[Erstveröffentlichung: 29. Dezember 2009]
Deutschland ist längst zu einem Einwanderungsland geworden, auch wenn Politik und Medien das nur sehr ungern oder gar nicht zur Kenntnis nehmen wollen. Die damit einhergehenden Probleme wurden entweder verschwiegen oder aber dazu genutzt, eine Gegenstimmung öffentlich aufzubauen. Bis die redeten, die davon am stärksten betroffen waren: die Pädagogen und Sozialarbeiter (Seite 19).
Auch deshalb schreiben Arikan und Ham über einige Deutsch-Türken, die eben nicht dem öffentlichen Bild entsprechen. Das Buch ist eine gut gelungene Melange aus eigenen Texten und Interviews mit den Deutsch-Türken, die zum Einen integriert sind (und sich auch so wahrnehmen: als Deutsche mit türkischen (kulturellen) Wurzeln) und zudem wie Leuchttürme die Ausnahmen bilden. Wenn die Autoren immer wieder betonen, dass die Mehrzahl der Deutsch-Türken integriert ist, dann fehlen hier leider die Beispiele aus der „Mittelschicht“; Menschen, die eben nicht an hervorragendem Ort arbeiten. Die, die den „normalen Durchschnitt“ bilden.
Wie ein roter Faden – sowohl in den Autorentexten als auch in den Interviews – zieht sich die Forderung nach Bildung durch das Buch. Diese Forderung ist aber auch Aufforderung an die eigene Community. Denn nur mit dem Beherrschen der Landessprache sei Bildung und Ausbildung möglich. Und nur damit auch die Integration in das Arbeitsleben. Arikan und Ham haben immer wieder hervor: Arbeit ist der Schlüssel zur Integration und Anerkennung; und die Voraussetzung dafür: Bildung.
Doch weisen sie auch darauf hin, dass Integration nicht Assimilation bedeutet. (Seite 27) Es gibt eine kulturelle Identität, die den türkischen Wurzeln entspricht, die nicht abgelegt werden muss oder soll.
Interessanterweise gehen die Autoren so gut wie nicht auf das Thema Islam ein; als wäre es ihnen zu schwierig zu handhaben. Sie zitieren Bilkay Öney: “Das Thema birgt Sprengstoff. Wir sehen das jedes mal beim Moscheen-Streit oder auch bei den Debatten um das Kopftuch. Religion ist ein sehr emotional besetztes Thema. Das macht die Sache so schwierig.” (Seite 72) Ich bin mir nicht sicher, ob es an mir und der auch mich erreichenden Beeinflussung durch die Medien liegt, dass ich Deutsch-Türken auch als Muslime wahrnehme. Oder ob die Autoren hier versuchen, ein heikles Thema zu umschiffen.
Es ist zugegeben schwierig, zumal Medien oft Islam mit Islamismus gleichsetzen (das wäre, als würde man die Inquisition mit dem Christentum gleichsetzen – das eine bedingt das Andere; aber es ist nicht dasselbe). Auf Seite 51 heißt es: „So wird unsere Medienwirklichkeit erzeugt, eine Wirklichkeit, die zwar mit unserem realen Leben nicht übereinstimmt, dieses aber verändert. Zum Beispiel wird in Zeitungen oder im Fernsehen immer noch zu oft das Bild der türkischen Frau gleichgesetzt mit dem Kopftuch.“ Ich muss allerdings zugeben: das mache auch ich. Nicht, dass ich nur türkische Frauen mit Kopftuch sehe; aber ich sehe, dass Frauen mit Kopftuch meist Türkinnen oder Deutsch-Türkinnen sind. Und so ist sicherlich auch mein Bild von der türkischen Frau mit Kopftuch geprägt. Dazu bedarf es nicht der Medien, dazu genügt es, an einem Samstag auf den Markt am Ende meiner Straße zu gehen.
Abgesehen von dieser Frage finden die meisten Aussagen der Autoren meine Zustimmung. Wenn diese zum Beispiel fordern, dass die Deutsch-Türken (und auch alle anderen Migranten) in den Medien, im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der Politik und Verwaltung präsenter sein müssen. So, wie es ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung entspricht. Wenn ich vor diesem Hintergrund an die Entscheidung des rbb denke, den Radiosender „multikulti“ trotz aller Proteste zu schließen wird mir noch deutlicher, wie falsch diese Entscheidung war. Und, dass diese Gruppe von Menschen offenbar keine Lobby hat. Die Autoren warnen sogar, dass solche und ähnliche Entscheidungen integrationsverhindernd sind: „Seitdem Fernsehprogramme beispielsweise aus der Türkei via Satellit und Kabel zugänglich geworden sind, haben sich viele Migranten diesen Medienangeboten zugewandt. Gleichzeitig – und das ist gravierender – haben sie sich von den deutschen Angeboten verabschiedet.“ (Seite 55) Und damit werden sie nicht mehr erreicht von einer Öffentlichkeit, in die sie eigentlich integrieren sollten. So kommt es zum Entstehen der sog. „Parallelgesellschaften“ – ein Wort, gegen das sich in den Interviews des Buches fast alle Deutsch-Türken verwahren.
Mir ist nicht so ganz klar geworden, an wen sich das Buch genau richtet. Wenn es denn als Mutmacher für Deutsch-Türken dienen soll, hätte es vielleicht auch auf türkisch erscheinen sollen. Oder ist es ein Buch, dass den Deutschen ihre (neuen) Landsleute näher bringen soll? Dann jedoch wäre es jedoch meiner Meinung nach notwendig gewesen, auch über die Deutsch-Türken zu sprechen, die dem Bild entsprechen, das Medien malen wenn sie von Fehlern bei der Integration schreiben.
Fragen, die ich bei einem bereits geplanten Interview sicherlich stellen werde.
Nic
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