Hier kommt wiedermal ein aufwühlendes Erinnerungsschnipsel, diesmal nicht aus der Babyzeit meiner Kinder, sondern noch gar nicht allzu lange zurückliegend, das sowohl die emotionale Verbindung zwischen dem Großen und mir beinhaltet als auch die Zerrissenheit zwischen den Bedürfnissen meiner beiden Kinder. Da wir gerade am gleichen Ort Urlaub machen wie damals, ist die Erinnerung daran jetzt sehr präsent. Ich habe sie seinerzeit im Urlaubsbericht nicht festgehalten, wie ich jetzt bemerkte, wahrscheinlich, weil ich selbst noch zu aufgewühlt war. Deshalb hole ich das nun nach.
Wir reisen sehr gern in einen vertrauten Ferienpark und steuern uns bekannte Ziele an. In unserem Urlaub im September 2015 besuchten wir von dort aus wiedermal den riesigen, nahegelegenen Freizeitpark. Diesmal waren die Großeltern dabei. Ich wusste aus dem vorherigen Besuch, dass eine sogenannte Familienachterbahn neu eröffnet hatte, die für Kinder ab 4 Jahren freigegeben war. Ich stellte mir das altersangemessen als etwas größere Eisenbahn vor, die leicht auf und ab fuhr. Nichts Verrücktes also. Der Große war auch schon ganz aufgeregt, war er doch im März 2015 4 Jahre alt geworden und konnte sie also schon nutzen. Nach einigen Kleinkindattraktionen kamen wir bei der Familienachterbahn an. Ich wollte erstmal an der Seite schauen, ob sie etwas für den Großen ist. 4-Jähriger ist nicht gleich 4-Jähriger und ich bin immer sehr darauf bedacht, ihn zwar Herausforderungen auszusetzen, aber nicht zu überfordern. Die Strecke sah schon ziemlich heftig aus. Es kam aber nicht gleich eine Achterbahn und der Große und der Papa wurden ungeduldig. Als dann noch eine Gruppe nahte, eilten sie mit dem Opa zum Eingang, ohne eine Achterbahnfahrt beobachtet zu haben. Dagegen konnte ich es gleich darauf erleben und wusste sofort, dass das nichts für den Großen ist. Ich rannte in Panik zum Eingang, aber zu spät, die Männer waren schon fast am Einstieg. Ich konnte sie nicht mehr zurückhalten.
Ich stand also mit der Kleinen und der Oma seitlich neben der Strecke und beobachtete, wie die nächste Achterbahn Fahrt aufnahm. Es gab nur Zweiersitze, d.h. der Große saß nicht einmal in der Mitte zwischen Opa und Papa, sondern wie jeder am Außenrand. Ich hatte gehofft, dass der Papa wenigstens den Arm um ihn legen würde, zum Schutz und zur Stabilisierung, aber das ging wohl gar nicht, wie ich danach erfuhr. Er war mit Abstand der Jüngste in den Waggons. Die Achterbahn wurde sofort schneller und schoss um die Kurven sowie von den Höhen hinunter. Es war schwindelerregend und definitiv noch nicht geeignet für ein 4-jähriges Kind. Ich sah sein Gesicht, sah, wie sein Kopf hin und her geschleudert wurde, fühlte seine Angst und Verwirrung und gleichzeitig den Willen, stark zu sein. Ich konnte ihm nicht helfen. Es war eine furchtbar hilflose, emotional abgründige Situation, ich geriet in Panik, fing an zu weinen und zu schreien. Es war für mich definitiv die falsche Entscheidung, den Großen da mitfahren zu lassen, ohne dass er vorher gesehen hatte, was ihn erwartet, und ich hielt den Papa in dem Moment für sehr verantwortungslos und uneinfühlsam. Er wusste ja selbst nicht, wie schnell und rasant die Achterbahn sein würde. Gerade deshalb hätte man wenigstens einmal zuschauen müssen. Für den Großen wie auch für mich ist das sehr wichtig. Wir stürzen uns nicht in Abenteuer, wir beobachten vorher und entscheiden dann. Genau das war nicht möglich gewesen.
Glücklicherweise war die Fahrt schnell vorbei. Ich rannte zum Ausgang, ließ die Kleine im Buggy einfach stehen (die Oma kümmerte sich um sie) und als der Papa mit einem komplett verwirrten Großen auf dem Arm herauskam, streckte er die Arme nach mir aus und ich übernahm ihn wortlos. Er war weiß im Gesicht und sein ganzer Körper total schlaff. Ich trug ihn lange herum, hielt ihn ganz fest, redete ihm beruhigend zu. Mir gelang in diesem Moment der schwierige Spagat, selbst innerlich total aufgelöst zu sein und trotzdem dem Großen Ruhe und Sicherheit zu vermitteln. In dem Moment, wo ich ihm Halt geben konnte und musste, weil kein anderer dazu fähig gewesen wäre, fiel die Panik von mir ab und ich war ganz stark. Die Oma sagte hinterher zu mir, dass sie es toll fand, wieviel Ruhe und Besonnenheit ich ausstrahlte. Er wurde schnell ruhiger und fühlte sich bald wohler. Leider schrie sich die Kleine ab dem Zeitpunkt, als ich den Großen auf den Arm nahm, wirklich die ganze Zeit in ihrem Buggy die Seele aus dem Leib. Weder der Papa noch die Großeltern konnten bei ihr etwas ausrichten, niemand durfte sie schieben oder herausnehmen. Sie tat mir unheimlich leid, aber ich musste das in dem Moment ausblenden. Ich musste für meinen Großen da sein, exklusiv. Deutlich spürt man in solchen Momenten die Zerrissenheit zwischen den Bedürfnissen der Kinder und das Unvermögen bzw. die Unmöglichkeit, für beide gleichzeitig da zu sein. Der Große brauchte mich in dem Moment und der Kleinen gefiel das nicht.
Es dauerte vielleicht eine Viertelstunde, in der ich den Großen herumtrug und die Kleine (damals 2 1/2) schrie und weinte. Als ich ihn für stabil genug hielt, übergab ich ihn wieder dem Papa und Opa. Sie kümmerten sich weiter gut um ihn und sorgten für etwas Ruhe. Ich tröstete die Kleine, die sehr aufgebracht war. Sie beruhigte sich relativ schnell, als sie bei mir war, aber ich musste sie danach noch eine Weile herumtragen, bis sie wieder richtig ausgeglichen war. Ihr könnt euch sicher vorstellen, dass mich die ganze Situation ziemlich ausgelaugt hatte. Ich brauchte erstmal eine Weile, um mich wieder zu sammeln und all die für den Großen mitgefühlten Emotionen wieder abzuschütteln. Er hatte im weiteren Verlauf des Tages noch wunderbare Erlebnisse im Freizeitpark und war wieder gefestigt. Es war wirklich noch ein sehr schöner Tag und man hatte nicht das Gefühl, dass ihm etwas nachhing. Bis heute Morgen.
Beim Frühstück sagten wir den Kindern, dass wir heute wieder in den besagten Freizeitpark fahren wollten. Der Große zeterte wie üblich beim Anziehen und als er in Schluchzen ausbrach, kuschelten wir auf dem Sofa zusammen. Irgendwie kamen wir auf das Achterbahnerlebnis zu sprechen und er sagte von sich aus, dass er das nicht wieder machen wolle, weil ihm das zu wild war und der Wind im Gesicht wehgetan hatte. Und der Kopf so hin und hergeworfen wurde, dass ihm ganz schwindlig wurde. Er habe sich damals nicht getraut, es Papa zu sagen und hatte ja auch nicht gewusst, was auf ihn zukommt, erinnerte sich aber noch sehr gut, dass ich ihn danach lange getröstet hatte. Wir hatten in der ganzen Zwischenzeit nie wieder davon gesprochen. Ich sagte ihm, dass mein "Trick" bei unbekannten Sachen ist, ein paarmal vorher zu beobachten und dann zu entscheiden, ob es was für mich ist oder nicht. Ich weiß aber auch, dass es schwer für ihn ist, sein Gefühl durchzusetzen, wenn ihm eine andere Erwartungshaltung entgegenkommt. Das ist ein lebenslanger Lernprozess, auch für mich. Und in dem Fall hatte er ja nicht mal die Chance, zu beobachten, was ihn erwartet.
Als wir dann heute im Freizeitpark waren und zur "Familienachterbahn" kamen, schauten wir an der Seite zwei Fahrten zu. Der Große rekapitulierte nochmal kurz seine Erinnerungen und sagte deutlich, dass er aktuell nicht damit fahren wolle. Vielleicht, "wenn ich viel größer bin". Es gibt dort andere, altersangepasstere Attraktionen und wir hatten viel Spaß. Aber ich war wirklich erstaunt, wie präsent ihm selbst das Erlebnis noch war, obwohl er es nie angesprochen hatte. Für mich ist es ein weiterer Erinnerungsfetzen, den ich nie vergessen werde.
Und hier die bisherigen Erinnerungsfetzen:
Erinnerungsfetzen I
Erinnerungsfetzen II
Erinnerungsfetzen III
Wir reisen sehr gern in einen vertrauten Ferienpark und steuern uns bekannte Ziele an. In unserem Urlaub im September 2015 besuchten wir von dort aus wiedermal den riesigen, nahegelegenen Freizeitpark. Diesmal waren die Großeltern dabei. Ich wusste aus dem vorherigen Besuch, dass eine sogenannte Familienachterbahn neu eröffnet hatte, die für Kinder ab 4 Jahren freigegeben war. Ich stellte mir das altersangemessen als etwas größere Eisenbahn vor, die leicht auf und ab fuhr. Nichts Verrücktes also. Der Große war auch schon ganz aufgeregt, war er doch im März 2015 4 Jahre alt geworden und konnte sie also schon nutzen. Nach einigen Kleinkindattraktionen kamen wir bei der Familienachterbahn an. Ich wollte erstmal an der Seite schauen, ob sie etwas für den Großen ist. 4-Jähriger ist nicht gleich 4-Jähriger und ich bin immer sehr darauf bedacht, ihn zwar Herausforderungen auszusetzen, aber nicht zu überfordern. Die Strecke sah schon ziemlich heftig aus. Es kam aber nicht gleich eine Achterbahn und der Große und der Papa wurden ungeduldig. Als dann noch eine Gruppe nahte, eilten sie mit dem Opa zum Eingang, ohne eine Achterbahnfahrt beobachtet zu haben. Dagegen konnte ich es gleich darauf erleben und wusste sofort, dass das nichts für den Großen ist. Ich rannte in Panik zum Eingang, aber zu spät, die Männer waren schon fast am Einstieg. Ich konnte sie nicht mehr zurückhalten.
Ich stand also mit der Kleinen und der Oma seitlich neben der Strecke und beobachtete, wie die nächste Achterbahn Fahrt aufnahm. Es gab nur Zweiersitze, d.h. der Große saß nicht einmal in der Mitte zwischen Opa und Papa, sondern wie jeder am Außenrand. Ich hatte gehofft, dass der Papa wenigstens den Arm um ihn legen würde, zum Schutz und zur Stabilisierung, aber das ging wohl gar nicht, wie ich danach erfuhr. Er war mit Abstand der Jüngste in den Waggons. Die Achterbahn wurde sofort schneller und schoss um die Kurven sowie von den Höhen hinunter. Es war schwindelerregend und definitiv noch nicht geeignet für ein 4-jähriges Kind. Ich sah sein Gesicht, sah, wie sein Kopf hin und her geschleudert wurde, fühlte seine Angst und Verwirrung und gleichzeitig den Willen, stark zu sein. Ich konnte ihm nicht helfen. Es war eine furchtbar hilflose, emotional abgründige Situation, ich geriet in Panik, fing an zu weinen und zu schreien. Es war für mich definitiv die falsche Entscheidung, den Großen da mitfahren zu lassen, ohne dass er vorher gesehen hatte, was ihn erwartet, und ich hielt den Papa in dem Moment für sehr verantwortungslos und uneinfühlsam. Er wusste ja selbst nicht, wie schnell und rasant die Achterbahn sein würde. Gerade deshalb hätte man wenigstens einmal zuschauen müssen. Für den Großen wie auch für mich ist das sehr wichtig. Wir stürzen uns nicht in Abenteuer, wir beobachten vorher und entscheiden dann. Genau das war nicht möglich gewesen.
Glücklicherweise war die Fahrt schnell vorbei. Ich rannte zum Ausgang, ließ die Kleine im Buggy einfach stehen (die Oma kümmerte sich um sie) und als der Papa mit einem komplett verwirrten Großen auf dem Arm herauskam, streckte er die Arme nach mir aus und ich übernahm ihn wortlos. Er war weiß im Gesicht und sein ganzer Körper total schlaff. Ich trug ihn lange herum, hielt ihn ganz fest, redete ihm beruhigend zu. Mir gelang in diesem Moment der schwierige Spagat, selbst innerlich total aufgelöst zu sein und trotzdem dem Großen Ruhe und Sicherheit zu vermitteln. In dem Moment, wo ich ihm Halt geben konnte und musste, weil kein anderer dazu fähig gewesen wäre, fiel die Panik von mir ab und ich war ganz stark. Die Oma sagte hinterher zu mir, dass sie es toll fand, wieviel Ruhe und Besonnenheit ich ausstrahlte. Er wurde schnell ruhiger und fühlte sich bald wohler. Leider schrie sich die Kleine ab dem Zeitpunkt, als ich den Großen auf den Arm nahm, wirklich die ganze Zeit in ihrem Buggy die Seele aus dem Leib. Weder der Papa noch die Großeltern konnten bei ihr etwas ausrichten, niemand durfte sie schieben oder herausnehmen. Sie tat mir unheimlich leid, aber ich musste das in dem Moment ausblenden. Ich musste für meinen Großen da sein, exklusiv. Deutlich spürt man in solchen Momenten die Zerrissenheit zwischen den Bedürfnissen der Kinder und das Unvermögen bzw. die Unmöglichkeit, für beide gleichzeitig da zu sein. Der Große brauchte mich in dem Moment und der Kleinen gefiel das nicht.
Es dauerte vielleicht eine Viertelstunde, in der ich den Großen herumtrug und die Kleine (damals 2 1/2) schrie und weinte. Als ich ihn für stabil genug hielt, übergab ich ihn wieder dem Papa und Opa. Sie kümmerten sich weiter gut um ihn und sorgten für etwas Ruhe. Ich tröstete die Kleine, die sehr aufgebracht war. Sie beruhigte sich relativ schnell, als sie bei mir war, aber ich musste sie danach noch eine Weile herumtragen, bis sie wieder richtig ausgeglichen war. Ihr könnt euch sicher vorstellen, dass mich die ganze Situation ziemlich ausgelaugt hatte. Ich brauchte erstmal eine Weile, um mich wieder zu sammeln und all die für den Großen mitgefühlten Emotionen wieder abzuschütteln. Er hatte im weiteren Verlauf des Tages noch wunderbare Erlebnisse im Freizeitpark und war wieder gefestigt. Es war wirklich noch ein sehr schöner Tag und man hatte nicht das Gefühl, dass ihm etwas nachhing. Bis heute Morgen.
Beim Frühstück sagten wir den Kindern, dass wir heute wieder in den besagten Freizeitpark fahren wollten. Der Große zeterte wie üblich beim Anziehen und als er in Schluchzen ausbrach, kuschelten wir auf dem Sofa zusammen. Irgendwie kamen wir auf das Achterbahnerlebnis zu sprechen und er sagte von sich aus, dass er das nicht wieder machen wolle, weil ihm das zu wild war und der Wind im Gesicht wehgetan hatte. Und der Kopf so hin und hergeworfen wurde, dass ihm ganz schwindlig wurde. Er habe sich damals nicht getraut, es Papa zu sagen und hatte ja auch nicht gewusst, was auf ihn zukommt, erinnerte sich aber noch sehr gut, dass ich ihn danach lange getröstet hatte. Wir hatten in der ganzen Zwischenzeit nie wieder davon gesprochen. Ich sagte ihm, dass mein "Trick" bei unbekannten Sachen ist, ein paarmal vorher zu beobachten und dann zu entscheiden, ob es was für mich ist oder nicht. Ich weiß aber auch, dass es schwer für ihn ist, sein Gefühl durchzusetzen, wenn ihm eine andere Erwartungshaltung entgegenkommt. Das ist ein lebenslanger Lernprozess, auch für mich. Und in dem Fall hatte er ja nicht mal die Chance, zu beobachten, was ihn erwartet.
Als wir dann heute im Freizeitpark waren und zur "Familienachterbahn" kamen, schauten wir an der Seite zwei Fahrten zu. Der Große rekapitulierte nochmal kurz seine Erinnerungen und sagte deutlich, dass er aktuell nicht damit fahren wolle. Vielleicht, "wenn ich viel größer bin". Es gibt dort andere, altersangepasstere Attraktionen und wir hatten viel Spaß. Aber ich war wirklich erstaunt, wie präsent ihm selbst das Erlebnis noch war, obwohl er es nie angesprochen hatte. Für mich ist es ein weiterer Erinnerungsfetzen, den ich nie vergessen werde.
Und hier die bisherigen Erinnerungsfetzen:
Erinnerungsfetzen I
Erinnerungsfetzen II
Erinnerungsfetzen III