Erneut schwanger!

Erneut schwanger! Die nächsten Wochen entstand eine Art Sendepause zwischen Italo und mir. Wir telefonierten so gut wie gar nicht miteinander.
Ich ging wieder täglich arbeiten. Ende des Jahres war ich durch meine Zeitarbeitsfirma an eine Versicherung vermittelt worden. Ich arbeitete dort in der Zentralen Datenerfassung und machte meine Sache so gut, dass ich übernommen wurde und einen vorerst befristeten Vertrag für ein Jahr bekam.
Man stellte mir auch einen unbefristeten Arbeitsvertrag in Aussicht. Darauf arbeitete ich hin, das war mein Ziel. Dann hätte ich es geschafft und konnte mit dieser Arbeit den Lebensunterhalt für die Kinder und mich verdienen. Außerdem gehörten Arbeitsplätze bei Versicherungen damals zu den sichersten Arbeitsplätzen auf dem Stellenmarkt. Die Banken und Versicherungen hatten noch genug Geld und die Geschäfte florierten. Ich war guter Dinge, dass ich früher oder später eine Festanstellung bekommen würde.
Meine Planungen sollten jäh unterbrochen werden.
Ca. 4 Wochen nach dem Besuch bei Italo bemerkte ich, dass meine Regel ausblieb. Es war ein riesen Schock. Mit der Möglichkeit, von dem einen Ausrutscher schwanger zu werden hatte ich nicht im Geringsten gerechnet. Was jetzt? Ich war ratlos. Und alleine. Mit niemandem konnte ich darüber reden. Schon gar nicht mit meinen Eltern, die absolut kein Verständnis dafür gehabt hätten.
Dazu kam die Situation bei der Arbeit. Noch hatte ich ja einen befristeten Arbeitsvertrag. Ein unbefristetes Anstellungsverhältnis konnte ich vergessen, wenn ich jetzt ein Kind erwarten würde.
Du liebe Zeit, was sollte ich nur tun?
Zuerst ging ich zum Gynäkologen. Er bestätigte nur, was ich bereits wusste. Ja, ich war erneut schwanger und in der 5. Woche.
Tagelang kreisten meine Gedanken um die Bewältigung dieser Situation. Da war einerseits meine christliche Gesinnung, die einen Schwangerschaftsabbruch nicht zuließ. Wenn ich mir meine beiden Kinder anschaute, dann stellte ich mir ihr Geschwisterchen vor. Nein, ich konnte keinen Schwangerschaftsabbruch vornehmen, dachte ich immer wieder. Andererseits: wenn ich dieses Kind jetzt bekam, würden meine beiden darunter nicht zu leiden haben? Für mich war es mit zwei Kindern schon schwer genug. Würde ich es schaffen mit dreien? Was war mit der Arbeit? Wie konnte ich 3 Kinder  und Arbeit unter einen Hut bekommen? Das Geld würde noch knapper werden, die Lebensumstände noch schwieriger. Welche Alternative hatte ich?
Italo kam mir in den Sinn. Ich musste auch mit ihm reden, es war auch sein Kind. Also rief ich ihn an und erzählte ihm von meiner erneuten Schwangerschaft. Er sah das Ganze positiv. Er sagte, ich solle zu ihm nach Italien zurück kehren. Wir würden das schon schaffen. Bei ihm wäre der neue Erdenbürger willkommen.
Genau diese Aussage war es, die eine Entscheidung in mir reifen ließ. Eine Rückkehr nach Italien kam für mich überhaupt nicht in Frage. Diese ungewollte Schwangerschaft machte mir noch deutlicher, dass ich Italo nicht mehr liebte und mir ein Zusammenleben mit ihm auf gar keinen Fall mehr vorstellen konnte. Nein, diese Lösung schloss ich sehr schnell aus. Und je mehr mir klar wurde, dass ich mich immer weiter von Italo entfernte, er aber der Vater des Ungeborenen war, desto mehr sträubten sich meine Gefühle gegen dieses Kind. Immer mehr legte ich meinen Fokus auf meine beiden Kinder. Ich wollte ihnen eine Zukunft bieten. Ein drittes Kind würde meine ganzen Planungen über den Haufen werfen. Ich redete mir ein, dass ich es alleine mit drei Kindern nicht schaffen würde. Es blieb für mich nur noch ein Ausweg: der Schwangerschaftsabbruch. Es war eine undendlich schwere Entscheidung. Ich fühlte mich nicht wohl in meiner Haut, aber damals dachte ich, ich hätte keine andere Wahl.
Ich unterrichtete Italo über meine Entscheidung. Er war traurig darüber, akzeptierte aber meine Entscheidung und sagte, er würde die nächsten Tage nach Deutschland kommen und mich bei meinem schweren Gang begleiten.
Er hielt Wort und war 2 Wochen später da. Ich hatte in der Zwischenzeit die Termine für die Beratungsgespräche gemacht. Eine Woche später saß ich bei einer sehr, sehr netten Dame von Pro Familia im Büro, die mich sehr einfühlsam beriet und mir zuhörte. Sie verstand meinen Konflikt, zeigte mir Wege der Hilfen auf, falls ich mich doch noch für das Kind entscheiden würde.Auch erklärte sie mir, welcher Eingriff auf mich wartete, sollte ich am Schwangerschaftsabbruch festhalten. Mir wurde ganz schlecht, als sie mir beschrieb, was genau bei dem Eingriff geschehen würde. Wieder schwankte ich. Durfte ich das tun? Durfte ich dieses Leben in mir, das noch ganz am Anfang stand, einfach beenden? Verzweifelt fing ich an zu weinen. Aber damals gab es für mich keinen anderen Ausweg. Also ließ   mir den Beratungsschein und die Adresse einer spezialisierten Tagesklinik in Wiesbaden geben. Am nächsten Tag rief ich dort an und ich bekam einen Termin in der 8. Schwangerschaftswoche.
Ich erspare Euch Lesern und mir jetzt die genaue Beschreibung des Eingriffs. Nur soviel: ich habe die ganze Zeit geweint.
Diese Tat verfolgt mich noch heute. Dieses Kind wäre heute 24 Jahre alt. All die Jahre habe ich mein schlechtes Gewissen nicht los bekommen. Anfangs drohte ich daran zu zerbrechen. Ich konnte einfach nicht akzeptieren, dass ich diesen Schritt gegangen war. Ich hatte die größten Zweifel und dachte nach dem Eingriff immer wieder:"Du hättest es auch mit 3 Kindern geschafft! Dann hättest Du den unbefristeten Arbeitsvertrag eben nicht bekommen. Aber wir wären nicht verhungert. Wir hätten Hilfen bekommen."
Ich bereute meine Entscheidung zutiefst. Um mich abzulenken stürzte ich mich in die Arbeit und kümmerte mich ganz besonders intensiv um Bianca und Marco. Doch die Schuldgefühle ließen und ließen mich nicht mehr los.
Mit den Jahren wurde es etwas besser. Die Intervalle, in denen die Schuldgefühle kamen, wurden länger. Doch sie verfolgen mich bis heute.
Ich kann jeder Frau, die in einer ähnlichen Situation ist, nur raten, nicht voreilig und vorschnell eine Entscheidung zu treffen. Dieser Eingriff macht etwas mit Dir. Er verändert Dich. Du wirst diese Tat nie wieder los. Es gibt viele Hilfen, die schwangere Frauen in Not in Anspruch nehmen können. Und sollte es wirklich gar nicht gehen, dann gibt es immer noch die Lösung durch eine Adoption. Viele kinderlose Ehepaare warten auf die Möglichkeit, ein Kind zu adoptieren und ihm ihre ganze Liebe zu schenken. Zwar wird auch diese Entscheidung Dich Dein ganzes Leben nicht wieder los lassen. Aber zumindest hast Du Deinem Kind eine Chance gegeben. Ich tat das nicht. Ich nahm meinem Kind jegliche Chance auf Leben.
Sollte die christliche Vorstellung, dass wir uns alle nach dem Tod im Jenseits wieder sehen, stimmen, dann werde ich mein Kind dort treffen, denn laut dem christlichen Glauben haben auch ungeborene Kinder bereits eine Seele. Ich weiss nicht, was es mir sagen wird. Ich kann nur hoffen, dass es mir verziehen hat.

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