ERGO okkupiert Occupy: „Versichern heißt Verstehen“

Von Jacobjungblog

30.10.2011 –Bereits in zwei ihrer Sendungen hat die Moderatorin Maybrit Illner Vertreter der Occupy Bewegung in ihre Sendung eingeladen und vom Publikum aus zu Wort kommen lassen.

Wem das Gesicht der jungen Frau, die am 27. Oktober bei Illner für die Protestbewegung sprach, bekannt vorkam, der hat wahrscheinlich zuvor einen Werbefilm der ERGO Versicherung gesehen. Jana Pallaske ist die Hauptdarstellerin eines aktuellen Spots der Versicherungsgruppe.

Der Konzern beschäftigt 50.000 Mitarbeiter und war mit Versicherungseinnahmen von rund 20 Milliarden Euro im Jahr 2010 der drittgrößte Erstversicherer Deutschlands. 2010 investierte ERGO rund 50 Millionen Euro in die Werbekampagne „Versichern heißt Verstehen“. Zuschauer sollen entdecken, dass die Versicherung „anders“ ist als andere Anbieter und ihre Kunden „versichert, statt sie zu verunsichern“.

Illner goes Occupy

Während Maischberger, Plasberg oder Jauch ihre Gesprächsthemen immer stärker aus dem Boulevard entlehnen, bringt sich Maybrit Illner als verständnisvolles Sprachrohr der Occupy Bewegung in Position.

Ihre letzten drei Themen:

  • Griechen pleite, Banken in Not – Wer rettet den Steuerzahler? (13.10.2011)
  • Zocker an den Pranger – Ran an die Banken, raus aus der Krise? (20.10.2011)
  • Beschlüsse von Brüssel – Ist der Euro jetzt gerettet? (27.10.2011)

In zwei dieser Sendungen durfte der Bankenlobbyist Michael Kemmer in der Gesprächsrunde nicht fehlen. Der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands deutscher Banken (BdB) erhielt auffallend mehr Redezeit als die anderen Diskutanten und nutzte jede Gelegenheit, die private Bankenbranche aus der Schusslinie der Kritik zu ziehen.

Ebenfalls in zwei Sendungen waren, wenngleich auch nur als Interviewgäste, Vertreter der Occupy Bewegung im Publikum. Während die zornigen Statements des jungen Wolfram Siener in der Illner Sendung vom 13. Oktober vielen Menschen aus der Seele sprachen, sorgte der Auftritt von Jana Pallaske für eher für Verwirrung. Dies lag weniger an den unbestätigten Behauptungen in den sozialen Netzen, die Frau sei wohl ziemlich stoned gewesen. Es war eher ihr Bekanntheitsgrad und die unverhohlene Werbung für ihre gewerbliche Webseite, die einige Zuschauer ins Grübeln brachte.

Ein bekanntes Gesicht für die Bewegung

Jana Pallaske nutzte ihren Auftritt bei Maybrit Illner vor allem dazu, um der Talk-Lady wiederholt mit gefalteten Händen zu danken:

Danke, dass Sie jede Woche den Menschen mit Ihrem Geist, Herz Seele helfen, zu kommunizieren.

Ja, ist es nicht schön, dass Maybrit Illner jede Woche so uneigennützig ihre freie Zeit investiert, um Wirtschaftsgrößen und Politik-Darstellern in die hohe Kunst der Kommunikation einzuweihen?

Weil allerdings jeder auf der Welt eine „andere DNA, einen anderen Fingerabdruck und eine andere Meinung hat“ und weil Jana Pallaske deshalb und in Sachen Occupy „Statements postet“ und eine eigene Webseite betreibt, nennt die junge Frau prompt deren Adresse. Hierbei erhebt sie sogar ihre ansonsten leise Stimme und bemüht sich um eine deutlichere Betonung: „janapallaske.org“.

Kritische Statements oder Kommentare zur Occupy Bewegung gibt es auf dieser Seite nicht. Stattdessen führt der Kontakt-Link der virtuellen Set-Card direkt zum „Commercial Management“ der Schauspielerin.

In dem Werbespot der ERGO wünscht sich die Darstellerin einen besseren Versicherungsservice. Sie will, dass die Versicherung nicht nur zahlt sondern sich auch darum kümmert, dass “alles wieder so wird wie vorher“. Und das verspricht ERGO der unkritischen Kritikerin auch prompt für die Zukunft. Der Spot wird nach dem Auftritt bei Illner weiterhin gesendet. Allerdings hat ERGO das Werbebudget für die Kampagne bereits vor Monaten von 50 Millionen Euro in 2010 auf 20 Millionen in 2011 gesenkt und zeigt die Commercials seltener.

So leicht, die schwimmt sogar in Milch

Die Zeit ist reif für Proteste. Fast überall auf der Welt. Das wissen nicht nur empörte Bürger. Auch der Politik ist das bewusst. Wie geht man also mit einer Bewegung um, die potenziell stark genug werden könnte, um die Verhältnisse in unserem und in anderen Ländern aus den Angeln zu heben?

Man dringt in sie ein, übernimmt ihre Forderungen und solidarisiert sich mit ihr, statt sie zu bekämpfen. So haben die reichen Bürger während der französischen Revolution gegenüber den Bauern und der elenden Stadtbevölkerung gehandelt. Das hat das bürgerliche Lager der Sozialdemokratie 1918 mit den Arbeitern und Soldaten getan.

Es ist zu weit hergeholt, Jana Pallaske zu unterstellen, sie würde die Occupy Bewegung bewusst untergraben und ihr die Zähne ziehen. Zutreffender ist die Einschätzung, dass eine junge Frau die unerwartete Öffentlichkeit nutzt, um ihren Bekanntheitsgrad, ihren Marktwert und ihre Buchungsquote zu steigern. Hätte sie auf die Nennung ihrer gewerblichen Webseite verzichtet, könnte man ihre Aufrufe zu mehr direkter Kommunikation für glaubwürdig halten.

Nicht zu weit hergeholt ist allerdings die Beobachtung, dass die Occupy Bewegung weder die Politik noch die Wirtschaft besonders stört. Statt den empörten Bürgern den Kampf anzusagen, machen sich Politiker, Funktionäre, Wirtschaftsbosse und Banker mit der Bewegung gemein. Unterstützung erhalten sie dabei von den Illners und Jauchs der deutschen Medienlandschaft.

Was von Occupy übrig bleibt, wenn Politik und Medien mit ihr fertig sind, ist eine freundlich konservative Protestgruppe aus der Mitte der Gesellschaft, vergleichbar mit dem S21 Widerstand. Am Ende haben sich alle mal so richtig eingebracht, Dampf abgelassen und die Grünen gewählt. Abgesehen von ein paar „linken Krawallmachern“ war der Protest friedlich. Die Grünen sind an der Regierung, Heiner Geißler hat geschlichtet, die Demokratie funktioniert und der Bahnhof wird gebaut.

Auf Occupy übertragen: Die Banken bekommen von der Politik ein paar kleine Auflagen und Richtlinien, die sie erleichtert erfüllen. Die Piraten steigen in der Wählergunst vorübergehend leicht an. Die Menschen haben den Eindruck, sich demokratisch mal so richtig eingebracht zu haben. Maybrit Illner lässt am Ende durchblicken, dass die Maßnahmen der Regierung zur „Eurorettung“ letztlich doch wirksam waren. Und wenn alles gut geht, wird Merkel 2013 erneut Kanzlerin und Peer Steinbrück ihr Finanzminister.

Auch wenn sich einige Anhänger der Bewegung für eine dezentrale Nichtorganisation aussprechen und darauf setzen, dass aus den Stimmen aller irgendwann ein Konsens erkennbar wird: Die Occupy Bewegung muss sich organisieren, ihre Forderungen formulieren und etwas genauer darauf achten, wer sie nach außen vertritt. Tut sie das nicht, dann wird sie kein Gewicht gewinnen. Sie bleibt dann so leicht, so beliebig und so bequem für die Herrschenden, wie bisher.