Einfach unvergesslich
Rowan Coleman
Piper, 2014
978-3492060011
14,99 €
Der Name deiner erstgeborenen Tochter. Das Gesicht deines Mannes. Dein Alter. Deine Adresse. Was wäre, wenn du dich an all diese Dinge nicht mehr erinnern könntest? Was wäre, wenn es kein Gestern mehr gäbe, sondern nur noch den Zauber einzelner Augenblicke? Neuerdings weiß Claire nicht mehr, welcher Schuh zu welchem Fuß gehört. Oder wie das orangefarbene Gemüse heißt, das auf dem Herd köchelt. Und manchmal geht sie im Pyjama spazieren. Sie weiß, dass das nicht normal ist. Doch das Leben ist zu kurz, um Trübsal zu blasen. Und so schreibt sie, noch bevor die letzte Erinnerung verblasst, all die großen und kleinen Momente der vergangenen Jahre nieder.
Mit Claire habe ich einen Charakter gefunden, der perfekt ist. Sie steht mitten im Leben, aber ignoriert ihr Problem auch nicht. Sie ist Mutter, auch wenn sie es manchmal vergisst. Und am meisten berührt hat mich die Liebe zu ihrem Mann und ihre Zerbrechlichkeit, die oftmals nicht zu sehen war. Jedes Gefühl war ihr ins Gesicht geschrieben, obwohl sie selbst keine Gefühle mehr erkennen kann. Ihre Geschichte zu verfolgen hat mich traurig gemacht, aber oft brachte Claire mich auch zum Lächeln, Lachen und Seufzen.
Greg, ihr Mann, ist ein sehr ruhiger Mann mit wenigen Worten. Er ist wie ein Baum, aber wenn dieser nicht beachtet wird? Für wen soll er dann da sein? Durch ihn bekommt das Buch eine sehr ruhige, aber auch sehr traurige Seite, denn er hat es mit Claire nicht immer leicht.
Caitlin und Esther sind viele Jahre auseinander, aber tolle Geschwister. Esther ist so klein und quirlig und ich mag es wie sie Mummy schreit und Claire oft an die Hand nimmt. Die große Schwester hat selbst viele Probleme, die ich wiederum spannend fand. Was ist Caitlin passiert? Warum haut sie einfach ab? Fragen über Fragen, die auch zeigten, wenn man eine Krankheit hat, geht das Leben der anderen trotzdem weiter.
Die Autorin hat Charaktere geschaffen, die ehrlich und authentisch sind. Ich wollte mich nicht von ihnen verabschieden, denn sie kommen nur wieder, wenn ich dieses Buch noch einmal lese. Ehrlich gesagt, weiß ich nicht, ob ich das noch einmal schaffen würde.
Das Buch teilt sich in zwei Momente im Leben von Claire auf. Einmal gibt es das Erinnerungsbuch, das sie mit ihren Geschichten füllt und das auch andere aus der Familie füllen. Immer dann erfahren wir etwas aus ihrer Vergangenheit. Und dann gibt es noch die normalen Kapitel. Mal erzählt sie Claire und mal auch Caitlin, ihre Tochter.
Die Stadt ist ganz normal, aber manchmal gibt es Menschen, die mit Claire nett umgehen und manchmal sind die Menschen einfach geschockt über eine Frau, die selbst den Namen ihrer Tochter vergisst.
Alzheimer kennt jeder. Vielleicht gibt es jemanden, der vergessen hat, dass du ihr Enkel bist, der aber noch ganz genau weiß, auf welcher Treppe er mit 17 gesessen hat. Es ist nicht neu – das Thema, aber ein so gutes und gefühlvolles Buch zu schreiben, ist nicht einfach.
Rowan Coleman beschönigt nichts. Sei es Wutausbrüche, vergessene Namen von Kindern oder den Ärger, den der Mensch spürt, wenn er selbst merkt: ich vergesse immer mehr. Es ist ein schmaler Grat zwischen Weinen und Lachen, den die Autorin mit ihren Lesern und Leserinnen geht.
Claire weiß, dass sie alles vergessen wird und das stelle ich mir wirklich schlimm vor. Einen Tag lang weiß sie nicht mehr, was ein Lenkrad ist, dann wacht sie auf und das Wissen ist wieder da. Sie schaut sich im Spiegel an und weiß: Heute habe ich wieder etwas vergessen, aber was? Gleichzeitig will sie immer noch für ihre Kinder da sein, ihnen vorlesen, mit ihnen spielen oder mit der großen Caitlin reden. Nicht immer gelingt alles und oft verletzt sie Menschen mit ihren Worten und Gesten. Aber woher soll sie manchmal wissen, dass Ehrlichkeit nicht immer der richtige Weg ist?
In Moment, in denen sie wieder Claire ist, hilft sie, wo sie kann. Gerade weil sie schnell wieder vergessen wird. Meine Lieblingsszene ist die, in der Caitlin sagt, sie solle ihre oft sagen, dass sie eine gute Mutter sein wird. Claire kontert: “Wenn du mir öfter erzählst das du schwanger bist!” Und ich muss lachen, denn es ist ein Galgenhumor, der zwischen all den Tränen sehr gut tut.
Die Liebe zwischen Greg und Claire lernt der Leser durch Erinnerungen kennen, aber auch durch viele Gesten von Greg. Leider ist diese Geschichte nicht ganz so einfach, aber da werde ich nichts weiter sagen. Entdeckt dieses Geheimnis selbst, denn irgendwie ist auch das wunderschön.
Es war für mich ein Überraschungsbuch, denn ich hatte es in keiner Verlagsvorschau gesehen und keinen Klappentext vorher gelesen. Ich sah es auf Goodreads und dachte: Versuch es mal. Dass mich dieses Buch, dann so mitnimmt und eines meiner neuen Lieblinge wird, hätte ich nicht gedacht. Aber so ist es manchmal und deswegen lese ich so gerne: weil es immer wieder Bücher gibt, die mich überraschen und dann in meinem Herzen bleiben.
Die Covergestaltung unterstreicht das Leichte im Buch, was vorhanden ist. Aber es ist auch traurig und ich mag die kleinen Marienkäfer sehr, die mich auf manchen Seiten begleiten. Es ist das elfte Buch der Autorin, aber es ist auch das einzige, was ich von ihr lesen würde.
Ein großer Seufzer entfährt mir jetzt noch. Als ich das Buch zu klappte, wusste ich: Das war es – ein Buch, das mein Herz berührt hat und mich glücklich gemacht hat, obwohl es so traurig ist.