stolz. Wir sollten einen Gegenstand beschreiben, der charakteristisch ist und ich habe das, wie ich meine, sehr gut gemacht. Ich konnte es kaum erwarten, vorzutragen, was ich mir da so überlegt hatte. Oder besser gesagt, was ich gesehen habe, denn in Ausdenken oder Überlegen bin ich ja nicht so stark oder habe zumindest eine längere Zündschnur. Vielleicht war das einer der vielen Momente, in denen man hätte zugeben müssen, dass man es vorher hätte wissen sollen. Ich kam zu spät, weil ich eine Blase habe, die meinen Tagesrhythmus nicht nur kontrolliert, sondern auch diktatoriert.
Da saß ich nun. Voller Selbstzufriedenheit, unsicher und gespannt. Erstmal die Theorie, viel Theorie. Sehr viel Theorie, gefühlt. Und die Spannung wächst. Paralell dazu, sollte mir aber später erst bewusst werden, tauschten mein Körper und meine Jacke den ein oder anderen Grad aus. Von wegen atmungsaktive Lederjacken… Es wurde zum Biotop. Und ich bin wohl kein Pflänzchen, das mit hohen Temperaturen zurecht kommt. Die Spannung stieg weiter, das Vorlesen war dran. Leider wurde mit der Südkurve begonnen und es versteht sich von selbst, dass ich bei meinem Glück im Norden saß. Würde ich noch drankommen, sollte ich mich trauen? Mein Anfangsplan war es ja, wenn ich nicht am Anfang drankomme, vorlesen kann, würde ich es mir verkneifen. Denn wenn die anderen besser sind als ich? Ich weiß es ja nicht. Ich hatte in die Beschreibung einen so leicht ironischen Unterton eingebaut, der ja für mich so gar nicht typisch ist. Wäre das unterhaltsam? Oder am Thema vorbei, weil eine Wertung weit über eine Beschreibung hinausgeht? Eigentlich wollte ich ja vorher noch üben, um an den entsprechenden Stellen die passenden Pausen einsetzen zu können. Merkt man, dass an entsprechenden Stellen Lesepausen erwünscht sind, um die Tragweite der Formulierung vollkommen fassen zu können? Jaja, ich übe mich in Bescheidenheit. Und die Betonung liegt auf üben.
Hochmut kommt vor dem Fall. Und ich musste feststellen, dass man verdammt tief fallen kann. Jeder meiner Anflüge von Höhenangst ist durchaus berechtigt, immer und zu jeder Zeit. Ich war endlich dran. Nach dem zweiten Wort, dachte ich noch, es würde gehen. Es müsste sich jetzt gleich einkriegen mit der Versteifung jedes einzelnen Muskels meines Körpers. Mit der Spastik in mir kann ich das ja sehr gut, und ich weiß, wovon ich spreche. Es war so, als ob man ein EMS- Ganzkörperanzug tragen würde und beim ersten Versuch in die Vollen gegangen wäre, vergleichsweise dazu ist der Vorteil eines Blitzschlags der, dass es schneller vorbei ist. Ich presste die Luft aus meinen Lungen, den Schweiß aus den Poren, die Töne aus dem Kehlkopf, Man war der Text lang, plötzlich. Ich las jede Silbe für sich vor, mehr war da nicht drin, sonst wäre ich kollabiert. Ich konnte froh sein, dass keiner mir sein Asthmaspray leihen wollte. Es war so als ob man Bauchkrämpfe mit einer Plastiktüte auf dem Kopf hätte.
Ein Dank an meine Behinderung, ohne die ich dieses Erlebnis nie hätte. Zumindest vielleicht nicht so ausgeprägt. Aber nichts ist so schlecht, dass es nicht sein Gutes hätte. Für eine Behinderte wird man schon Verständnis haben, wenn man nicht den Umgang mit ihnen gewöhnt ist. Und Gott sei Dank aufgrund von medizinischen Möglichkeiten heutzutage, den Sicherheitsvorschriften, den pharmazeutischen Auflagen bleiben die Behinderten in der Unterzahl. Mein Text kam, soweit man ihn hoffentlich gut verstehen konnte, ganz gut an. Umso ärgerlicher ist es dann für mich, dass offen bleiben wird, wie gut er tatsächlich gewesen wäre, wenn er einwandfrei zu verstehen gewesen wäre.
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