Erika Steinbach: „Die Nazis waren eine linke Partei“

Erstellt am 2. Februar 2012 von Jacobjungblog

2.2.2012 – Seit gestern Abend sorgt ein Twitter-Statement der CDU-Bundestagsabgeordneten Erika Steinbach für Aufsehen. Die umstrittene Politikerin und Präsidentin des Bund der Vertriebenen teilte dort mit, dass die NSDAP eine linke Partei war.

Schon in der Vergangenheit war Steinbach häufiger aufgrund ihrer Äußerungen über eine angebliche polnische Mobilisierung im Jahr 1939 kritisiert worden. Seit sie vor zwei Monaten die sozialen Netze für sich entdeckte, hat sich die Frequenz ihrer Provokationen deutlich erhöht.

Erika und das Netz

Seit Anfang Dezember 2011 verfügt Erika Steinbach über einen Twitter Account und hat seitdem bereits knapp 1.500 Tweets von sich gegeben. Seit Anfang diesen Jahres hat sie CDU-Politikerin und Präsidentin des BdV ihre Aktivitäten in Sachen soziale Netze auf Facebook ausgedehnt und hier bislang 432 „Freunde“ um sich versammelt.

Gestern sorgte eine Twittermeldung von Steinbach für Aufsehen, nicht nur in der Netzgemeinde. Gegen 18 Uhr konnte man dort von ihr lesen:

„Irrtum. Die NAZIS waren eine linke Partei. Vergessen? NationalSOZIALISTISCHE deutsche ARBEITERPARTEI…..“ 

Nun ist Erika Steinbach nicht gerade für ausgleichende Äußerungen im Sinne der Völkerverständigung bekannt. Schon 1991 stimmte sie im Bundestag gegen die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze und begründete ihre Ablehnung unter anderem mit der Aussage:

„Man kann nicht für einen Vertrag stimmen, der einen Teil unserer Heimat abtrennt.“

Ihre Haltung stieß vor allem in Polen auf Empörung und Widerstand. Die Eltern von Erika Steinbach, die sich selber gerne als Vertriebene geriert, waren nämlich erst nach dessen Annexion durch die Nazis nach Rumia in Polen gezogen. Der polnische Außenminister Radoslaw Sikorski sagte über sie: „die mit Hitler in unser Land kam und mit Hitler wieder gehen musste“.

Im März 2009 veröffentlichte die polnische Tageszeitung „Rzeczpospolita“ eine Umfrage, in der 38 Prozent der befragten Polen erklärten, dass Erika Steinbach bei ihnen Ängste auslöse. Noch größere Furcht bestand danach nur vor Wladimir Putin, für den sich 56 Prozent der Befragten entschieden.

Insgesamt erweckt Erika Steinbach im In- und im Ausland den Eindruck, sie wolle den Nationalsozialismus verharmlosen. Die zitierte Twitter-Nachricht, in der sie die NSDAP als linke Partei darstellt, ist nicht nur frei von jeglichem politischen und historischen Verstand. Sie setzt auch jenen Teil der Nazi-Propaganda fort, in dem sich Hitler und seine Schergen des Begriffs des Sozialismus bemächtigten, um damit das angebliche Eintreten für „Gleichheit“ zu suggerieren.

Unter dem vordergründigen Deckmantel einer vermeintlich gerechten Verteilung von Gütern und Chancen wurde ein faschistisches Terrorregime installiert, unter dem Millionen von Menschen verfolgt, unterdrückt und vernichtet wurden. Wenn Steinbach hierin ein Zeichen linker politischer Positionen erkennt, dann will sie entweder populistisch provozieren oder es fehlt ihr an den grundlegendsten Fähigkeiten zur Einschätzung politischer und historischer Vorgänge.

Vor dem Hintergrund der Tatsachen, dass es sich bei ihr um eine Abgeordnete des deutschen Bundestages handelt und dass sie bereits in der Vergangenheit mehrfach dem Vorwurf der „Geschichtsklitterung“ ausgesetzt war, ist ihre Äußerung bei Twitter mehr als bedenklich. Die umstrittene Wirkung von Erika Steinbach ist dabei eng mit ihrer Arbeit für den „Bund der Vertriebenen“ (BdV) verknüpft.

Bund der Vertriebenen (BdV)

Seit 1998 ist Erika Steinbach Präsidentin des „Bund der Vertriebenen“ (BdV). Der Verband vertritt die Interessen der von Flucht, Vertreibung und Aussiedlung betroffenen Deutschen. Er entstand im Oktober 1957 im Rahmen eines Zusammenschlusses des „Bundes der vertriebenen Deutschen“ (BVD) und des „Verbands der Landsmannschaften“ (VdL). In den ersten 20 Jahren des BdV bildeten ehemalige NS-Funktionäre und Mitglieder der SS die Mehrheit der aktiven Mitglieder und Funktionäre.

Am 1. Februar 2010 bezifferte die BdV-Generalsekretärin Michaela Hribersiki die Mitgliederzahl im Verband auf zwei Millionen. Dem widerspricht eine Recherche der Nachrichtenagentur ddp vom Jahresbeginn 2010, die im Rahmen einer Telefonumfrage bei den Landesverbänden insgesamt nur rund 550.000 Mitglieder recherchiert. Der Deutschlandfunk berichtet am 5. Januar 2010 von internen Aufstellungen, wonach lediglich 100.000 Personen Beiträge an den BdV zahlen. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung gibt im Januar 2010 an, dass die offizielle Mitgliederzeitschrift des Verbandes „Deutscher Ostdienst“ nur in einer Auflage von etwa 2.000 Exemplaren erscheint.

Der Historiker und Autor Erich Später, Mitarbeiter der Heinrich-Böll-Stiftung, sieht in den geschönten Mitgliederzahlen „einen Versuch, die Öffentlichkeit für dumm zu verkaufen“ und macht darauf aufmerksam, dass der BdV alleine im Jahr 2009 mit 16 Millionen Euro aus Bundesmitteln gefördert wurde. Er wirft dem Verband vor, mit „frei erfundenen“ Mitgliederzahlen „über die zunehmende organisatorische und personelle Auszehrung des BdV hinwegzutäuschen“ und schätzt die Anzahl aktiver Mitglieder im Februar 2010 auf „höchstens noch 25.000“.

Polnische Mobilmachung 1939

Im Herbst 2010 geriet der BdV aufgrund von Äußerungen der beiden Verbandsfunktionäre Arnold Tölg und Hartmut Saenger in die Kritik. Tölg hatte im Januar 2000 in einem Interview mit der Wochenzeitung „Junge Freiheit“ in Bezug auf die NS-Geschichte gesagt, dass „gerade die Länder, die am massivsten Forderungen gegen uns richten“ genügend „Dreck am Stecken“ hätten. Saenger veröffentlichte im August 2009 einen Artikel in der „Pommerschen Zeitung“, in dem er Polen vorwarf, nach dem Ersten Weltkrieg „besonders kriegerisch“ aufgetreten zu sein.

Tölg soll außerdem gesagt haben, dass Polen bereits im März 1939 mobil gemacht hatte und dass der deutsche Angriff auf Polen nur der zweite Schritt gewesen sei.

Den beiden Funktionären wurde vorgeworfen, deutsche Verbrechen zu relativieren. Der Mannheimer Historiker Peter Steinbach sprach in diesem Zusammenhang von Thesen, „die vor allem in einer rechten Geschichtsbetrachtung gang und gäbe“ seien. Der Generalsekretär des Zentralrats der Juden, Stephan Kramer, warf Tölg und Saenger „revanchistische Positionen“ vor.

Am 8. September 2010 kam es in einer Vorstandssitzung der Unions-Bundestagsfraktion zu einer Auseinandersetzung über die Äußerungen der beiden Funktionäre. Kulturstaatsminister Bernd Neumann distanzierte sich dabei ausdrücklich von den Standpunkten von Tölg und Saenger. Erika Steinbach soll nach einem Bericht der Zeitung „Die Welt“ daraufhin beide in Schutz genommen und hierzu gesagt haben:

„Ich kann es auch leider nicht ändern, dass Polen bereits im März 1939 mobil gemacht hat.“

In derselben Sitzung soll Erika Steinbach bereits mit der Fraktionsführung in Konflikt geraten sein, als sie den Umgang der Parteiführung mit Thilo Sarrazin und dessen Integrationsthesen als „grottenschlecht“ kritisierte und hierfür vom Fraktionsvorsitzenden Volker Kauder scharf zurechtgewiesen wurde.

Steinbachs Äußerung zur angeblichen polnischen Mobilmachung stieß innerhalb und außerhalb ihrer Fraktion auf scharfe Kritik. So sagte der stellvertretende Vorsitzende der Unions-Bundestagsfraktion, Andreas Schockenhoff:

„Es muss klar sein, dass es hier nicht um Meinungsverschiedenheiten, sondern Geschichtsklitterung geht. Eine solche Meinung hat in der Fraktion und der Partei keinen Platz.“

Thomas Oppermann (SPD) bezeichnete Steinbachs Äußerung als „unerträglich“ und warf ihr vor, „sich außerhalb des demokratischen Konsenses in Deutschland“ zu stellen. Cornelia Pieper (FDP) sagte: „Ich halte Äußerungen, die die Verantwortung Nazi-Deutschlands für den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges relativieren, für sehr gefährlich“.

Volker Beck (Bündnis90/Die Grünen) forderte: „Die Union muss sich klar von Steinbach distanzieren und auch personelle Konsequenzen ziehen“. Ulla Jelpke (DIE LINKE) kritisierte: „Steinbachs Relativierung der deutschen Kriegsschuld entspricht der Logik von Hitlers Lüge, „ab 5 Uhr 45 wird zurückgeschossen““.

Orientierungsschwäche

Auf der Facebook Seite von Erika Steinbach konnte man am 31. Januar 2012 um 15.07 Uhr nachlesen:

Ziel der Linken ist es, Rechtsextremismus mit konservativ gleichzusetzen. Das bekämpfe ich!“

Einige Stunden später, um 20.00 Uhr, äußerte sie sich dort über den CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt und seine umstrittene Forderung, künftig alle Abgeordneten der Linkspartei vom Verfassungsschutz beobachten zu lassen und ein Verbot der Partei in Erwägung zu ziehen:

„Alexander Dobrindt hat nicht nur eine neue Brille sondern inzwischen ist er auf Kampfgewicht zurückgekehrt. Das merkt man deutlich. Attacke auf die Linkspartei. Warum regen sich so viele darüber auf. Linksaußen und Rechtsaußen sind gleichermaßen schädlich für die Demokratie. Ich bin für Dobrindt!“

Regelmäßige Leser dieses Blogs wissen, dass ich mich regelmäßig mit Äußerungen und Positionen konservativer Politiker auseinandersetze. Selbst wenn ich mich hierbei mit Vertretern wie Hans-Peter Uhl, Joachim Herrmann oder Alexander Dobrindt beschäftige, käme ich nicht auf den Gedanken, diese im Rechtsextremismus zu verorten oder ihnen rechtsradikale Positionen zu unterstellen.

Der Rechtsextremismus in Deutschland spielt sich in der NPD, in rechten Kameradschaften und in rechtsradikalen Terror-Zellen ab und muss von allen, die sich zur Demokratie bekennen, gleichermaßen abgelehnt und bekämpft werden. Konservative Politiker sind von einem bestimmten Welt- und Menschenbild geleitet. Ihre Vorstellungen über die Verteilung von Gütern und Chancen und über das Zusammenleben in der Gesellschaft weichen erheblich von meinen Idealen ab. Dieser Umstand macht sie für mich zwar zu politischen Gegnern, allerdings nicht zu Nazis.

In keiner offiziellen Stellungnahme oder Verlautbarung der Linkspartei werden konservative Politiker mit Rechtsextremisten gleichgesetzt. Umgekehrt lässt es sich dagegen immer häufiger feststellen, dass die Vertreter konservativer Parteien die Positionen der Linken als extremistisch diffamieren und so versuchen, die Partei zu kriminalisieren.

Wenn Erika Steinbach bei Facebook nun behauptet, es sei das Ziel der Linken, „Rechtsextremismus mit konservativ gleichzusetzen“, dann handelt es sich hierbei nicht nur um eine bewusste politische Lüge. Es kennzeichnet viel eher die Strategie der Konservativen gegenüber den Vertretern der Linkspartei.

Erika Steinbach bestätigt diesen Eindruck durch zahlreiche Postings, Kommentare und Äußerungen. Auf dem nebenstehenden, von ihrem Handy hochgeladenen Bild, das sie am 31. Januar um 13.34 Uhr bei Facebook veröffentlicht hat, werden NPD, Antifa und Linkspartei gleichgesetzt. Steinbach kommentiert hierzu:

„Egal ob links oder rechts!! In beiden Strömungen gibt es Gewalt, Demokratiefeindlichkeit und Antisemitismus.“

Deutlicher kann sie nicht zeigen, dass es offensichtlich ihr erklärtes Ziel ist, Linksextremismus mit links gleichzusetzen und damit exakt so zu handeln, wie sie es der Linkspartei anlasslos vorwirft.