Erleuchtete Aktivität entfalten

Von Rangdroldorje

Über Mantra-Heilen und die Anwendung von Mantras für bestimmte Zwecke ist gewiss schon viel geschrieben worden. Auch verschiedenste CDs mit allerlei Aufnahmen von Heilmantras zum Anhören und als Begleitung für Meditation sind am esoterischen Markt erhältlich. Doch kaum ein Buch oder eine CD enthält authentisches Material mit den entsprechenden Anleitungen dazu.

In der buddhistischen Tradition findet man zahlreiche Sammlungen mit Aktivitätsmantras, die entweder bereits in den Sutras überliefert wurden und Dharanis (tib., gzungs) genannt werden und magische Formeln darstellen, oder viele Mantra-Aktivitäten in Verbindung mit der Praxis der drei Wurzeln von Guru, Deva und Dakini bzw. Dharmapala. Will man die Mantra-Aktivität entfalten, dann ist eine Ermächtigung in die entsprechende Praxis und deren Vollendung erforderlich. Grundsätzlich kennt man einmal drei Arten von Rezitation der Mantras: 1) Annäherung; 2) Vollendung; und 3) Aktivität. Jede dieser Rezitationsklassen ist mit einer speziellen Visualisation verbunden, ohne die die Wirksamkeit des Mantras nicht eintritt.

Mudra, Mantra und Samadhi

Die magische Erschaffung von Mandala und Gottheit – also Welt und Wesen – durch Imagination im Rahmen der Erzeugungsstufe wird auch als Mudra (tib., phyag rgya) genannt, womit die symbolische Form der Gottheit gemeint ist. Im Rahmen dieser Ausführung übt sich der Praktizierende in den Stufen der Versenkung mittels Stütze auf eine spezifische Figur und ihre Umgebung – dem Mandala. Diese Vertiefungen werden durch Handlungen wie Gabendarbringung und Lobpreisungen intensiviert, sodass der Yogi von dieser Meditation völlig durchtränkt ist. In weiterer Folge wird durch Mantra und Samadhi – also durch magischen Wirkspruch und meditativer Konzentration – die jeweilige Meditation und Aktivität praktiziert.

Nach dem Darbringen von Gaben und den Lobpreisungen folgt die erste Rezitation und Visualisation, die als Annäherung (tib., bsnyen pa) bezeichnet wird. Die Annäherung dient einem weiteren Vertrautwerden als Meditationsgottheit. Im Rahmen der Praxis wird dabei mit zwei bis drei Ebenen von Wesensformen gearbeitet, von dem die innerste Essenz in Gestalt der Keimsilbe mit dem Mantra erscheint. Dadurch wird ein Selbstverständnis von einem selbst als Meditationsgottheit und der Welt als Mandala manifestiert. Bei vielen tantrisch Praktizierenden wird diese Stufe der Rezitation und Visualisation sehr ausführlich durchgeführt. Wenn man im Rahmen der gesamten Liturgie bestimmte Aktivitäten ausführen möchte, wie beispielsweise das Aktivieren der Einweihungs- und Reinigungsvasen, dann wird die entsprechende Rezitationspraxis an dieser Stelle hier eingefügt.

Die zweite Rezitationsklasse wird als „Vollendung“ (tib., sgrub pa) bezeichnet und in der damit verbundenen Visualisation werden die Siddhis, die spirituellen Verwirklichungen der Buddhas und Bodhisattvas der drei Zeiten und zehn Richtungen, der drei Wurzeln usw. empfangen. Erst wenn man diese Rezitationsstufe gemeistert hat, tritt die Vollendung der Praxis ein und man hat entsprechende spirituelle Verwirklichungskraft, um erleuchtete Aktivitäten auszuführen. So mancher Praktizierender hat schon versucht, sich in allen möglichen Aktivitäten zu betätigen, hatte aber die beiden Stufen von Annäherung und Vollendung nicht erfüllt. Das Ergebnis war dann dementsprechend dürftig. Meist zeigen sich solche Zauberlehrlinge dadurch, dass sie ihre eigenen Probleme bei anderen wahrnehmen und diese dort dann zu heilen versuchen. Daher ist jedem Praktizierenden, der nach dem Ausführen von Buddha-Aktivitäten strebt, anzuraten, zuerst die dafür nötigen Grundlagen und Voraussetzungen zu erfüllen. Sobald aber diese Vollendung erreicht ist, werden diese vier Aktivitäten direkt als Aspekte erleuchteten Aktivitäten zum Nutzen anderer ausgeführt.

Die dritte Klasse der Rezitation ist die der Aktivität (tib., las byor), womit die Buddha-Aktivität gemeint ist. Für gewöhnlich kennt man vier Buddha-Aktivitäten (tib., ‚phrin las bzhi) bzw. vier Arten magischer Handlung, die mit vier Farben verbunden sind. Die weiße, befriedende Aktivität (tib., zhi ba) dient dem Befrieden von Konflikten, dem Heilen von Krankheiten und dem Beruhigen von Hunger und Not. Die gelbe, vermehrende Aktivität (tib., rgyas pa) wird zum Ausdehnen der Lebensspanne und dem Anwachsen von Verdienst eingesetzt. Die rote, kontrollierende oder magnetisierende Aktivität (tib., dbang ba) hilft, Herrschaft über die drei Bereiche zu erlangen und die Welt und Wesen unter Kontrolle zu bringen. Die blaue (grüne oder schwarze), zornvolle Aktivität (tib., drag po) dient dem vernichten feindlicher Kräfte. Dabei kennt man zehn Arten feindlicher Kräfte, die durch die zornvolle Aktivität einer direkten Befreiung zugeführt werden.

Um diese erleuchteten Aktivitäten auszuführen, visualisiert sich der Praktizierende in der Form der Meditationsgottheit und führt die erleuchteten Aktivitäten durch die Visualisation von entsprechenden Lichtstrahlen aus.

Die erleuchtete Aktivität (tib., ‚phrin las) ist die Aktivität der Buddhas zum Wohlergehen der Wesen. Sie ist durch drei Aspekte charakterisiert. Sie ist ihrer Natur nach dauerhaft, alles durchdringend und mühelos präsent (tib., rtag khyab lhun grub). Die erleuchteten Aktivitäten sind allerdings nur Teil der inneren oder höheren Tantras. Man findet diese Art der Aktivität weder in den äußeren Tantras, noch im Sutrayana, wo der Arhat lediglich in einem ewigen untätigen Frieden verweilt oder Bodhisattvas nur Bodhisattva-Aktivitäten ausführen.


Der nächste Beitrag handelt dann vom Mantra-Heilen. Bleibt also dran!