Von Stefan Sasse
Von Anti-Acta über den Arabischen Frühling, von Attac über Occupy bis hin zum #Aufschrei, die Protestbewegungen der letzten Dekade erreichten den Zenit ihres Erfolgs schnell und rutschten danach in den Verfall. Eine lang andauernde Protestbewegung wie etwa die Umwelt-oder Friedensbewegung der 1980er Jahre scheint es nicht mehr zu geben, so jedenfalls die These von Wolfgang Michal bei Carta. Er arbeitet acht Gründe für die Kurzlebigkeit aktueller Protestbewegungen heraus, die in sich alle stimmig sind und sicherlich dazu beitragen, übersieht jedoch den Wichtigsten und lässt sich etwas zu sehr von einem historischen Narrativ der Sieger mitreißen.
Zuerst der letzte Punkt. Dass früher alles besser war ist in der Betrachtung politischer Phänomene eine häufige Ansicht, die von vielen BRD-Nostalgikern links wie rechts gepflegt wird (ob man nun Kohl oder Brandt hinterhertrauert spielt für das zugrundeliegende Gefühl der Nostalgie keine echte Rolle). Allerdings sind die echten "Kampfzeiten" auch früher nicht so wesentlich länger gewesen: die Umweltbewegung erreicht eine breite Aufmerksamkeit nur für einen kurzen Zeitraum, der mit dem Einzug der Grünen in den Bundestag fast schon wieder endete, während die Friedensbewegung vor allem zwei Hochphasen kennt: Adenauers Wiederbewaffnung in den 1950er Jahren und den NATO-Doppelbeschluss 1979 und seine spätere Implementierung 1983 (wo man schon fast von zwei getrennten Protesten sprechen kann). Auch der heiße Herbst der DDR-Protestbewegungen währte kaum ein halbes Jahr; bereits im März 1990 war fast nichts mehr übrig. Dagegen ist die Piratenpartei geradezu ein Langzeitphänomen.
Kommen wir nun zu Michals eigentlichen acht Thesen. Sie sind, wie eingangs erwähnt, allesamt ehrenhaft und richtig. Richtig widersprechen möchte man nur wenig. Ja, der Medienkreislauf ist kurzfristiger und atemloser. Ja, anarchischer Pluralismus und Basisdemokratie-Utopien erschöpfen die Bewegungen schnell, siehe Piraten, die machen das in Reinkultur vor. Etwas fragwürdig ist nur die These, dass frühere Protestbewegungen eher ein Alternativ-Modell darstellten, eine andere Lebensform, als es heutige Protestformen tun. Ich halte das gleich doppelt für einen Irrtum. Denn einerseits war der Kern dieser Proteste zwar von einer alternativen Community getragen worden (wie etwa der grünen Klientel oder der sozialistischen/kommunistischen Zellen), aber Erfolg feierten sie nur in den kurzen Momenten, in denen sie breite Bewegungen wurden, weil die Bürger der Mittelschicht sich anschlossen (man denke nur an die hunderte von Kilometer langen Lichterketten oder die hunderttausend zählenden Ostermärsche). Als diese sich zurückzogen, starben auch die Protestbewegungen wieder ab. Zum anderen werden auch die heutigen Proteste von einer alternativen Community getragen. Nur, und das ist neu, von der gleichen: Es sind wie immer die Jungen, die gut vernetzten, die Gebildeten. Sie tragen alle diese Bewegungen gleichermaßen und entzünden sich je nach Lage und Interesse.
Zuletzt verkennt Michal meiner Meinung nach, dass noch ein wichtiger Faktor zwischen den "alten" und "neuen" Protestbewegungen liegt, der zur Kurzlebigkeit der modernen Bewegungen maßgeblich beiträgt: Es ist ihr eigener Erfolg. Die modernen Protestbewegungen erzielen wesentlich früher Erfolge, als dies ihre Vorgänger aus der "alten" BRD vermochten. Der #Aufschrei brauchte keinen Tag, um sein Habitat der kleinen Gemeinschaft zu verlassen, hitzig mit Pro und Contra in den Leitmedien diskutiert zu werden und massiven Druck auszuüben. Attacs Kapitalismuskritik ist in verschiedenen Abstufungen längst Mainstream. Der arabischen Frühling ließ die Autokratien zusammenstürzen wie morsche Bretterbuden (mit der Ausnahme Syriens). Die Acta-Proteste ließen das Gesetz sofort in der Schublade verschwinden. Die lange Dauer der alten Protestbewegungen, wenngleich in wesentlich kleineren Kernzellen als Michal dies anerkennt, lebte auch vom hartnäckigen, andauernden Widerstand der jeweiligen Gegenkräfte, vor allem der CDU/CSU. Wie lange bot diese eine eiserne Wand, gegen die jeder Atomprotest rannte! Vergleicht man das mit dem Einknicken 2011 wird deutlich, was sich verändert hat. Die Protestgruppen erreichen teils innerhalb von Tagesfrist ihre Ziele.
Natürlich kommt hier Michals andere These zum Tragen: Die Protestbewegungen haben keine Chance gegen die organisierten und gut finanzierten Gegenbewegungen ihrer Gegner. Das erklärt nämlich ihr mittelfristiges Scheitern. Die gleichen Kräfte, die sie kurzfristig zu einem schnellen Sieg schwemmen sorgen dafür, dass ein nachhaltiger Erfolg umso schwerer zu erreichen ist. Frühere Protestbewegungen mussten Plattformen in den etablierten Parteien einrichten oder eigene gründen (was nur einmal gelang). Heutige müssen das nicht mehr, und der Erfolg ihrer eigenen Parteigründung, der Piraten, bleibt abzuwarten. Stattdessen übernehmen die etablierten Parteien die Positionen selbst und schwächen sie so ab oder neutralisieren sie. In dieser wechselseitigen Dynamik sind Erfolg, Misserfolg und Verweildauer moderner Protestbewegungen zu suchen.
Von Anti-Acta über den Arabischen Frühling, von Attac über Occupy bis hin zum #Aufschrei, die Protestbewegungen der letzten Dekade erreichten den Zenit ihres Erfolgs schnell und rutschten danach in den Verfall. Eine lang andauernde Protestbewegung wie etwa die Umwelt-oder Friedensbewegung der 1980er Jahre scheint es nicht mehr zu geben, so jedenfalls die These von Wolfgang Michal bei Carta. Er arbeitet acht Gründe für die Kurzlebigkeit aktueller Protestbewegungen heraus, die in sich alle stimmig sind und sicherlich dazu beitragen, übersieht jedoch den Wichtigsten und lässt sich etwas zu sehr von einem historischen Narrativ der Sieger mitreißen.
Zuerst der letzte Punkt. Dass früher alles besser war ist in der Betrachtung politischer Phänomene eine häufige Ansicht, die von vielen BRD-Nostalgikern links wie rechts gepflegt wird (ob man nun Kohl oder Brandt hinterhertrauert spielt für das zugrundeliegende Gefühl der Nostalgie keine echte Rolle). Allerdings sind die echten "Kampfzeiten" auch früher nicht so wesentlich länger gewesen: die Umweltbewegung erreicht eine breite Aufmerksamkeit nur für einen kurzen Zeitraum, der mit dem Einzug der Grünen in den Bundestag fast schon wieder endete, während die Friedensbewegung vor allem zwei Hochphasen kennt: Adenauers Wiederbewaffnung in den 1950er Jahren und den NATO-Doppelbeschluss 1979 und seine spätere Implementierung 1983 (wo man schon fast von zwei getrennten Protesten sprechen kann). Auch der heiße Herbst der DDR-Protestbewegungen währte kaum ein halbes Jahr; bereits im März 1990 war fast nichts mehr übrig. Dagegen ist die Piratenpartei geradezu ein Langzeitphänomen.
Kommen wir nun zu Michals eigentlichen acht Thesen. Sie sind, wie eingangs erwähnt, allesamt ehrenhaft und richtig. Richtig widersprechen möchte man nur wenig. Ja, der Medienkreislauf ist kurzfristiger und atemloser. Ja, anarchischer Pluralismus und Basisdemokratie-Utopien erschöpfen die Bewegungen schnell, siehe Piraten, die machen das in Reinkultur vor. Etwas fragwürdig ist nur die These, dass frühere Protestbewegungen eher ein Alternativ-Modell darstellten, eine andere Lebensform, als es heutige Protestformen tun. Ich halte das gleich doppelt für einen Irrtum. Denn einerseits war der Kern dieser Proteste zwar von einer alternativen Community getragen worden (wie etwa der grünen Klientel oder der sozialistischen/kommunistischen Zellen), aber Erfolg feierten sie nur in den kurzen Momenten, in denen sie breite Bewegungen wurden, weil die Bürger der Mittelschicht sich anschlossen (man denke nur an die hunderte von Kilometer langen Lichterketten oder die hunderttausend zählenden Ostermärsche). Als diese sich zurückzogen, starben auch die Protestbewegungen wieder ab. Zum anderen werden auch die heutigen Proteste von einer alternativen Community getragen. Nur, und das ist neu, von der gleichen: Es sind wie immer die Jungen, die gut vernetzten, die Gebildeten. Sie tragen alle diese Bewegungen gleichermaßen und entzünden sich je nach Lage und Interesse.
Zuletzt verkennt Michal meiner Meinung nach, dass noch ein wichtiger Faktor zwischen den "alten" und "neuen" Protestbewegungen liegt, der zur Kurzlebigkeit der modernen Bewegungen maßgeblich beiträgt: Es ist ihr eigener Erfolg. Die modernen Protestbewegungen erzielen wesentlich früher Erfolge, als dies ihre Vorgänger aus der "alten" BRD vermochten. Der #Aufschrei brauchte keinen Tag, um sein Habitat der kleinen Gemeinschaft zu verlassen, hitzig mit Pro und Contra in den Leitmedien diskutiert zu werden und massiven Druck auszuüben. Attacs Kapitalismuskritik ist in verschiedenen Abstufungen längst Mainstream. Der arabischen Frühling ließ die Autokratien zusammenstürzen wie morsche Bretterbuden (mit der Ausnahme Syriens). Die Acta-Proteste ließen das Gesetz sofort in der Schublade verschwinden. Die lange Dauer der alten Protestbewegungen, wenngleich in wesentlich kleineren Kernzellen als Michal dies anerkennt, lebte auch vom hartnäckigen, andauernden Widerstand der jeweiligen Gegenkräfte, vor allem der CDU/CSU. Wie lange bot diese eine eiserne Wand, gegen die jeder Atomprotest rannte! Vergleicht man das mit dem Einknicken 2011 wird deutlich, was sich verändert hat. Die Protestgruppen erreichen teils innerhalb von Tagesfrist ihre Ziele.
Natürlich kommt hier Michals andere These zum Tragen: Die Protestbewegungen haben keine Chance gegen die organisierten und gut finanzierten Gegenbewegungen ihrer Gegner. Das erklärt nämlich ihr mittelfristiges Scheitern. Die gleichen Kräfte, die sie kurzfristig zu einem schnellen Sieg schwemmen sorgen dafür, dass ein nachhaltiger Erfolg umso schwerer zu erreichen ist. Frühere Protestbewegungen mussten Plattformen in den etablierten Parteien einrichten oder eigene gründen (was nur einmal gelang). Heutige müssen das nicht mehr, und der Erfolg ihrer eigenen Parteigründung, der Piraten, bleibt abzuwarten. Stattdessen übernehmen die etablierten Parteien die Positionen selbst und schwächen sie so ab oder neutralisieren sie. In dieser wechselseitigen Dynamik sind Erfolg, Misserfolg und Verweildauer moderner Protestbewegungen zu suchen.