Der Bundestag hat gestern in erster Lesung das Gesetz zur Beschneidung nicht einwilligungsfähiger Jungen beraten. Anders als in den Haushaltsdebatten verlief diese Lesung in einem sehr fairen und angenehm sachlichen Klima.
Während sich in den Haushaltsberatungen die Regierungskoalition und die Opposition verbale Schlammschlachten liefern, wurde bei diesem Thema angemessen sachlich diskutiert. Obgleich sowohl der Gesetzesvorschlag der Bundesregierung als auch der von 66 Bundestagsabgeordneten eingereichte Alternativvorschlag vorgestellt und verteidigt wurde.
Alle Redner betonten, sie seien sich bewusst, dass es im Gesetzesvorschlag um eine Abwägung zwischen der Religionsfreiheit (der Eltern) und dem Recht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit geht. Alle stellten auch das Kindeswohl in den Mittelpunkt ihrer Ausführungen. Allerdings bedeutete dieser Begriff nicht für alle Redner das Gleiche.
Deshalb ist der Kinderbeauftragten der SPD, Marlene Rupprecht, zuzustimmen, die noch einmal ein zweijähriges Moratorium forderte. Nur Aufklärung und sachgerechte Diskussionen würden es überhaupt möglich machen, sich über den Inhalt von Worten wie „Kindeswohl“ klar zu werden. Sie ist eine der Unterzeichnerinnen des Alternativen Gesetzentwurfes – stellte aber klar, dass dieser eher ein Versuch ist, etwas mehr Schutz für die Kinder zu erreichen. Sie hätte aber lieber mehr Zeit gehabt, um sachlich angemessen mit dem Thema umzugehen. Von ihr kam auch der Vorwurf in Richtung Justizministerium, dass dieses zwar mit Funktionären von Religionsgemeinschaften, mit Ärzten und Rechswissenschaftlern, aber nicht mit einem einzigen Betroffenen gesprochen hätte. Frau Leutheusser-Schnarrenberger war – als die Kamera sie zeigte – sichtlich entnervt.
Den Vorwurf, das von der Regierung vorgelegte Gesetz sei vorschnell dem Parlament vorgelegt worden, machte auch Raju Sharma (DIE LINKE): „Der Staat hat nicht die Aufgabe, die Religionsausübung zu gestalten und Vorgaben zu machen. Er hat aber die Aufgabe, Interessen abzuwägen und einen Rahmen vorzugeben, in dem sich alle in dieser Gesellschaft bewegen müssen. Wenn wir anfangen, Sonderrechte für diese oder für jene Religionsgemeinschaft zu schaffen, sind wir auf einer schiefen Bahn. Dann gibt es auch keine Unteilbarkeit von Menschenrechten bzw. von allen Rechten. Das aber ist genau das, was wir brauchen. Religionsfreiheit ist wie jede Freiheit in einem demokratischen Staat nie grenzenlos. Sie findet ihre Schranken dort, wo die Rechte bzw. die schutzwürdigen Interessen anderer beeinträchtigt werden. Genau das ist hier der Fall. Das Landgericht Köln hat dies auch richtig festgestellt. Wir hätten eine ruhige, ausgewogene und sachliche Debatte gebraucht mit einer Offenheit, wie sie zum Beispiel der Generalsekretär des Zentralrates der Juden in Deutschland, Stephan Kramer, an den Tag gelegt hat…“
Als besonders unempfindlich für die Einschränkung der Religionsfreiheit zeigte sich wieder einmal mehr der SPD-Vorzeige-Katholik Wolfgang Thierse. Sein Beitrag zur Begründung der Gesetzesvorlage der Regierung bestand vor allem darin, Gott zu loben. Und der die Religionsfreiheit der (unfreiwillig) beschnittenen Jungen darin sah, dass sie beschnitten werden.
In die gleiche Kerbe schlug auch die Sprecherin der CDU/CSU-Fraktion, Dr. Maria Flachsbarth. Es wird unterstellt, dass die Wahrung der Kinderrechte das Verbot zur Religionsausübung bedeuten würde. Doch das ist schlicht und ergreifend falsch. Denn Eltern werden dadurch, dass die Beschneidung von der Einwilligung des Betroffenen abhängig gemacht werden soll, nicht darin eingeschränkt, ihrem Kind eine religiöse Erziehung angedeihen zu lassen.
Von einigen Rednern wurde die Erwartung formuliert, dass die betroffenen Religionsgemeinschaften nun selbst am Zuge sind und die Praxis der Beschneidung auf den Prüfstand stellen müssen. Selbst Bundesfamilienministerin Schröder zitierte den Generalsekretär der Jüdischen Gemeinde in Deutschland, Stephan Cramer, mit den Worten: „die Juden selbst müssten begründen, weshalb körperliche Züchtigung nicht, das Entfernen der Vorhaut dafür aber in Ordnung sein soll“.
Die Debatte ist noch nicht zu Ende: Die beiden vorliegenden Entwürfe werden jetzt in den Ausschüssen beraten und danach dem Bundestag zur Beschlussfassung vorgelegt.
Nic
[Erstveröffentlichung: hpd]