Erste Tage in Indien

Es ist fast schon wie nach Hause kommen. Vor dem Flughafen in Chennai steht eine Menschenmenge bereit – hauptsächlich Einheimische –, um die soeben Angekommenen in Empfang zu nehmen. Auch auf mich wartet jemand: ein Taxifahrer, der ein Blatt Papier vor sich hin hält, auf dem mein Name steht, damit ich ihn erkennen kann. Bloss: Er ist bei weitem nicht der einzige. So lese ich fleissig Plakätchen, während im Hintergrund die ersten südindischen Eindrücke auf mich einstürzen: eine feuchte Wärme trotz der fortgeschrittenen Stunde, Mitternacht ist längst vorbei; die Wärme ist begleitet von himmlischen und höllischen Düften von Jasmin bis Kuhdung, von schlecht verbranntem Diesel bis zum verführerische Duft einer Garküche am Strassenrand. Dazu kommt Lärm in allen Variationen: Gehupe von allen Seiten, aufheulende Motoren, die Rufe irgendwelcher Verkäufer, schreiende Kinder.
Auf einem der letzten Plakätchen lese ich meinen Namen. Kurze Zeit später sind wir unterwegs durch das nächtliche Indien. Die Fahrt nach Auroville dauerte fast vier Stunden.

New Creation

Für die erste Woche habe ich ein Zimmer in New Creation gemietet, eine Siedlung etwas ausserhalb von Auroville, nahe des Dorfes Kuilapallayam. Neben einer Grundschule in modernistischer Architektur umfasst New Creation viele Wohnhäuser unterschiedlichster Ausprägung, von höchst einfachen Betonquadern bis hin zu architektonisch anspruchsvollen Villen – und eben ein Guest House, in dem ich einquartiert bin.

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Die Schulzimmer der Aikiyam School auf dem Gelände von New Creation

Das Zimmer ist zwar besser als nichts, aber auch nicht viel mehr: ziemlich unpraktisch für mich als Rollstuhlfahrer, und es geht ihm jeglicher Charme ab. Aber man kann nicht alles haben … Und in ein paar Tagen ziehe ich ja schon wieder weiter.

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Mein Zimmer mit eher bescheidenem Charme

Murugan und Familie

Dafür bin ich hier nicht allzuweit von Murugan und seiner Familie entfernt, einer tamilischen Familie, die ich vor zwei Jahren kennengelernt habe und mit der mich etwas Besonderes verbindet, das man inzwischen auch Freundschaft nennen kann. Die bescheidene tamilische Familie lebt in Kuilapallayam ganz in der Nähe.

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Eine Art Freie Strasse (= Einkaufsmeile in Basel) von Kuilapallayam
Der Vater stellt Steinfiguren nach hinduistischen Motiven her – Ganeshas mit bis zu sieben Köpfen, Shivas in allen Variationen, sitzende Bharvatis mit prallen Brüsten –, Figuren, die er hauptsächlich den Touristen verkauft. Die Mutter arbeitet in einer der Manufakturen von Auroville, in der Bioprodukte, zum Beispiel Müeslimischungen, hergestellt werden. Beide leben trotz ihrem Fleiss in äusserst bescheidenen Verhältnissen und haben drei Kinder: zwei Burschen von 15 und 17 Jahren und eine Tochter von etwa zwölf Jahren.
Und dem Ältesten finanziere ich seit bald zwei Jahren das College. Ich hab’s nicht gesucht; es hat sich so ergeben. Und die Aufwendungen für mich halten sich im machbaren Rahmen. Die beiden anderen Kinder werden hinzukommen, sobald sie die Grundschule abgeschlossen haben und etwas Sinnvolles – und Zahlbares – anstreben. Auch das Mädchen soll eine gute Ausbildung haben.
Natürlich werde ich von der Familie verehrt, dass es mir ganz schön peinlich ist. (Denn ich nutze ja nur das wirtschaftliche Gefälle zwischen der Schweiz und Indien in einem fruchtbaren Sinn: Mit wenig Geld lässt sich in Indien einiges bewegen.) Trotzdem entwickelt sich mit der Familie eine Beziehung, die sich immer mehr auf Augenhöhe einpendelt, und es sind wundervolle Gespräche möglich, die mir einen Einblick in die Lebenswelt dieser bescheidenen tamilischen Menschen ermöglichen.

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Muthulakshmi, die Mutter, und Murugan neben mir, Batulakshman schaut ins Bild

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In diesem bescheidenen Häuschen lebt die Familie


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