11.04.2010Artikel zu Iran Hintergrund erstellt von Parastou Forouhar
Parastou Forouhar lebt als Künstlerin in Deutschland. Sie reist hin und wieder in den Iran, um auf die wirkliche Aufklärung des Mordes an ihren prominenten Eltern zu drängen. Ihre letzte Reise in den Iran hat sie dokumentiert und bittet um die Verbreitung dieses Zeugnisses, zugleich als Dank für die Unterstützung, die sie erfahren hat, gedacht.
Parastou Forouhar
Ich flog am 09.November nach Teheran. Wie stets, irritierte mich die groteske Willkommensansage im Flugzeug, vorgetragen von einer verführerischen weiblichen Stimme, die einen imaginären Gruß an die Märtyrer der Islamischen Revolution und des „Heiligen Krieges“, an den verstorbenen und den noch lebenden Führer der Revolution und – nicht zuletzt – an die verehrten Passagiere richtete. Dieser bizarre Gruß erinnerte mich an die herrschenden Verhältnisse in Iran.
Während des Fluges wurden Reisgerichte serviert und es gab einen Liebesfilm mit Hang zur Komödie, erotisch aufgeladen, jedoch ohne die Darstellung jeglicher Körperkontakte. Eine Kunst, die die iranischen Regisseure kommerzieller Filme meisterhaft beherrschen.
Schon im Vorfeld der Reise wurde ich bedrängt, im Hinblick auf die brisante politische Situation in Iran, von einer Reise abzusehen. Das stand allerdings für mich nicht zur Diskussion.
Eigentlich hatte ich damit gerechnet, dass die Agenten des Geheimdienstes mich schon bei der Einreise am „Imam-Khomeini-Flughafen“ aufsuchen würden, um mir ihre Omnipräsenz vorzuführen und um mir Angst zu machen. Ich war erleichtert als dies nicht geschah.
Auf dem langen Weg nach Hause schaute ich neugierig aus dem Fenster, um vielleicht ein Zeichen der Veränderung, einen Hinweis auf die Präsenz des Volksaufstandes zu entdecken.
Die Schilder entlang der Autobahn zeigten die gleiche groteske Mischung wie die Willkommensansage im Flugzeug: Neben der Werbung für Mobiltelefone und Luxusartikel, kalligraphierte Moralsprüche aus dem Munde religiöser Führer. Ein krampfhaftes Ringen um die Symbiose zwischen den Banalitäten der modernen Konsumwelt und den ideologischen Parolen des Gottesstaates. Diese Tendenz, die seit Anfang der 90er Jahre in den unterschiedlichsten Bereichen ein wucherndes Wachstum zeigt, fasziniert mich jedes Mal aufs Neue.
Die Autobahn führt am Zentralfriedhof vorbei, wo meine Eltern begraben liegen, vorbei am gigantischen Mausoleum des Imam Khomeini, mit seinen goldenen Kuppeln und einer kilometerlangen Reihe von Scheinwerfern, und weiter, vorbei an Gemüsefeldern, von denen das Gerücht umgeht, sie würden mit dem Abwasser der Teheraner Haushalte bewässert werden.
Kaum in der Stadt angekommen, erschrecke ich über die veränderte Lichtsituation. Der ehrgeizige Bürgermeister von Teheran, der sich gegen seinen Vorgänger Ahmadinejad zu profilieren versucht, hat auf jeder freien Fläche eine aufdringliche Installation greller Lichtstreifen angeordnet. Auch die gut gepflegten Grünanlagen auf den Plätzen sind mit den unterschiedlichsten grellen Lichtspots angeleuchtet.
Ich schaue mir die surrealistische Atmosphäre an und versuche meine Ratlosigkeit zu überwinden, während ich nach einer guten Farsi – Übersetzung für das Wort „Penetranz“ und den Begriff „aufgemotzte Banalität“ suche.
Irgendwo im Herzen dieser Stadt, in einem alten Viertel und dort, in einer engen Gasse, liegt mein Elternhaus, das Ziel meiner Reise.
Es ist ein Raum zu dem ich ambivalente Beziehungen habe, ein Raum der Gegensätze. Einerseits ein Ort, an dem ich aufgewachsen bin, Liebe und Geborgenheit erfahren habe und wo ich die Hoffnungen und Ideale meiner Eltern kennen lernte. Ein Ort, erfüllt von ihrem Leben, ihrem Lachen und ihrer Aufrichtigkeit. Andererseits aber auch ein Ort, der zum Tatort ihrer Ermordung wurde – wo die Schmerzensschreie ihrer Todesnacht widerhallen!
Es ist ein Ort wo das Schöne und das Schreckliche nicht voneinander zu trennen sind.
Dort zurückzukehren ist eine schwierige Aufgabe – jedes Mal aufs Neue.
Ich zähme die Trauer in mir und lache meine Tanten an, die sich im Haus versammelt haben, um mich willkommen zu heißen. Der alte Haushälter meiner Eltern drückt liebevoll sein bärtiges Gesicht an das meinige und serviert mir, noch bevor ich mich hingesetzt habe, ein Glass Tee.
Die Ankunft ist aber auch deshalb schwer, weil ich jedes Mal prüfend und besorgt herumschaue, um herauszufinden, in wie weit sich die zersetzende Präsenz von Verlassenheit und Vergessenheit im Haus ausgebreitet hat. Ein nicht bewohntes Haus vor Verlassenheit zu bewahren ist nicht leicht. Es ist meine Aufgabe dieses Haus mit Kontinuität zu füllen, eine Kontinuität der Präsenz meiner Eltern, die mit ihrem Leben aber auch mit ihrem Tod zu tun hat.
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Die Gedenkfeier für meine Eltern wird von einem Komitee, das aus ihren früheren politischen Weggefährten zusammengesetzt ist, mitorganisiert. Es sind ältere Herren aus wenigen, kleineren politischen Gruppen, die seit Jahrzehnten ihre kritische Haltung gegenüber dem System bewahren konnten. Unter ihnen sitzen zwei Minister aus dem ersten Kabinett nach der Revolution. Sie alle kennen meine Eltern seit ihrer gemeinsamen Jugend. Einige hatten wegen deren Radikalität gegenüber dem Islamischen Regime, Differenzen mit ihnen. Trotzdem gehörten sie alle einem Lager an. Ich kenne sie seit Jahren. Zu manchen von ihnen habe ich eine fast familiäre Bindung. Für diesen Kreis ist es wichtig, dass ich als Angehörige der Opfer, den ersten Aufruf zum Gedenken übernehme. Ihr Aufruf folgt dann dem meinigen.
Durch diesen rituellen Bezug auf die Tradition mit ihrer allgemein akzeptierten Selbstverständlichkeit, wird die politische Brisanz des Vorhabens, in der Hoffnung auf eine besänftigende Wirkung, gedämpft.
Die versammelte Runde ist sich einig, dass auch dieses Jahr ein Verbot der Gedenkfeier angeordnet werden wird. Einige unter ihnen waren bereits in diesem Zusammenhang von den Agenten des Geheimdienstes kontaktiert und vorgewarnt worden.
Bei dieser Begegnung spüre ich deutlich, dass die Anwesenden nur am Rande jener Bewegung stehen, die zurzeit die iranische Gesellschaft erschüttert. Sie bemühen sich, die Bewegung zu analysieren und sprechen, in einer Mischung aus Bewunderung und Befremden, von der Jugend des Landes als den Motor der Bewegung. Sie sind sich darüber bewusst, dass sie kaum Einfluss auf das Denken und Tun dieser Jugend haben. Ich hatte das Gefühl, dass diese versammelten alten Politiker von ihrer Rolle als Führer einer oppositionellen Bewegung verdrängt worden sind. Wenn sie Glück haben, werden sie im Rückblick, lediglich als ein dünnes Bindeglied in der Kontinuität der Opposition wahrgenommen werden. Sie strahlen eine Mischung aus Überforderung und Passivität aus.
Überfordert ist man aber nicht nur in dieser Runde.
Schon am selben Tag hatte ich ein andres Treffen. Die Teilnehmer waren alle Frauen in meinem Alter, alle Aktivistinnen der Frauenbewegung. Frau Mansoureh Shojaie hatte das Treffen einberufen um die Planungen zur Gründung eines Frauenmuseums in Iran voranzutreiben. Eine Idee, die hauptsächlich von der Beharrlichkeit von Mansoureh lebt.
Das Frauenmuseum soll eine virtuelle Datenbank anlegen und in regelmäßigen Zeitabständen durch thematische Ausstellungen aktiv werden. Diese Idee laviert, wie viele solche Vorhaben, die die Paranoia und die Schikanen der Kontrollorgane des Regimes herausfordern, am Rande der Machbarkeit. Es geht um das alte bekannte Prinzip, kleine Zellen zu bilden, um sie durch Kontinuität und Innovation zu erweitern. Mansourehs engste Freundin und Mitstreiterin ist skeptisch und ungeduldig. Ihre gesamte Aufmerksamkeit ist auf die Ereignisse auf den Strassen, dem Hauptort des Protests, gerichtet, wo Unerwartetes und Wertvolles passiert. Die Erregung hat sie wie ein Zauber in ihrem Bann gezogen. Alle anderen Aktivitäten verlieren dem gegenüber an Dringlichkeit. Sie würde selbstverständlich am Projekt des Frauenmuseums mitmachen, würde aber am liebsten demonstrieren und davon erzählen. Sie sagt, dass sie bei der Findung einer Balance zwischen ihrem alltäglichen und beharrlichen Kampf als Frauenrechtlerin und der Geschwindigkeit und mitreißenden Kraft der Volksbewegung überfordert ist. Um ihren Hunger nach Aktivismus zu stillen, hatte sie sich eine neue Aufgabe gestellt. Sie hatte sich einen kleinen Camcorder gekauft, um „Bürgervideos“ zu drehen. Ein Videofilm zu jedem Anlass, Dokumentarfilme als politische Bestandsaufnahme. Sie will mich unbedingt filmen.
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Ich hatte schon im Internet Bilder von der Kopfverletzung des Habibollah Peyman gesehen- eines siebzigjährigen prominenten Oppositionellen, der bei einer Demonstration geschlagen worden war. Ich kaufte einen Blumenstrauß und besuchte ihn in seiner Wohnung. Er sprach vom „Geist der nationalen Kultur Irans“, der jetzt agiere und die Merkmale der Bewegung bestimme. Merkmale wie Toleranz, Friedfertigkeit und Unterminierung statt Konfrontation. Er erzählte mir begeistert von seinen Beobachtungen während der Demonstrationen und wie der Charakter der Bewegung von der Initiative der Jugend bestimmt wird.
Er sprach über die Schlägertrupps des Regimes als ein erstzunehmendes Hindernis auf dem Weg zu einer demokratischen Kultur. Dieser Mob käme aus einer Gesellschaftsschicht, die im Laufe der zeitgenössischen iranischen Geschichte, schon immer als Instrument zur Stabilisierung repressiver Regime beigetragen habe. Sie seien nicht so einfach zu beseitigen, sondern könnten nur durch langfristige konstruktive Ansätze und mit den Mitteln der Toleranz gezähmt werden.
Wie viele aus seiner Generation, die die Radikalität in den Anfangsjahren der Islamischen Republik mitgeprägt haben, hat auch er, im Laufe der Jahre, gegenüber jeglicher Radikalität eine Aversion entwickelt. So möchte er sogar dem Mob gegenüber nicht radikal vorgehen und sieht in der Radikalität der „Jugend“, die sich bei den Protestaktionen entwickelt, eine mögliche Gefahr.
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Wenige Tage nach meiner Einreise, nahm ich an und an einem Nachmittag an einer Trauerzeremonie für die verstorbene Mutter eines bekannten Intellektuellen aus dem säkularen, den Reformisten nahe stehenden Lager, teil. Er hat viele Freunde und Bewunderer unter den Kulturschaffenden, wozu auch ich gehöre. Die Moschee in der die Zeremonie stattfindet, ist leerer als ich erwartet habe. Ein Zeichen dafür, dass noch nicht jede Möglichkeit zum Protest und zur Demonstration der eigenen Kraft ausgeschöpft wird. Gekommen ist jedoch Herr Karrubi, einer der betrogenen Präsidentschaftskandidaten, und wichtigen Figuren der grünen Bewegung. Am Ende der Zeremonie und beim Abschied, geht er an einer Gruppe von Frauen vorbei. Ich bleibe weiter im Hintergrund, um die Szenerie zu beobachten. Er ist freundlich und aufmerksam als träte er weiterhin bei einer Wahlkampfveranstaltung auf. Er wird von den Versammelten warmherzig begrüßt. Die Menschen sprechen ihm Mut zu oder bezeugen ihm ihre Bewunderung. In ihren scherzhaften und liebevollen Bemerkungen, äußert sich der merkwürdige Hang iranischer bürgerlicher Kreise, ihre Sympathien mit Verniedlichungen zur Sprache zu bringen. So wird aus einem 80-jährigen Geistlichen ein „niedlicher Kerl!“
Als Karrubis Auto vorfährt, fängt eine handvoll Männer aus dem Lager der paramilitärischen Schläger des Regimes an, sich bemerkbar zu machen. Sie schlagen mit flachen Händen auf die Motorhaube seines Wagens, rufen „Tod den Gegnern der „Velayate Faghih“ und rufen Karrubi einen arabischen Begriff zu, dessen Bedeutung ich nicht verstehe. Später erfahre ich aber, dass es sich hier um den Namen einer historischen Gestalt handelt, die wegen ihrer Naivität von den Gegnern des Propheten missbraucht wurde. Die Anhänger von Karrubi, die ihm liebevoll „Scheich“ nennen, bleiben ruhig und reißen verächtliche Witze über diesen Mob. Die gesamte Aktion dauert nur wenige Minuten. Karrubi steigt ein, verabschiedet sich winkend und formt die Finger zu einem Siegeszeichen.
Beide Seiten hatten ihren Auftritt. Vielleicht war aber der Anlass zu geringfügig, um ihn in eine Konfrontation ausarten zu lassen.
Am Ende der Trauerfeier ging ich zusammen mit einigen alten Freunden, die ich zum ersten Mal nach meiner Ankunft gesehen habe, einen Kaffee trinken. Ich bemerkte, dass ich beobachtet werde. Man kennt mich in Iran. Wenn die Leute mich erkennen, zeigen sie mir immer wieder ihre Verbundenheit und beobachten mich. Aber auch das Regime beobachtet mich – kontrolliert meine Kontakte, hört meine Telefongespräche ab, schickt seine Spitzel, um mich auszuhorchen. Jeder weiß, dass ich vom Geheimdienst beobachtet werde und die Reaktionen darauf sind unterschiedlich.
Unter meinen Freunden gibt es einige, die den öffentlichen Kontakt zu mir meiden. Sie rufen mich weder zu Hause an, noch erscheinen sie zur verbotenen Gedenkfeier an meine Eltern. Sie möchten der Gefahr, von den Geheimdienstagenten registriert zu werden, entgehen. Dort, wo diese Gefahr weniger vorhanden ist, führen wir eine herzliche Beziehung. Dann nennen wir diese Agenten „James“ und reißen Witze über sie. Obwohl ich ihr Verhalten verstehe, bin ich immer wieder davon gekränkt. Beim Kaffee erzählen sie mir aber von ihren zahlreichen Erlebnissen bei den Demonstrationen, von den Konfrontationen mit den Sicherheitskräften, von Flucht und Beharrlichkeit, von gegenseitiger Hilfe und Unterstützung. Auch sie sprechen in diesem Zusammenhang immer wieder und hoffnungsvoll von „der Jugend“!
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Ich habe allerdings auch andere Freunde in Iran. Es sind Freunde, die ich im Laufe der letzten elf Jahre im Kampf um die Aufklärung der politischen Morde, gefunden habe. Viele von ihnen sind jünger als ich. Sie haben keine Erinnerung an die Revolution von 1979 und sie haben die Angststarre der 80er Jahre nicht bewusst erlebt. Sie waren alle engagierte Journalisten oder Aktivisten der Studentenbewegung während der Reformzeit. Bei vielen hatte allerdings der Optimismus schon während der achtjährigen „Zeit der Reformisten“ nachgelassen. Sie schufen sich danach eigene Räume für ihr Engagement und erweiterten damit auch den offiziellen politischen Raum.
Als die reformorientierten Zeitungen, nach und nach verboten wurden, fingen diese Aktivisten an, in Blogs und Webseiten zu schreiben. Um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können, nahmen sie belanglose Jobs an. Ich habe Emailkontakte zu ihnen und sie besuchen mich in meinem Elternhaus, jedes Mal wenn ich in den Iran reise. Sie führen immer wieder Interviews mit mir und machen Fotos von sich selbst und mir, vor der Kulisse der zahlreichen politischen Bilder meiner Eltern, die ich an den Wänden aufgehängt habe. Aufnahmen, die nicht oder nicht vollständig veröffentlicht werden können und vielleicht für bessere Zeiten aufbewahrt werden. Diese Kontakte sind mir wertvoll, da mich die besondere Mischung aus Pragmatismus, Aufrichtigkeit und Verletzbarkeit, die diese jungen Leute ausstrahlen rührt.
Einer dieser Freunde –nennen wir ihm Ali - besuchte mich einige Tage nach meiner Ankunft.
Ali schreibt für eine der wichtigsten Webseiten der „Grüne Bewegung“ und hatte schon Tage vor meiner Abreise per Email angekündigt, dass er mich nach meiner Ankunft, in Begleitung von einigen Freunden, besuchen möchte, um mit mir ein Interview für seine Internetseite zu führen. Ich habe mit Begeisterung zugesagt, da ich mich bemühte, mein Anliegen mit den Forderungen der „Grüne Bewegung“ zu verbinden.
Aus der Ferne betrachtet, hatte ich immer den Eindruck, dass sich die „Grüne Bewegung“ gegen das demokratische Potential der Protestbewegung sperrt oder die entsprechenden Themen und Verweise auf die Geschichte des demokratischen Widerstandes in Iran nicht genügend wahrnimmt. Ich sah darin eine Art Strategie der Verweigerung und des Ausschlusses, die die Reformisten gegenüber anderen Oppositionellen schon immer anwendeten.
Ich war aber auch sehr neugierig auf Anzeichen der Veränderung, die der Rebellion möglicherweise bei ihnen herbeigeführt hatte.
Ali kam alleine. Er sagte dass die anderen aus Vorsicht, auf den Besuch verzichtet hätten, dass sie mir aber schöne Grüsse ausrichten würden. Das Gespräch mit ihm dauerte lange und entwickelte sich zu einer der interessantesten Begegnungen meiner Reise. Er fragte mich am Anfang, wie ich die Grüne Bewegung einschätze und welche Merkmale meiner Ansicht nach, diese Bewegung auszeichneten. Ob sie ihrem Charakter und Ziel nach eine Folge der Revolution von 1979 sei oder doch eine Art gegenrevolutionäre Bewegung und wo die Unterschiede zwischen diesen beiden Bewegungen lägen? Ist die „Grüne Bewegung“ eine reformistische oder eher eine umstürzlerische Bewegung?
Nach dem Interview, stellte ich ihm seine eigenen Fragen!
Er meinte, dass der Grüne Bewegung einen geschichtlichen Wendepunkt in Iran darstelle – so wie der Revolution von 1979 mit der Gründung der islamischen Republik. Und dass diese Bewegung von seiner Natur her auf einen Sturz des Regimes abziele. Auch Herr Musavi, der immer mehr zu einer glaubwürdigen Führerfigur der Bewegung geworden sei, sei sich dieser Tatsache bewusst. Seine Aufgabe sei jedoch die, den Preis, den die Gesellschaft dafür zu zahlen habe, zu verringern. Daher wäre es nur von Vorteil, wenn er seine weltanschaulichen Bindungen zum Regime nicht kappen und den Dialog nicht verweigern würde.
Auch er sprach mit Bewunderung von der „Jugend des Landes“, die diese Bewegung bestimme. Ich frage überrascht, ob er sich denn nicht selber zu dieser Jugend zähle, da er doch gerade 30 geworden sei? Er erzählte mir von aufregenden Szenen bei den Demonstrationen, wo die Initiative auf der Strasse in den Händen von denjenigen gelegen habe, die viel jünger seien als er. Er sprach vom 25. Khordad (15. Juni) als ein Datum an dem er die unerwartete und gewaltige Ausbreitung der Volksbewegung als ein historisches Moment erlebt habe und dass an diesem Tag jeder diesen Zauber gespürt habe und noch jetzt davon zehre. Viele hätten davon gesprochen, dass es sich gelohnt habe, nur für diese Erfahrung auf der Welt gewesen zu sein.
Ich hörte ihm neidisch zu und versuchte meinerseits diesen Zauber aufzuspüren. Ich merkte aber, dass die Anziehungskraft meiner eigenen Erfahrung aus der Revolutionszeit, mich in die Vergangenheit gezogen hatte und genau da wurde die große Differenz zwischen uns sichtbar. Für ihn sei die Islamische Republik mit alle ihren Merkmalen eine logische und unausweichliche Folge der Revolution von 1979. Für mich aber sind, noch nach so vielen Jahren, die Revolution und die Islamische Republik zwei grundverschiedene Phänomene, mit denen ich entsprechend unterschiedliche persönliche Erfahrungen verbinde.
Später kam mir in den Sinn, dass diese Jugend, von der überall gesprochen wird, gewisse Ähnlichkeiten mit der 68er-Zeit vorweist. Eine Jugend, die gegen Bevormundung und Lüge rebelliert, gegen strukturelle Hierarchien kämpft und sich von ihnen zu emanzipieren versucht und die bei ihren Zusammenkünften eine Art karnevaleske, fröhliche und gewagte Atmosphäre kreiert.
Sicher sind da auch viele Unterschiede, beispielsweise die Tatsache, dass die heutige Rebellion in Iran auch von den Älteren mitgetragen wird.
Mit Ali sprach ich auch über den sentimentalen Unterton, der in viele Schriften der „Grüne Bewegung“ herauszuhören ist. Diese Sentimentalität mit manchmal auch einem Hang zum Kitsch, zeige sich am deutlichsten in den offenen Briefen von Familienangehörigen namhafter Gefangener aus den Reihen der Rformisten, die durchweg fromme Muslime sind. Die Briefe beginnen „im Namen Gottes” und sind an die „geliebten“ Ehemänner oder Väter gerichtet. Die Sehnsucht der Verfasser drückt sich in Begriffe wie „ der unschuldige Blick“ , „die tapfere Schulter“ oder andere symbolische Körperbeschreibungen aus und ähneln so kitschigen Balladen. Diese Sprache dient dazu, die in der schiitischen Tradition zentral verankerte Opferbereitschaft für sich zu reklamieren und sie als emotionale Waffe gegen die Repression einzusetzen. Die Offenheit im Umgang mit Gefühlen, die in einigen Fällen sogar erotische Züge annimmt, wirkt in solchen religiösen Kreisen als deplaziert und manchmal auch grotesk! Ich versuche Ali den Begriff „Kitsch“ zu umschreiben, weil ich dafür in Persisch keine Entsprechung finde.
Ali, der selbst aus einer traditionellen, religiösen Familie stammt, zeigt seine Abneigung solche Schriften gegenüber in einem herablassenden, ironischen Ton, meint aber, solche Briefe besäßen wegen ihrer großen Popularität eine gewisse Legitimität.
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Bereits einige Tage vor dem Todestag meiner Eltern wurden die Überwachungsmaßnahmen gegen uns verschärft. Die Anzahl der Agenten in unserem Viertel wurde sichtbar erhöht und sie zeigten sich selbst auffälliger. Die Telefonleitung wurde willkürlich unterbrochen und die aggressiven Geräusche von Motorrädern der paramilitärischen Schlägertrupps, die unsere Straße passierten und immer wieder vor unserer Haustür scharf bremsten, häuften sich. Das Geräusch von Motorrädern ist in Teheran nicht nur für mich zu einem Warnsignal für die Ankunft von Schlägertruppen des Regimes geworden.
Dann wurde ich angerufen und vorgeladen. Wie in den letzten 5 Jahren, kündigten mir die Vertreter der Sicherheitskräfte offiziell das Verbot an, den Gedenktag abzuhalten. Einige dieser Agenten kannte ich schon aus den Jahren zuvor. Ihr Chef, dessen Nachname ironischerweise „Sheriff“ heißt, sagte mir, er und seine Männer würden, wie in den Jahren zuvor schon, nur die Befehle ausführen, die von oben angeordnet würden. Sie seien an diese Befehle gebunden und ich sollte mit ihnen nicht über mein Anliegen diskutieren.
Ich machte es trotzdem! Wie schon in den Jahren zuvor!
Im Protokoll, das mir zur Unterschrift vorgelegt wurde, war als Begründung des Verbots „Verkehrsprobleme“ angegeben. Ich lachte unwillkürlich und machte ironische Bemerkungen darüber. Herr „Sheriff“ sagte: „Frau Parastou! Sie sind eine erfahrene Frau und wissen, dass es sich hierbei nur um eine Formalität handelt!“
Ich erwiderte, ich sei erstaunt darüber, dass die Lüge in einem islamischen System zu einer Formalität geworden sei. Das überhörte er! Offensichtlich wollte er nur den bürokratischen Vorgang zu Ende bringen.
Wie jedes Jahr, in den Abendstunden vor dem Todestag, liegt die Zeit schwer wie Blei über das Haus. Es sind die letzten Stunden im Leben meiner Eltern und ich spüre ihr nahes Ende und zwar jedes Jahr aufs Neue. In diesen Abendstunden möchte ich die Zeit anhalten, möchte Schreien und Verfluchen. Ich möchte wie die Jugend des Landes rebellieren – gegen die Falle einer Diktatur, in der mein Schicksal gefangen ist. Schweigsam breite ich mit meiner Tante und dem alten Haushälter die Teller mit der traditionellen Süßspeise zu Trauerfeierlichkeiten vor, die in der Nachbarschaft als Andenken an die Toten in diesem Haus, als Gabe verteilt werden sollen. In der Dunkelheit des Hofes überreiche ich die angerichteten Teller an der Haushälter damit er die leere Strasse entlang, von Tür zu Tür geht, dort klingelt und die Teller überreicht.
Mitten in diesem Vorgang kommt er aufgebracht zurück und schimpft leise über die Agenten, die ihm verboten haben, die Süßspeisen weiter zu verteilen. Ihm war gesagt worden, er solle nicht wieder rauskommen, sonst würde er verhaftet. Ich fraß meine Wut in mich hinein und kehrte schweigsam ins Haus zurück. Tage darauf erzählte ich diesen Vorgang bei meinen Interviews immer wieder und spürte dabei ein wenig Genugtuung.
Als ich am 22. November um Halbacht aufwachte, erfuhr ich vom Haushälter, dass die Strasse schon gesperrt sei und die Agenten sich postiert hätten. Zwei Stunden später, berichtete er jedoch, dass die Absperrungen abgebaut und die Agenten spurlos verschwunden seien. Für mich roch es nach Gefahr. In meinem Kopf rattern die Bilder von aggressiven bärtigen Schlägern, wie sie in das Haus eindringen und alles kurz und klein schlagen.
Ich überlegte mir, dass die Sicherheitskräfte nicht anwesend sein wollten, wenn ein weiteres offensichtliches Verbrechen in diesem Hause geschieht und sie sich deshalb zurückgezogen haben.
Ich rufe einige ältere Freunde meiner Eltern an und bitte sie zu kommen. Auch sie spüren die Gefahr. Einer von ihnen, der mir sehr nahe steht, bittet mich inständig, das Haus zu verlassen aber ich entgegne ihm noch aufgebrachte, dass ich so etwas um keinen Preis tun würde!
Ich gehe im Hof hin und her, telefoniere herum und mobilisiere meine Bekannten, damit, sollten die Schlägerkommandos tatsächlich einen Angriff ausführen, das Risiko und die Hemmschwelle höher wäre.
Ich verfolge angespannt die unseligen Motorradgeräusche und muss doch lachen als meine Tante und der Haushälter zwei Besenstiele als Verteidigungswaffe neben die Eingangstür stellen.
Als die alten Weggefährten und Freunde meiner Eltern einer nach dem anderen eintreffen, tauchen auch die Agenten wieder auf, die Strasse wird wieder abgesperrt und die Herren werden aufgefordert das Haus zu verlassen. Als ich vor der Tür Herrn „Sheriff“ antreffe, frage ich ihn, was sie mit dieser Aktion bezweckt hätten. Er antwortete mir lakonisch, sie hätten nur geübt. Ich weiß immer noch nicht, ob die Gefahr, die ich gespürt hatte, real war oder eingebildet.
Schon ab Mittag klingelte das Telefon ununterbrochen und trotz der ständigen Störungen in der Leitung gab ich mehrere Interviews, sprach über die massive Präsenz der Sicherheitskräfte in kilometerweitem Radius um das Haus herum, über die unterschiedlichen Repressalien, die angewandt wurden, um das Andenken an das politische Verbrechen in Schweigen zu hüllen.
Am frühen morgen des darauf folgenden Tages, ging ich zusammen mit einigen wenigen Angehörigen und Freunde zum Friedhof, zum Grab meiner Eltern. Wenn immer ich in Iran bin, gehe ich jeden Freitag zum Grab meiner Eltern und jedes Mal lungern dort einige Agenten in Sichtweite zwischen den Gräbern herum. Sie beobachten und registrieren jeden Besuch. Aber an diesem Morgen stehen sie zahlreich um das Grab herum, in zivil und in Uniform. Sie haben Kameras dabei und filmen wie wir, eine Gruppe von zwölf Personen, Blumen auf dieses Grab legen. Ich kann das alles nicht verstehen. Die Handlungsweise der Kontrollorgane kommt mir so überzogen grotesk vor, dass ich darin eine Mischung aus Hysterie, Überforderung und Paranoia deute.
Dass das Andenken an meine Eltern von der Islamischen Republik so vehement bekämpft wird, erfüllt mich mit Genugtuung. So leben die beiden durch die Kraft, die sowohl von ihrem Leben als auch von ihrem Tod ausgeht und das Regime in Angst versetzt, weiter.
Zwei Tage danach gehe ich zum Treffen einer Frauengruppe, die sich „Mütter für den Frieden“ nennt. Die Versammlung findet in der kleinen Wohnung von Frau Aarabi, der Mutter von Sohrab statt, der Opfer der blutigen Angriffe der Sicherheitskräfte auf Demonstranten während der Sommerunruhen geworden war. Ich werde sehr herzlich aufgenommen. Für die Angehörigen der Opfer des Regimes bin ich im Laufe der Zeit zu einer Symbolfigur geworden, die ihre Schmerzen und ihren Protest verkörpert. Ich bin in diese Rolle hineingewachsen und versuche einen integrativen Ansatz zu finden, damit alle Opfer der politischen Gewalt, von den Hingerichteten in den 80-er Jahren bis hin zu den Opfern der politischen Morde danach und die Opfer bei den jüngsten Protestdemonstrationen mit einbezogen werden.
Ich schaue den unbändigen Schmerz dieser Mütter an, die versuchen, mit ihrem Verlust umzugehen. Ich rede von unserem Recht, auf Wahrheit und Gerechtigkeit zu beharren, ohne in die Falle von Rache und Gewalt hinein zu geraten. Obwohl mein Standpunkt für sie nachvollziehbar ist, bemerke ich doch, welch ein starkes Bedürfnis nach Vergeltung sie treibt. Ich kenne diese Gefühle sehr gut und weiß, wie sie zu ständigen, sabotierende Begleitern meines Verstandes geworden sind.
Bei diesem Treffen ging es auch darum, darüber nachzudenken, in wie weit die friedliche Haltung der Grünen Bewegung gegenüber der nackten Gewalt der Schlägerkommandos des Regimes standhalten kann. Viele der versammelten Frauen haben ihre Angehörigen bei den Hinrichtungswellen der 80er Jahre verloren und wissen, dass auch eine große Protestwelle abreisen kann, wenn der Gewalt zu groß wird.
Aber jede von ihnen versucht am friedlichen Ansatz festzuhalten - vielleicht auch, um angesichts der Brutalität, die eigene Menschlichkeit zu bewahren. Der Verzicht auf Gewalt und die Bereitschaft zum Dialog ist eine Errungenschaft der aktuellen Protestbewegung in der iranischen Gesellschaft. Eine Errungenschaft, die mühsam erreicht wurde und die man nicht so einfach aus der Hand geben möchte – auch wenn der Preis dafür an die Grenzen der Erträglichkeit geht.
Die „Mütter für den Frieden“ haben mir einen grünen Schal mit einem aufgedruckten Gedicht geschenkt: „In diesem Land, auf dieser Erde, werde ich nichts außer der Liebe pflanzen!“
In diesem Moment, in dem ich diesen Bericht schreiben, sitzen einige dieser Frauen in Haft.
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Am Freitag, den 25. November war die Eröffnung meiner Ausstellung in einer Galerie in Teheran, die von zwei alten Freunden von mir aus der Studienzeit in der Teheraner Kunstakademie betrieben wird. Einige Wochen vor meiner Abreise aus Deutschland hatten sie mich kontaktiert und mir vorgeschlagen, meine Arbeiten zu zeigen, weil die Kontrolle des Regimes über die Galerieausstellungen schwächer geworden sei. Jeder kleine Rückzug des Regimes wird genutzt, um den eigenen Lebensraum zu vergrößern. Trotzdem wussten wir, dass das Vorhaben ein Wagnis ist und gewisse Vorsichtmaßnahmen einfordert.
Die Einladungen wurden nur an sichere Adressen geschickt. Es gab keine Pressemitteilung und ich habe aus Rücksicht die Mehrheit meiner politischen Kontakte nicht informiert. Trotzdem war die Galerie bei der Eröffnung sehr voll. Die schwarzen Garne, die an den mit Helium gefüllten Ballons herunterhingen, wickelten sich um das Publikum. Der Raum war geladen mit Gefühlen und Gesprächen über den politischen Widerstand. Schon vor der offiziellen Eröffnung kam die schon oben erwähnte Freundin von Mansureh, um mich zu interviewen und eines ihrer ersten „Bürgervideos“ zu drehen. Ich erzählte ihr über die Arbeit, die ich dort zeigte. Sie trägt den Titel „Ich ergebe mich!“
300 identische weiße Ballons die mit hautfarbenen Figuren bedruckt sind, schweben unter der Decke eines weiß gestrichenen Raumes. An jedem Ballon hängt eine schwarze Schnur bis fast an den Boden herunter. Der Raum lädt zum Erinnern an die Kindheit und an die Sicherheit dieser Zeit ein.
Ich berichte über die ambivalente Präsenz von Schönheit in meinen Arbeiten und wie diese in Konfrontation zur Gewalt in sich zusammenbricht, über die Gleichzeitigkeit dieser Gegensätze und über die Überforderung, sie auszuhalten, weiter, über die Wahrnehmung des Verlusts von Sicherheit. Über die von Stichen zerrissene Brust meiner Mutter, die für mich die absolute Sicherheit bedeutet hatten und die ich vor 11 Jahren in der Teheraner Gerichtmedizin sehen musste, was für mich zum Verlust jeglicher Sicherheit führte.
Das „Bürgervideo“ wurde in Internet gestellt und verbreitete sich wie ein Lauffeuer. An den darauf folgenden Tagen, erhielt ich aus der ganzen Welt zahlreiche Anrufe von Freunden und Bekannten, die begeistert die übergreifende Energie dieser Aktion erfahren und weitergegeben hatten.
Die Ballons, die wir während der fünftägigen Dauer der Ausstellung zu einem kleinen Preis verkauften, wurden sehr beliebt und erzeugten bei ihren Besitzer Gedanken und Erlebnisse von Freiheit und Melancholie. Wenn man mir davon erzählte, hörte ich mit Dankbarkeit und Rührung zu.
Nach der Eröffnung ging ich mit meinen Künstlerfreunden zum Haus der beiden Galeriebetreiber um zu feiern. Ich hatte seit langem nicht so viel Spaß gehabt. Die Anspannung und Selbstkontrolle war weggeschmolzen. Wir hatten über die herrschenden Verhältnisse triumphiert und kosteten das aus.
Die immer wieder von Intellektuellen und Freunden geäußerten Bedenken, die ihren Optimismus benebelt hatten, waren verflogen. Es waren Bedenken darüber, ob „unsere“ Potentiale, die für den Widerstand mobilisiert worden sind, nicht wieder von den führenden Figuren der Bewegung für die Durchsetzung eigener Ziele missbraucht würden, ob man nicht noch einmal alles geben und am Ende doch getäuscht würde.
Sie erzählten von ihrem anfänglichen Vorbehalt, als „Sekulare“, sich auf die religiösen Parolen einzulassen, dass sie aber diesen Vorbehalt aufgeben müssten, um in der Bewegung aktiv bleiben zu können. Ich spürte in ihrer Argumentation erneut die Überforderung, zwischen der eigenen Haltung und der der „Grüne Bewegung“ eine Balance zu finden und eigene Parolen als Strategie zur Unterminierung des Alleinanspruchs des Regimes auf Auslegung der Religion zu formulieren. Ich dachte darüber nach, ob die
Wiedereroberung der Religion nicht ein emanzipatorischer Akt gegenüber dem Gottesstaat sein könnte.
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Am 5. Dezember hatten die Familienangehörigen der beiden ermordeten Schriftsteller Mohammad Mokhtari und Mohammad Jafar Pouyandeh und der iranischer Schriftstellerverband zum Gedenken an diese beiden Opfer der politischer Morde von Herbst 1998 aufgerufen. Die Versammlung sollte an dem Friedhof stattfinden wo die beiden Opfer nebeneinander begraben liegen. Ein Friedhof, der weit außerhalb der Stadt liegt. Zusammen mit Maryam und Siavosh, die Frau und der Sohn von Mohammad Mokhtari, fuhr ich zu dieser Versammlung. Kaum auf den Friedhof angekommen, wurde Siavosh von einigen uniformierten Agenten angesprochen und dazu gedrängt, den Besuch der Gräber kurz zu halten. Ihre Anordnung lautete: Keine Menschenansammlung! Siavosh, der in solche Situationen immer Ruhe und Überlegenheit ausstrahlt, erklärte den Agenten, dass es sich hier um die Würdigung zweier Kulturschaffender unseres Landes handele, die für ihre Dienste Respekt verdienten und dass niemand aus unseren Reihen an einer Eskalation interessiert wäre.
Trotz aller beschwichtigenden Bemühungen der Versammelten, wurden wir dennoch schon nach einer halben Stunde gezwungen, den Ort des Gedenkens zu verlassen, obwohl die Zeremonie auf zwei Stunden angesetzt war.
Die anwesenden Agenten hatten mit Rufen nach Verstärkung gedroht, die Versammelten angeschrieen und einige sogar immer wieder zur Seite gestoßen. Einige Meter abseits von den beiden Gräbern der Ermordeten, hatten sie sogar einige Totengräber angewiesen, ein Loch in der Boden zu graben, um durch diese Arbeiten einen weiteren Grund dafür zu schaffen, die Versammelten wegzuscheuchen.
Kurze Zeit nach Verlassen des Friedhofs, rief mich Mansoureh, die sich verspätet hatte, an. Sie klang irritiert und sagte, dass sie ganz alleine auf dem Friedhof sei und keine Spur von irgendeiner Versammlung zu sehen wäre. Die Blumen, die auf den beiden Gräbern hingelegt worden waren, hatte sie während unseres Gesprächs in dem ausgehobenen Erdloch entdeckt.
Ich hatte erwartet, dass an diesem Nachmittag mehr Menschen sich versammeln und dem Drängen der Agenten nicht so leicht nachgeben würden.
Die Jugend, die die Grüne Bewegung repräsentiert, aber auch die reformorientierte Opposition, die eine wegweisende Rolle in der Bewegung spielt, waren diesem Anlass ferngeblieben. Hier wurde mir erneut das fragile Bündnis, die die Opposition in einer Front zusammenhält, bewusst.
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Als ich am frühen morgen des nächsten Tages abreisen wollte, wurde ich am Flughafen von den Agenten des Geheimdienstes aufgehalten. Mein Reisepass wurde konfisziert und ich bekam eine Vorladung vor dem als Informationsministerium firmierenden Geheimdienst.
Als ich zwei Tage danach der Vorladung folgte, wurde mir gesagt, dass das Ausreiseverbot Folge einer Anzeige des Geheimdienstes gegen mich, die dem Revolutionsgericht vorliege, sei. Schon am selben Tag machte ich nach längerer Suche in der Gängen und Büros des verhassten und gefürchteten Sitzes des Revolutionsgerichts, die zuständige Abteilung ausfindig. Der Büroleiter der von meiner Situation überrascht schien, fragte mit leiser Stimme, warum man mir denn noch weitere Probleme bescherte, da man ja sogar die Gedenkfeier für meiner Eltern verboten hatte. Er tröstete mich und riet mir „brüderlich“ zur Geduld. Ich erwiderte in einem höflichen aber distanzierten Ton, dass Geduld üben im Laufe die Jahre zu einem meiner großen Stärken geworden sei. Und ich dachte gleichzeitig, dass auch mein Misstrauen gegenüber einem freundlichen Büroleiter und seine „brüderlichen Ratschläge“ von meinen langjährigen Erfahrungen mit dem System herrührten.
Als der Abteilungsleiter mich empfing begründete er die Anzeige mit meinen Interviews. Er sagte, genauere Inhalte dazu lägen ihm nicht vor und er müsse sich erst beim Geheimdienst informieren. Ich fragte ihn darauf, wie er denn ein Ausreiseverbot erteilen könnte, ohne sich vorher informiert zu haben. Er begründete es mit „Fluchtgefahr“. Ich solle mich auf einen langwierigen Prozess vorbereiten. Er habe viel zu tun und könne mich erst in einer Woche wieder empfangen. Ich solle aber vorher anrufen und mir einen Termin geben lassen, damit ich nicht unnötig lange warten müsse.
An diesen Tag hatte meine Tante darauf bestanden mich zu begleiten. Sie wartete zuerst vor der Geheimdienststelle und danach vor dem Gebäude des Revolutionsgerichts. als ich hineinging, nahm sie die Anrufe von besorgten Freunden entgegen, die sich über meine Situation informierten und die Nachricht weitergeleitet haben.
Erst nach diesen Besuchen sprach ich mit den Medien über meiner Situation. Während dieser Gespräche stand meiner Tante neben mir und versuchte mich mit ängstlicher Gestik zur Vorsicht zu ermahnen.
Mansoureh rief mich besorgt an und berichtete mir dass ihre Anwältin, Frau Nasrin Sotudeh, vorgeschlagen habe, mich in dieser Angelegenheit zu vertreten. Mansoureh selbst wurde im Laufe der letzten Jahre mehrmals vor Gericht gestellt und hatte seit fast zwei Jahren Ausreiseverbot.
Ich kannte Nasrin Sotudeh schon seit längerer Zeit. Uns verbinden gemeinsame Initiativen zu Frauen – und Menschenrechten, wie etwa die Gründung eines Frauenmuseums zu deren Kern-Komitee wir beide gehören.
Bei meinem Treffen mit Frau Sotudeh waren auch Mansoureh und ihre engste Freundin dabei. Es wurde ein neues „Bürgervideo“ gedreht mit Gesprächen mit Mansureh, mir und unserer gemeinsamen Anwältin über das Ausreiseverbot als ein Druckmittel des Regimes gegen seine Kritiker.
Schon im Vorfeld meiner Reise hatte ich versucht, mich mental auf härtere Reaktionen des Regimes vorzubereiten, mir unterschiedliche Situationen vorzustellen um meine Reaktionen durchzuspielen und meine innere Haltung zu festigen. Ich hatte mir vorgenommen, beherrscht und beharrlich zu bleiben. Die Reaktionen auf meine Situation waren überwältigend solidarisch und liebevoll. Die Besorgnis um mein Schicksal war so groß, dass ich sehr oft die Anrufer beruhigen musste, indem ich sagte, dass es mir ginge und ich das Ganze als einen verlängerten Aufenthalt in Iran sähe.
Nach einige Tagen und als dieses Ausreiseverbot insbesondere im Ausland auf große Kritik gestoßen war, bekam ich eine telefonische Vorladung zum Gespräch mit einem „Spezialisten“ des Geheimdienstes, der die Anzeige gegen mich veranlasst hatte.
Das Gebäude, in dem ich vorstellig wurde, kennt man in Teheran. Es wird das „ steinerne Gebäude“ genant, da die hohen und langen Mauern, die das Gebäude umschließen aus grauen Steinblöcken bestehen und die Härte dieser Mauer Angst und Unsicherheit verströmen. Kurz nach meiner Ankunft wurde ich in einen Raum gerufen in dem zwei mir schon bekannte Agenten mich erwarteten. Einer der Männer saß hinter dem Schreibtisch, der andere mir gegenüber. Dieser führte das Verhör. Er nahm eine aggressive Körperhaltung an und starrte mich bösartig an. Ich starrte zurück und dachte an eine Zeit als Agenten wie diese, die religiösen Vorschriften befolgten und Frauen nicht direkt ins Gesicht blickten. Nach einer Weile des gegenseitigen Anstarrens, fing der Agent an, mich mit lauter Stimme mit Anschuldigungen zu überschütten. Ich würde die Feinde des Landes bedienen und es gäbe sogar Berichte, wonach ich dafür Geld entgegen genommen hätte. Ich sei ein Propagandist gegen das Regime und würde die Gesetze brechen und Verbote missachten. Ich würde mit meinen Interviews provozieren und die Kreise meiner Aktivitäten und Kontakte würden stetig zunehmen. Außerdem warf er mir vor, im Ausland mit Konterrevolutionären zu verkehren. Ich würde sogar ohne Genehmigung im Iran ausstellen und ich würde im Ausland in Zusammenarbeit mit Theater- und Filmregisseuren Propagandastücke gegen das Regime produzieren. Ich missbrauchte die Kunst!
Irgendwann hatte ich angefangen, auf seine Beschuldigungen zu reagieren und wurde auch laut. Da kam jemand und machte die Tür zu. Um mich zu beruhigen, bat ich um einen Tee. Der, der mir gegenüber saß, stand auf, ging vor die Tür und bestellte Tee. Ich fühlte mich in diesem Moment überlegen.
Nach dem Aufbau dieser Drohkulisse aus Verleumdungen ging der Vernehmer zur zentralen Botschaft meiner Vorladung über: Das Regime sei bisher sehr geduldig mit mir gewesen, so könne es aber nicht weiter gehen. Ich müsste mit harten Konsequenzen rechnen und einen hohen Preis für mein Verhalten zahlen. Ich sollte ihm das Versprechen geben, nicht mehr so weiter zu machen. Ich erwiderte, dass ich eigentlich diejenige wäre, die sich ständig in großer Geduld übe und dass ich diejenige sei, die einen unvorstellbar großen Verlust hinnehmen musste. Ich hätte den höchsten Preis schon bezahlt und fragte den Herrn, was er denn mit einem „hohen Preis“ meine? 10 Jahre? 15 Jahre? Ich denke, dass ich das aushalten könnte und wenn nicht, würde ich es ihn wissen lassen. Ich lächelte ruhig und bat um zum WC gehen zu dürfen. Er zeigte mir den Weg. Als ich zurückkam, sagte er, dass mir mein Pass mir „in kurze“ zurückgegeben werden würde, ich sollte mir jedoch seine Worte in Erinnerung behalten.
Der andere Agent hatte mittlerweile angefangen, mir einige Suggestivfragen zu meinem Privat -und Arbeitsleben zu stellen. Ich kannte diese Sorte von Fragen schon. Sie dienen bei einem Verhör dazu, mir zu zeigen, dass ich genau beobachtet werde und sozusagen durchsichtig bin. Ich antworte darauf immer ruhig und indifferent als ob ich mit einem neugierigen Nachbarn rede. Damit möchte ich zeigen, dass ich nichts zu verbergen habe und mir diese Art Durchsichtigkeit nichts ausmacht. Jedes Mal schlucke ich meine Wut und meinen Ekel vor diesen penetranten Blicken, die meine Privatsphäre zu beschmutzen versuchen, herunter.
Dieses „in Kürze“ zog sich in die Länge. In dieser Zeit merkte ich aber, dass das Warten mich in die Passivität treibt. Schikanen gegenüber passiv zu werden ist das Schlimmste für einen selbst und das Beste für das Regime. Es kann einen Prozess der Infantilisierung in Gang setzen, dem ich immer mit großer Anstrengung auszuweichen versuchte. Ich gab weniger Interviews um die Provokation nicht auf die Spitze zu treiben und hoffte, dass die Proteste ohne meine Beiträge weiter anhalten würden.
In der Wartezeit ging ich den Einladungen meiner politischen Freunde nach, besuchte Ausstellungen und machte Stadtbummel. Beim Bummel merkte ich dass mein Bekanntheitsgrad gewachsen ist. Fremde begrüßten mich, sprachen ihre Solidarität aus und schauten mich liebevoll an. Ich bekam sogar beim Einkauf viel Rabatt. Täglich bekam ich Anrufe von Freunden und Journalisten aus dem Ausland, die sich über meine Lage und Befinden informierten. Ich merkte aber auch, dass meine „vorsichtigen“ Freunde in Iran sich wieder zurückgezogen hatten.
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Einer der Tage an denen ich zur Geheimdienststelle gehen musste, fiel auf den 16. Azar (07. Dezember), den „Tag des Studenten“. An diesem Tag wurden 1953 drei Studenten bei einer Protestversammlung an der Teheraner Universität getötet. Seitdem wird der Tag zum Anlass genommen, gegenüber dem jeweiligen repressiven Regime, die oppositionelle Haltung zum Ausdruck zu bringen. Für mich hat er eine besondere Bedeutung, da meine Mutter während der Studentenbewegung Anfang der 60er Jahre, an diesem 16. Azar eine historische Rede gehalten hatte und zu einem der Anführer der Bewegung wurde.
Auf dem Rückweg fuhr ich an der Universität vorbei. Die nähere Umgebung war abgeriegelt. Eine große Zahl von bewaffneten Sicherheitskräften hatte die Demonstrationen innerhalb des Universitätsgeländes umzingelt und sie von der Straße abgedrängt.
Später erfuhr ich, dass unter den Festgenommenen auch ein namhafter Aktivist war, der aus diesem Anlass eine flammende Rede gehalten hatte. Um der Festnahme zu entgehen, hatte er sich beim verlassen des Geländes in ein Tschador gehüllt. Er wurde aber trotzdem aufgespürt und verhaftet. Die Agenten veröffentlichten später ein Bild von ihm in Schleier um ihn als „Feige“ zu diffamieren.
Kurz danach und dem Aufruf einer jungen Journalistin folgend, hatten sich zahlreiche männliche Personen im In- und Ausland in Schleier fotografieren lassen und ihre Bilder im Internet veröffentlicht. Unter den Intellektuellen war die Freude über diese Aktion riesig. Sie stieß führte zu einer lebhaften Diskussionen über den Schleierzwang für Frauen. Es waren aber auch einige leise Bedenken zu hören, wonach solche Aktionen die Kluft zwischen dem einfachen Volk und den Intellektuellen vergrößern würden und dass dies für die gegenwärtige Protestbewegung nicht vom Vorteil sei.
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Während der Wartezeit rief mich Ali mehrmals an. Er sagte im Scherz, dass das Regime eigentlich mir die Entscheidung zu bleiben abgenommen hätte. Ich solle mich doch endlich dazu entschließen im Lande zu bleiben.
Während dieser Tage überredete mich ein gemeinsamer Freund, an einer Sitzung, zu der er schon seit längerer Zeit gedrängt hatte und immer auf meine Ablehnung gestoßen war, teilzunehmen. Er arbeitet mit der „Shariati-Stiftung“ zusammen und sammelt für deren Archiv unterschiedlicher Stellungsnahmen zur Rolle von Ali Shariati in der iranischen zeitgenossischen Geschichte.
Er weiß von meiner Aversion Shariatis Gedanken gegenüber und war genau aus diesem Grund daran interessiert, meine Version aufzunehmen. Es gehe ihm um Pluralismus und Vielfalt der Rückblicke und Meinungen und um das Verständnis der Komplexität der Geschichte.
Beim Besuch meiner Ausstellung war er in Begleitung der Tochter von Shariati, Susan Shariati, gekommen. Ich sah sie zum ersten Mal und mochte sie sofort. In der Stiftung spielt sie eine führende Rolle und sie begrüßte den Vorschlag, vor der Kamera ein Streitgespräch mit mir zu führen. Erst während meiner „verlängerten Reise“ habe ich zugesagt.
Es wurde zu einem offenen und herzlichen Gespräch über eine Vergangenheit, die unsere beiden Schicksale bestimmt hatte: die Revolution von 1979.
Jeder der sich mit der Revolution und der darauffolgenden Islamisierung des Landes auseinandersetzt, weiß von der tragende Rolle Shariatis. Er war der einflussreichste Denker, der in den 70er Jahren den Islam in eine kämpferische Ideologie verwandelte und damit eine junge Generation in seinen Bann zog. Shariati starb schon vor der Revolution aber sein Einfluss reicht bis heute. Besonderes in den Kreisen der Reformisten, die der Islam als die treibende Kraft für die aktuelle Protestbewegung sehen und immer noch die eigene Identität mit Shariati in Verbindung bringen.
Heute beziehen sie sich aber auf den Shariati, der gegen die repressive Macht rebellierte und nicht auf den, dessen Radikalität in den Fundamentalismus mündete.
Auch nach diesem Gespräch blieb mir unklar, ob der Religiosität der Reformisten eine treibende oder eine hemmende Kraft innerhalb der Protestbewegung ist?
Dass sie in der jetzigen Phase zur einzigen existierenden Alternative gegenüber den Machthabern geworden sind, entspricht der Realität der politischen Landschaft Irans. Ob aber die religiösen Reformisten sich auch in Zukunft gegenüber den Potentialen und Forderungen der Volksbewegung offen zeigen würden, ist für viele, unter anderem auch für mich, unklar. Hier einen Weg zu finden, der sowohl den Realitäten als auch der eigenen kritischen Haltung gerecht wird und beiden Raum lässt, überfordert viele, unter anderem auch mich.
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Als ich endlich meinen Pass zurückbekam und vor meiner Abreise zum letzten Spaziergang in unserem Viertel unterwegs war, erhielt ich eine SMS: „Montazeri ist tot!“
Ich war schockiert und wollte die Nachricht nicht glauben. Ich rief Ali an, von dem ich wusste, dass er in enger Verbindung zu Montazeris Familie steht. Schon vor einigen Tagen hatte ich mit ihm über meinen Respekt diesen alten Geistlichen gegenüber gesprochen, der im Gegensatz zu viele anderen Reformisten für mich moralisch glaubwürdig war. Ich sagte ihm, dass ich mir seit einiger Zeit vorgenommen hatte, Herrn Montazeri zu besuchen, dass ich ihm diesen Besuch aus Dankbarkeit schuldete, da er direkt nach der Ermordung meiner Eltern in einem offenen Brief diese Verbrechen hart verurteilt hatte und mir und meiner Familie seinen Beileid ausgedrückt hatte, wobei er mit großem Respekt an meinen Vater erinnerte. Er hatte immer seine Söhne zu den alljährlichen Gedenkfeiern geschickt, die wir in den ersten fünf Jahren nach den Morden legal abhalten durften. Ali war begeistert von der Idee dieses Besuches und wollte mich unbedingt bei einer Reise nach Ghom, wo Montazeri lebte, begleiten. Er würde mich gerne in sein Auto dorthin bringen, hatte er gesagt.
An diesen Morgen als ich Ali anrief, war seine Stimme gebrochen. Ich fragte ihn, ob die Nachricht wahr wäre und als er leise bejahte konnte ich nur wiederholt Nein! Nein! sagen und brach in Weinen aus. Auch als ich zu Hause ankam, konnte ich meine Tränen nicht zurückhalten. Ich hätte mich bei ihm bedanken müssen als es noch Zeit war.
Noch am selben Abend rief ich Montazeris Sohn an und teilte ihm mein tiefes Mitgefühl mit und sagte dass ich früh am Morgen abreisen werde und daher leider nicht an der Beerdigung von seinem geliebten Vater teilnehmen könnte. Er sagte, dass sein Vater über meine Situation informiert und besorgt gewesen war und dass er persönlich froh sei, dass ich endlich nach Hause zu meiner Familie reisen könnte. Ich sagte ihm, dass der Verlust seines Vaters für viele wie mich und meinesgleichen, denen ihre Rechte vorenthalten werden, groß sei, weil er ein großer Fürsprecher für uns gewesen ist.
Ich musste an die Worte eines Freundes denken, der Montazeri neulich besucht hatte. Der Großayatollah hatte ihm, in seiner für ihn typischen Offenheit gesagt, dass er persönlich seine scharfe Kritik an den herrschenden Verhältnissen immer mit der religiösen Rechtslehre untermauere. Das wäre seine Art zu Denken und zu Handeln, er bezweifele aber inzwischen, ob dieser Mechanismus des „Fatwa“, die ja durch seine Person erneut an Legitimität gewonnen habe, für die Demokratisierung der Gesellschaft und die Förderung der Rechtstaatlichkeit von Vorteil wäre.
Als ich im Morgengrauen mit dem Taxi zum Flughaufen fuhr, schaute ich neugierig aus dem Fenster um vielleicht Menschen zu entdecken, die wie ich, zum Zeichen ihre Trauer um Montazeris Tod und auf Anregung der “Grünen Bewegung”, schwarz gekleidet waren. Wenn mein Taxi auf der Autobahn in Richtung Flughafen abbog, dachte ich daran, dass andere weiterfahren würden, in Richtung Ghom , um bei der Beerdigung des Großayatollah zu demonstrieren und erneut den Ruf nach Freiheit erschallen zu lassen.
Februar 2010
Parastou Forouhar