Der vielleicht perfideste Trick neoliberaler Wadenbeißer ist es, die Kritik an ihrer Ideologie, die sie für keine Ideologie ausgeben, mit der Alternativlosigkeit abzuwiegeln. Indirekt geben sie dem Kritiker recht, geben aber sofort zu bedenken, dass es wahrscheinlich immer noch "die beste aller möglichen Welten" ist, in der wir leben. Wer keine Vision davon hat, was nach dem Neoliberalismus kommt, so erklären sie inquisitorisch, der soll auch nicht kritisieren.
Probleme lösen, die geschaffen wurden, um nur im neoliberalen Rahmen lösbar zu sein!
Solange man kein Patentrezept, kein "anderes Modell, in einem fertigen Ersatzteil-Set, das Versprechen einer ganz neuen, sauberen, garantiert schlüsselfertigen Gesellschaft" (Viviane Forrester) besitzt, soll man an der Problemlösung mitarbeiten, die sich innerhalb des Neoliberalismus befinden - sie sagen es natürlich nicht so, weil sie das N-Wort nicht verwenden. Sie sprechen auch nicht von System oder Ideologie; sie bauen auf der Prämisse, die doch jeden vernünftigen Menschen einsichtig sein sollte, nämlich dass Profit zu unser aller Wohlstand gemacht werden muß - viel Profit, sehr viel Profit, noch mehr Profit. Die unerwähnte Prämisse, die sie, falls sie sie überhaupt beim Namen nennen, auf Realpolitik oder Sachzwang taufen, sie wird Kritikern als Naturgesetzlichkeit untergejubelt. Sie raten daher, produktiv innerhalb der Grenzen zu kritisieren; realistisch sein, nicht utopisch: Probleme lösen in der Gesellschaft wie sie ist - nicht daran denken, wie sie sein könnte. Dabei löst man Probleme alleine, die vom Neoliberalismus geschaffen wurden, um in seinem Rahmen, mit seinen Instrumenten gelöst zu werden. Probleme, die den "ihnen zugedachten Lösungen entsprechen" (Forrester) sollen.
Das Gerüst, in dem die spekulative und auf Profit reduzierte Ökonomie abläuft, ist sakrosankt. Wer am Gerüst wackelt, gilt als radikal - was zutreffend ist, stammt das Radikale doch etymologisch von radix, von Wurzel oder Ursprung. Radikale Fragen ziemen sich jedoch nicht. Antworten können nur Fragen aufwerfen, die nicht radikal an den Grundpfeilern rüttelten. Wie können wir die Spekulativ-Wirtschaft mäßigen?, hat als Frage eine Antwort verdient. Ist es nicht pervers, die reale Wirtschaft, die real geleistete Arbeit von Menschen an spekulative, ja virtuelle Zahlen zu knüpfen?, darf nicht beantwortet werden. Wie bekommen wir die Arbeitslosenstatistik in den Griff?, ist eine gewollte Frage. Wie wird sie berechnet und zu welchem Zweck belügen wir uns mit ihr selbst?, ist ein Frevel. Wie kann man erwerbslos gewordenen Personen durch workfare tägliche Strukturen und Ordnung vermitteln?, verdient anerkennendes Nicken. Ist workfare nicht ein nettes Modewort für Zwangsarbeit? Kann man es als tägliche Struktur bezeichnen, wenn man für eine Mehraufwandsentschädigung mehr Arbeit tun muß, als andere, die für weniger Arbeit einen wirklichen Lohn erzielen?, dürfen als Fragen nicht mal gedacht werden.
Brennt ein Haus, so zeichnet man nicht schon die Pläne für ein neues Haus: man löscht!
Manchmal haben auch die Vertreter des Neoliberalismus einen gnädigen Moment. Dann erlauben sie solcherlei Fragen, auch wenn sie sie nicht für richtige Fragen erachten. Sie zeigen sich nicht so großmütig, weil sie den Meinungspluralismus lieben. Sie sind es, weil sie den Fragensteller lächerlich machen wollen. Keine Spekulativ-Wirtschaft mehr, fragen sie erstaunt, wie genau soll das aussehen? Kann man das konkreter erklären? Selbst wenn man Pläne vorlegen kann: sie sind nicht, sie sind nie zufrieden. Unausgereift sei das, sagen sie dann; man habe dies, das und jenes nicht bedacht. Alles sei wesentlich komplizierter, nicht einfach mit schwammiger Planwirtschaft zu regulieren oder neu zu strukturieren - nette Träumerei ohne Gehalt. Sie möchten den Entwurf einer "schlüsselfertigen Gesellschaft" auf den Tisch bekommen, von dem sie wissen, dass es ihn nicht gibt. Jede erdachte Alternative ist keine, weil es zur herrschenden Ökonomie keine Alternative geben darf.
Das ist Trickserei, um die unhaltbaren Zustände, in der sich die institutionalisierte Ökonomie befindet, als alternativlos zu bewahren. Sie mag schlecht sein - aber was Besseres haben wir nicht! Dabei ist anhaltende Kritik nicht Mäkelei. Sie ist mehr. "Wenn ein Brand schwelt oder ausbricht, denkt man dann schon über die Reparaturen nach, zeichnet die Pläne eines neuen Hauses, bevor man das Feuer löscht?" (Forrester) Am Reißbrett entworfene Pläne für eine Gesellschaft, die das große Glück versprechen soll, haben schon öfter in Katastrophen gemündet. Was die neoliberalen Vertreter wollen, wenn sie unangebrachte Fragen zulassen ist einfach erläutert: Sie erhoffen sich, dass Luftschlösser gemalt werden, dass man undemokratische Gesellschaftsentwürfe auf den Tisch legt und Fresst oder sterbt! schreit - Entwürfe, die man verordnet, nicht erarbeitet. Nichts diskreditiert einen mehr, als man selbst. Eine neue Gesellschaft, die sich einer neuen Ökonomie bedient, "muß demokratisch vorgeschlagen werden... es handelt sich um eine langsame, keinesfalls kurzfristige Arbeit" (Forrester). Die Ideale der amtierenden Ökonomie, wie sie vom IWF vertreten werden, als fehlgeleitet und schädlich zu entlarven, Kritik daran zu üben: Ist das nicht auch eine Form von konstruktiver Kritik? Die Ideale abzulehnen, andere Ideale zu favorisieren: Ist das nicht konkret?
Die Alternative existiert: das Nicht-Hinnehmbare ablehnen!
Kritik aufzuwerfen, das für die Sperrspitzen des Systems Undenkbare fordern, träumen, für machbar halten: Ist das keine Alternative? Zu sagen, dass es so, wie es ist, nicht mehr hinnehmbar ist - das ist doch wahrlich eine Alternative. Verweigerung, die Welt so zu akzeptieren, wie wir sie heute kennen - Ablehnung jenen Prämissen zu schenken, mit denen sie uns impfen: das ist die Abkehr vom Nicht-Hinnehmbaren. "... sich umzusehen und begreifen, wo wir stehen, wohin wir geführt werden könnten, im welchem Maße und wie schnell die Aufweichung aller Gesetze und die offiziell bewilligten Verirrungen heute den Sieg davontragen" (Forrester), das ist der alternative Weg.
Die Negation dessen, was wir täglich erleben, ist der wesentliche Ansatz. Den Mund zu halten, weil wir diese Ökonomie für den Sieger der Geschichte halten, für ewig und nicht abwendbar, vielleicht sogar für richtig, obwohl immer mehr Menschen darunter leiden, würde bedeuten, mit dem Nicht-Hinnehmbaren zu verhandeln. Zu schweigen, weil unser gesellschaftliches Luftschloss, der Plan einer zukünftigen besseren Welt, den wir als Alternative in die Waagschale werfen könnten, unausgereift scheint, um sie den Aposteln des Systems schon vorzuzeigen: auch das ist Verhandlung mit dem, das wir nicht hinnehmen sollten. Die neoliberalen Missionare, die jovial fragen Wie dann?, sie ringen um Zeit, wenn sie so fragen. Sie fordern die ausführlichsten Antworten, damit sich der große Reibach, für den sie arbeiten, verstetigt.