Ermittlung gegen rechte Gewalttaten: Unfähig oder unwillig?

14.11.2011 – „Döner-Morde“, „Halbmond-Mafia“, Soko „Bosporus“: Mit solchen Schlagworten laborierten Ermittler und Medien in Bezug auf die bundesweiten Morde an insgesamt neun Männern mit Migrationshintergrund.

Ermittlung gegen rechte Gewalttaten: Unfähig oder unwillig?Die gewählten Begriffe bringen überdeutlich zum Ausdruck, was man offiziell hinter den Tötungsdelikten vermutet: In Deutschland lebende „Ausländer“ bringen sich gegenseitig um. Verstrickungen in Waffen- oder Drogenhandel, Spiel- und Wettschulden oder private Auseinandersetzungen gelten als wahrscheinliche Motive und geben die Ermittlungsrichtung vor.

Wenn in Berlin einige Autos brennen, dann sehen Behörden und Politiker hierin Anzeichen für einen neuen Linksterrorismus in Deutschland. Werden dagegen neun Menschen mit Migrationshintergrund innerhalb von sechs Jahren im ganzen Bundesgebiet mit derselben Waffe hingerichtet, dann kommt kein Ermittler und kein Staatsanwalt auf den Gedanken, es könne sich hierbei um rechtsextremistische Verbrechen handeln.

Ermittlung gegen rechte Gewalttaten: Unfähig oder unwillig?

1990 bis 2010: Mindestens 137 Todesopfer

Im Rahmen der Recherche „Todesopfer rechter Gewalt“ haben die ZEIT und der Tagesspiegel im Jahr 2010 insgesamt 137 Fälle ermittelt, in denen Menschen in Deutschland zwischen 1990 und 2010 infolge rechter Gewalt ihr Leben verloren haben.

Die Liste weist eine eklatante Differenz zu den offiziellen Zahlen der Bundesregierung auf. Hier zählt man „nur“ 47 Todesopfer rechts motivierter Gewalttaten im selben Zeitraum. Seit dem Jahr 2001 verzeichnen die Behörden lediglich fünf Fälle mit tödlichem Ausgang. Die Recherchen der Redakteure ermitteln dagegen 31 Tötungsdelikate alleine zwischen 2001 und 2010.

Und selbst die Daten von ZEIT und Tagesspiegel weisen Lücken auf: Die neun von Nazis getöteten Männer tauchen in der Liste nicht auf.

Ermittlung gegen rechte Gewalttaten: Unfähig oder unwillig?

Soko „Bosporus“: Private Motive

Die neun Morde haben sich in der Zeit zwischen dem 9. September 2000 und dem 6. April 2006 in Nürnberg, Hamburg, München, Rostock, Dortmund und Kassel ereignet. Alle Opfer wurden mit derselben Waffe getötet. Persönliche Verbindungen zwischen den Getöteten gab es dabei ebenso wenig, wie auffällige Gemeinsamkeiten in Bezug auf Biografie oder Lebensführung.

Die Polizei sprach in der Öffentlichkeit von „Döner-Morden“ und Taten der „Halbmond-Mafia“. Mitte 2005 wurde die Sonderkommission „Bosporus“ gegründet, in der sich rund 50 Beamte knapp drei Jahre lang um die Aufklärung der Morde bemühten. Hierbei wurde vor allem nach Verbindungen zwischen den Opfern gesucht. In Deutschland lebende Türken wurden dazu aufgefordert, Hinweise zu geben. Die Ermittlungen wurden vorrangig in Richtung Waffenhandel, Drogenhandel, Spiel- oder Wettschulden geführt.

Im Februar 2008 wurde die Soko „Bosporus“ aufgelöst. Abschließend teilte ihr Leiter Wolfgang Geier mit, dass entweder ein einzelner Mörder mit privaten Motiven oder eine kriminelle Vereinigung hinter den Taten stecke. Fast drei Jahre intensive Ermittlungsarbeit reichten nicht aus, um auch nur den Gedanken zu verfolgen, es könne sich um Morde mit rechtsextremistischem Hintergrund handeln.

Im April 2006 wurde im direkten Zusammenhang mit einem der Morde ein Mitarbeiter des hessischen Verfassungsschutzes kurzfristig festgenommen. Der Mann hatte den Tatort in Kassel kurz vor dem Mord verlassen und sich trotz entsprechender Presseaufrufe nicht als Zeuge bei den Behörden gemeldet. Nach einer 24-stündigen Vernehmung wird er wieder auf freien Fuß gesetzt. Der zuständige Oberstaatsanwalt Jung spricht in diesem Zusammenhang von einer „geringen Verdachtsstufe“.

Im Mai 2006 wird im Rahmen der Innenministerkonferenz darüber verhandelt, den Fall höher zu priorisieren und an das Bundeskriminalamt zu übertragen. Der damalige bayerische Innenminister Günther Beckstein (CSU) setzt sich gegen diesen Vorschlag ein und kann seine Kollegen letztlich überzeugen.

Ermittlung gegen rechte Gewalttaten: Unfähig oder unwillig?

Friedrich: „Neuer Rechtsterrorismus“

Legt man die Recherchen von ZEIT und Tagesspiegel zugrunde und ergänzt die Zahlen um die neun Mordopfer des Zwickauer Nazi-Trios, dann zählt man im Zeitraum von 1990 bis 2010 insgesamt mindestens 146 Todesopfer durch rechte Gewalt in Deutschland.

Der Staat, seine Behörden und seine Ermittler unterschätzen die Gefahr durch rechtsextremistische Gewalttäter und Mörder. Innenminister und BKA verweisen immer wieder auf die Bedrohung durch islamistischen Terror und Linksextremismus. Der Verfassungsschutz hat noch in diesem Jahr ein „Aussteigerprogramm“ für Linksradikale gestartet, der bayerische Innenminister Joachim Herrmann kämpft auf einer Internetseite gegen linke Extremisten und fordert sogar ein Verbot der Linkspartei.

Heribert Prantl appelliert heute in der Süddeutschen Zeitung an den Staat „Nehmt die braune Gefahr endlich ernst! und schreibt hierzu unter anderem:

„Wäre das zu RAF-Zeiten vorstellbar gewesen? In jedem Postamt, an jeder Anschlagsäule hätten Suchplakate geklebt. Und: Könnten muslimische Bombenbastler so lange unentdeckt in Deutschland leben? Zu konstatieren ist also eine merkwürdig träge Gleichgültigkeit; womöglich verbirgt sich dahinter ein Verfassungsschutzskandal – eine heillose Unprofessionalität verbunden mit einer Na-ja-Haltung, die zum Ausdruck bringt: So richtige Terroristen seien Rechtsextremisten ja nicht.“

Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich warnt in mehreren Presseerklärungen vor einem „neuen Rechtsterrorismus“ in Deutschland. Im Zusammenhang mit 146 Todesopfern in den letzten 20 Jahren von einer „neuen“ Entwicklung zu sprechen, zeugt mindestens von ideologischer Ignoranz. Seine entschiedene Weigerung, über ein Verbot der NPD auch nur nachzudenken, sendet gleichzeitig ein deutliches Signal an die rechte Szene. Selbst der Minister verwendet in seinen Statements nach wie vor den Begriff „Döner-Morde“ und verweigert damit den Opfern und ihren Angehörigen den Respekt, während er Tätern und rechten Sympathisanten Bagatellisierung suggeriert.

Es ist nur eine Frage von Tagen, bis die Law & Order Politiker die Taten okkupieren werden, um wieder einmal nach Vorratsdatenspeicherung, Online-Durchsuchungen und anderen Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen zu rufen. Dabei wäre bereits deutlich mehr gewonnen, wenn sich der Verfassungsschutz endlich aus seinem Engagement innerhalb rechtsextremistischer Gruppierungen zurückziehen und seine Verbindungen zu dem Tätertrio aus Zwickau aufklären würde.

Es fehlt in Deutschland weder an Gesetzen noch an Ermittlungsbefugnissen oder Kontrollmechanismen. Alleine die Bereitschaft, rechte Straftaten mit demselben Engagement und derselben Überzeugung zu verhindern, aufzuklären und zu verfolgen wie Delikte mit linksextremistischem oder islamistischen Hintergrund, lässt hierzulande deutlich zu wünschen übrig.

 



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