Erinnerungen an eine längst vergangene Zeit

Vor einigen Wochen war mein Warmwasserboiler kaputt und ich hatte kein warmes Wasser mehr. Zuerst kam der Installateur und meinte ihn reparieren zu können. Nachdem der Boiler aber mit Nachtstrom aufgeheizt wird, haben wir natürlich erst am nächsten Tag bemerkt, dass die Reparatur nicht funktioniert hat.

Also wieder kein warmes Wasser dafür ein Anruf beim Installateur mit der Bitte ein Angebot für einen neuen Boiler zu unterbreiten. Bis der dann geliefert und montiert wurde vergingen noch 2 Tage und eine weitere Nacht hat es gebraucht, dass das Wasser mit dem Nachtstrom erwärmt wurde.

Viel Zeit um über unser Leben heute nachzudenken und darüber, wie es früher so war.

Erinnerungen an eine längst vergangene Zeit

Meine Oma wurde fast 80 Jahre alt und hat bis zu ihrem Ableben in einer sogenannten Substandard-Wohnung gelebt. Die klassische Zimmer-Küche-Kabinett Wohnung, wobei das Kabinett einen gesonderten Eingang hatte und nur über das Stiegenhaus erreichbar war. Es wurde eigentlich nur als Abstellraum genutzt um das Eingekochte zu lagern und blieb im Winter ungezeigt. Ja, es gab noch nicht einmal eine Möglichkeit, dieses Zimmer zu heizen!

Gelebt hat sie in der Küche von rd. 16 m², das kleine Schlafzimmer wurde tatsächlich nur zum Schlafen verwendet. Auch das Schlafzimmer konnte nicht beheizt werden. Man musste die Türe zur Küche offen lassen, damit ein wenig Wärme hinein kam.

Es gab zwar Strom aber kein fließendes Wasser, das eiskalte Wasser wurde im Gang geholt. Um nicht wegen jeder Kleinigkeit raus zu müssen, hatte sie in der Küche eine große Kanne, mit der sie mehrmals am Tag Wasser holte.

Im Winter war es mit dem eiskalten Wasser nicht so schwierig, nachdem sie die Küche als einziges Zimmer mit festen Brennstoffen heizte, stand immer ein großer Topf mit Wasser am Herd. Neben dem Ofen war ein Hocker, also ein Stuhl ohne Lehne. Auf diesem Hocker stand eine große Emailschüssel, die als „Waschbecken“ diente. Unter dem Hocker war der große Kübel, welcher den Abfluss ersetzte. Das schmutzige Brauchwasser und anderen flüssigen Abfälle wurden in diesem Kübel gesammelt.

Wenn der Kübel voll war, wurde er im WC, welches sich im Halbstock unter der Wohnung befand, entsorgt. Vor allem im Winter habe ich das WC gehasst, weil es nicht nur im Gang sondern auch im WC eiskalt war. Sich auf diese eisige Brille zu setzen war eine Qual.

Nachdem es keinen Wasseranschluss gab, hatte meine Oma natürlich weder Waschmaschine noch Geschirrspüler. Das Geschirr wurde in einem speziellen Kästchen abgewaschen. Es hatte einen aufklappbaren Deckel, damit die Arbeitsfläche verwendet werden konnte. Darunter kamen 2 Waschschüsseln zum Vorschein, in denen der Abwasch erledigt wurde. In der einen Schüssel wurde abgewaschen und in der anderen gespült.

so ähnlich sah der Spültisch aus

so ähnlich sah der Spültisch aus

Im Nebengebäude von dem Haus, in dem meine Oma wohnte, gab es eine baufällige Waschküche. Da wurde die Wäsche gewaschen. Aber natürlich gab es auch hier keinen Wasseranschluss und noch nicht einmal Strom. In der Waschküche war ein gemauerter Waschkessel, der mit Holz befeuert wurde. Auf einer Waschrumpel wurde die Wäsche vorbereitet und dann im Waschkessel ausgekocht. Je nach Material der Wäsche war zuerst die weiße dran, die tatsächlich gekocht wurde und dann, wenn das Feuer ausging und das Wasser abgekühlt war, wurde im selben Wasser dann die bunte Wäsche gewaschen.

Als ich klein war, hat meine Oma die gesamte Wäsche auch noch mit der Hand ausgewrungen bevor sie aufgehängt wurde. Später hatte sie sich eine Wäscheschleuder gegönnt. Die stand im Kabinett und darin konnte sie die Wäsche schleudern, das Wasser wurde in einer Schüssel aufgefangen.

Selbst im hohen Alter von rund 75 Jahren (das war bis zum Jahr 1985!) hat sie bis auf die Bettwäsche die gesamte Wäsche mit der Hand gewaschen.

Warum ich das alles erzähle?

Einerseits weil sich das junge Menschen mit der heutigen Technik gar nicht mehr vorstellen können. Das ist alles noch gar nicht so lange her!

Wir sind verwöhnt, können uns nicht vorstellen ohne fließendes warmes Wasser, ohne Strom und ohne eigenes WC zu leben.

In den Tagen ohne Warmwasserboiler habe ich bemerkt, dass es auch einfacher geht.

Wir sind ganz gut ohne warmes Wasser ausgekommen. Wenn ich meine Hände wasche, muss es kein warmes Wasser sein. Natürlich haben wir eine Geschirrspülmaschine und eine Waschmaschine und insofern war ich nur ganz wenig auf das warme Wasser aus meinem Boiler angewiesen. Das hat das Leben schon sehr vereinfacht.

Ein einziges Mal habe ich das Wasser erwärmt, als ich die großen Töpfe, die nicht mehr in den Geschirrspüler gepasst haben, abwaschen wollte.

Geduscht habe ich im Fitness-Studio (damals ist auch mein Beitrag “Wie weit haben wir uns eigentlich wirklich von der Natur entfernt #2″ entstanden) und Herr Widerstand bei seiner Mutter, als er bei ihr auf Besuch war.

Bei der Gelegenheit habe ich darüber nachgedacht, wie die Körperpflege damals war. Meine Oma hat sich jeden Abend mit Hilfe der Waschschüssel gewaschen. Dafür wurde am Herd das Wasser erwärmt. 1-2 mal pro Woche wurde der Waschzuber vom Dachboden geholt. Sie hatte ja kein Badezimmer! Dann wurde etwas mehr Wasser heiß gemacht. Das war natürlich kein Vollbad wie wir es kennen, aber als Kind hatte ich schon zur Gänze Platz. Meine Oma hat sich hinein gehockt und gewaschen.

Das war natürlich Schwerarbeit, so viel Wasser in den Waschzuber zu füllen und danach auch wieder zu entsorgen.

Hier liegen meine Wurzeln

Ich habe das einfache Leben bei meiner Oma kennen gelernt, vielleicht hat sie damit sogar dazu beigetragen, dass ich auch mit weniger zufrieden bin und in Situationen wie dieser ohne Boiler sofort weiß, wie ich damit umgehe und gut zurecht komme.

Es ist nicht so, dass ich in diese Zeit wieder zurück will, natürlich ist es bequem und viel einfacher wenn das warme Wasser direkt aus dem Wasserhahn fließt. Und ich habe mich auch ganz schnell darum bemüht, dass alles wieder funktioniert.

Wenn ich allerdings die heutige Gesellschaft betrachte nehme ich wahr, dass rasch eine hohe Unzufriedenheit herrscht, wenn das Leben nicht auf höchstem Niveau läuft. Es braucht einen Geschirrspüler und es braucht einen Wäschetrockner. Über Alternativen wird gar nicht nachgedacht. Wenn es aus finanziellen Gründen nicht gleich möglich ist ein defektes Gerät zu ersetzen, fühlen sich diese Menschen arm.

Dabei ist es noch gar nicht so lange her, dass meine Oma so gelebt hat. Sie wurde 1911 also vor rund 100 Jahren geboren und ist 1988 verstorben.

Heute will keiner mehr so leben

Das Haus, in dem sie gelebt hat, wurde vor rund 20 Jahren renoviert. Nachdem ein Bewohner nach dem anderen herausgestorben war, konnten keine Nachmieter gefunden werden. Niemand wollte mehr unter diesen Umständen leben. Also wurden die Wohnungen umgebaut, 2 Wohnungen zusammengelegt und eine richtige Küche und ein Bad mit fließendem Wasser eingebaut.

Das ist nicht überall auf der Welt so

Was wir bei dem allem vergessen ist, dass es noch immer ganz viele Menschen auf der Welt gibt, die in winzigen Zimmern leben, viele Menschen auf engem Raum ohne elektrischen Strom, ohne eigenes WC. Diese Menschen kämpfen täglich ums Überleben, verdienen zu wenig um davon zu leben aber zu viel um zu sterben. Sie arbeiten auch hart dafür, oft viele Stunden am Tag, ein Arbeitsinspektorat und geregelte Pausen gibt es nicht. Auch die Kinder müssen mitarbeiten um die Familie zu ernähren, sie können daher nicht in die Schule gehen um sich zu bilden.

Wer davon profitiert sind wir in den westlichen Ländern. Mit unserem Konsumverhalten tragen wir dazu bei, dass es weiterhin so viel Ungerechtigkeit gibt auf dieser Welt. Vielleicht sagen wir uns sogar “Naja, wenn wir diese Kleidungsstücke nicht kaufen würden, dann hätten „die dort“ gar keine Arbeit!”

Aber damit können wir uns nicht rein waschen, wir waschen uns Hände keinesfalls in Unschuld sondern tragen aktiv dazu bei, wenn wir nicht bereit sind einen fairen Preis für Kleidung und Lebensmittel (vor allem Reis, Kaffee und Schokolade) zu bezahlen.

Linktipps:
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