Ermordete Kleinunternehmer und die Medien

Warum berichten fast alle Medien beharrlich über Kleinunternehmer, seitdem sie nicht mehr über Dönermorde berichten dürfen? Klein-Unternehmer: Ein Begriff aus der Welt der Steuern, der nun eine neue konnotative Aufladung erfährt: Denn gemeint sind die neun von Neo-Nazis ermordeten Mitbürger, die aus der Türkei und aus Griechenland stammten. Ob sie bei den Steuerbehörden als Kleinunternehmer geführt wurden, kann für die Tatsache ihrer Ermordung bei vernünftiger Betrachtung keine Rolle spielen. Oder doch?

Kleinunternehmer sind aus steuerlicher Sicht Unternehmer mit besonders kleinem Umsatz: Hungerleider. Kein Staat mit ihnen zu machen. Kein Verlust für die Gesellschaft. Die Erweiterung der bisherigen Wortbedeutung: steuerlich klein und also physisch entbehrlich – wenn sie keine von “uns” sind. Denn es handelt sich bei den neun ermordeten Menschen um Migranten, ob mit oder ohne deutscher Staatsangehörigkeit, die zwar hier lebten und arbeiteten, deren Leben der deutsche Staat aber nicht geschützt hat. Noch schlimmer: Es gibt sehr beunruhigende Hinweise darauf, dass die Sicherheitsbehörden die Neonazis unterstützt haben und dass einige ihrer Sektionen weiterhin nicht gewillt sind, den politischen Arm der Neo-Nazis, die NPD, verbieten zu lassen.

Kommt bei den tonangebenden Mainstream-Medien, männlich-weiß-christlich dominiert, in dieser herabsetzenden Wortwahl – jetzt Kleinunternehmer statt vorher Dönermorde – sowas wie Ätschibätschi raus? Die jahrelange Verwendung des rassistischen Begriffes Dönermorde in fast allen Medien spiegelte eine Haltung wider, die sich ja nicht erledigt hatte, nur weil Dönermorde zum Unwort des Jahres 2011 erklärt wurde. Im Ersatzbegriff Kleinunternehmer wird den ermordeten Menschen nun weiterhin geschickt ihr Mitbürgertum abgesprochen. Aber nur als Mitbürger, als Mitbewohner dieses Gemeinwesens und dieses Planeten haben sie uns zu interessieren.

Aus der Zeit des National-Sozialismus wissen wir: Erst kommt eine öffentliche und systematische Kennzeichnung, beispielsweise als Jude, dann Medienhetze und Staatsterror, dann Ausplünderung, Vertreibung, Mord. Doch trotz der sog. Wiedergutmachung wurden in Deutschland keine nachhaltigen Lehren aus dem rassisch-religiös motivierten Mordsystem des Nationalsozialismus gezogen. Es ist jedenfalls bemerkenswert, dass die meisten Menschen immer noch nicht begreifen, dass die von Deutschen ermordeten “Juden” ethnisch und kulturell Deutsche waren, oder eben ethnisch-kulturelle Mitglieder anderer Staaten, die statt dem christlichen dem jüdischen Glauben anhingen. Ideologien, und seien sie auch längst widerlegt, sind langlebig: Dem jetzt veröffentlichten ersten (!) Antisemitismus-Bericht der Regierung zufolge ist etwa ein Fünftel der Deutschen latent judenfeindlich, vor allem im rechtsextremen Spektrum. Dass die Fremdenfeindlichkeit derzeit steigt, war zum Veröffentlichungszeitpunkt der Heitmeyer-Studie im Dezember keine Überraschung.

An der Konstruktion solcher “gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit” (Heitmeyer) haben die öffentlich (!) finanzierten wie die privaten Medien ihren Anteil: Über 10 Jahre lang haben sie weggeschaut und stattdessen tapfer über DNA-Spuren einer Packerin, die SoKo Bosporus, Dönermorde, oder Türkenmafias berichtet. Und nun ersetzen die Medien eine entmenschende Bezeichnung für die ermordeten Menschen durch einen ähnlich funktionierenden Begriff:

Cui bono: Wer profitiert davon?


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