Erst lesen, dann schießen

Von Robertodelapuente @adsinistram
Gefahren, "die aus oder von einer demonstrierenden Menschenmenge drohen", so mahnte das Bundesverfassungsgericht neulich, dürften allerdings nicht mit einem inländischen Waffeneinsatz der Bundeswehr abgewendet werden. Das ist eine Einschränkung, die man einem etwaigen Inlandseinsatz mit auf dem Weg gab. Die Angst, die viele Bürger nun über Jahre insgeheim hegten, dass eben die Bundeswehr gegen Bürger aufmarschiert, scheint richterlich ausgetrieben. Dabei muß man fürchten, dass nun hitzig bürokratische, das heißt, kühl spitzfindige Diskussionen darüber angestellt werden, wann eine Menschenmenge eine Menschenmenge ist und wie man das Wort Gefahr definieren kann.
Dass demonstrierende Menschenmengen von der Bundeswehr nicht angetastet werden dürfen, heißt das nicht auch über Umwege, passiv sozusagen, dass Menschenmassen, die sich per definitionem nicht demonstrierend zeigen, sondern vielleicht einfach nur mahnwachend, schon bundeswehrlich behelligt werden dürfen? Es sind ja Gefahren aus so einer Menge, die nicht Gegenstand eines Einsatzes sein dürfen. Ist aber die Gefahr nicht außer Kraft, wenn beispielsweise ein linker Mob randaliert und Autos umwirft. Dann ist die Gefahr gewissermaßen schon überstanden, dann ist die Gefahr schon zur Tat geworden, droht nicht mehr nur, sondern wütet als Werk. Wenn die Menschenmenge nicht mehr nur gefährdet, sondern schon tut, schon die Stufe der Gefahr durch die Handlung ersetzt hat - kann man dann nicht doch die Bundeswehr dazuholen? Und 500 Menschen sind ja schon eine Menge Leute. Hat damit nicht eine Versammlung von 1000 Menschen die Menge schon überflügelt? Sind 1000 Menschen nicht schon Masse statt Menge? Kann man das nicht von der Mengenlehre ableiten? Und gegen Menschenmassen gibt es doch keine Einschränkung seitens der Verfassungsrichter!

Man braucht etwas Phantasie, um der Büchse der Pandora, einmal aufgesperrt, auch den Deckel hochzuklappen. Spitzfindigkeiten, besondere Auslegungen, exegetisches Lesen, kommentierte Sinndeutungen - so schafft man sich aus Einschränkungen Befugnisse, filtert sich aus Vorbehalte Freibriefe, modelliert sich aus Begrenzungen Vollmachten. Man muß nur besonders richtig, man muß nur gewieft lesen können, ein ausgesprochenes Auge für die Feinheiten haben. Und das haben Bürokraten und Juristen und Juristenbürokraten gemeinhin ganz besonders. Genau deshalb sind Einschränkungen, wie jene des Bundesverfassungsgerichts, so sinnlos, so nichtig - nur das absolute Verbot, das keinen Schlupfwinkel kennt, kommt dieser Auffassung, diesem Verständnis zuvor. Womöglich ahnten die Verfassungseltern, was die Verfassungsrichter nicht fähig sind zu erahnen, zu erwägen, und klammerten die Bundeswehr aus dem Inland kategorisch aus.
Nur Mut, ihr Konservativen, die ihr seit Jahren an der innerländischen Bundeswehr feilt. Die Einschränkung ist keine, sie ist eine Herausforderung, ein Wortspiel, eine Definitionssache. Und darin seid ihr doch herausragend. Ihr nennt euren Chauvinismus einfach Leitkultur und schon klingt es anders; ihr sagt Selbstverantwortung zu eurer Ignoranz gegen die Nöte mancher Menschen - warum nicht einfach die demonstrierende Menschenmenge umwerten, deklinieren, beugen und neu kategorisieren? Die Grenzen des Anstandes waren doch nie Schranken für den Konservatismus, sondern stets Ermunterung, über die Grenzen zu stoßen, ohne zu schroff gegen die Schranken zu donnern. Einschränkungen sind damit auch nie einschränkend, sondern immer einfallend - Einschränkungen, wie jene aktuelle des Bundesverfassungsgerichts, sind Einfalltore, nicht Abriegelungen.
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