Erfrischend abgeschrieben

Estermann_ErfrischendAnders_RZ.inddIhren «Dr. med.» ist die Luzerner SVP-Nationalrätin Yvette Estermann schon seit einiger Zeit los, weil sie nie eine Dissertation verfasst hat. Abgeschrieben hat sie trotzdem.

Karl-Theodor zu Guttenberg, Annette Schavan, Silvana Koch-Mehrin: Die Liste der deutschen Politikerinnen und Politiker, die in den vergangenen Jahren ihren Doktortitel abgeben mussten, ist mit prominenten Namen bestückt. In der Schweiz ist dieses Schicksal bisher erst Yvette Estermann widerfahren. Im Gegensatz zu ihren deutschen Kolleginnen und Kollegen musste Estermann ihren «Dr. Med.» jedoch nicht abgeben, weil sie sich in ihrer Dissertation des Plagiats schuldig gemacht hatte, sondern weil sie gar nie eine Doktorarbeit geschrieben hat. Der «MUDr.» der Universität Bratislava, den Estermann weiterhin führen darf, gibt es für alle Studienabsolventinnen und -absolventen.

Nun hat Yvette Estermann eine Autobiographie geschrieben. «Erfrischend anders», heisst das eben erschienene Werk, und Estermann äussert sich darin laut Klappentext «ungeschminkt» über den «Zusammenhang von Politik, Geld und Macht, wie er sich z.B. im Lobbyismus in Bern ausdrückt». Die Medien lieben das. Ob «Sonntagsblick» («In ihrem Buch schnödet die Luzerner SVP-Nationalrätin über Lobbyisten und Parlamentskollegen»), «Basler Zeitung» («Stark ist das Buch auch in den Passagen, in denen Estermann die Lobby­isten frontal angreift») oder «TeleZüri» («Dr SVP-Nationalrötin us em Kanton Luzern sind die viele Lobbyischte ä Dorn im Aug») – fast alle feiern Estermann als Vorkämpferin für eine transparente Politik.

Dabei wäre etwas mehr Transparenz auch in Estermanns Buch durchaus wünschenswert. Gerade der Teil über den «unsäglichen Lobbyismus im Bundeshaus» ist nämlich nicht erfrischend anders, sondern über weite Strecken abgeschrieben. «Zahlen und Daten» in dem Kapitel stützen sich hauptsächlich auf den Beobachter-Beitrag «Der Befangenenchor» vom Oktober 2012, erwähnt die Nationalrätin zwar am Schluss des Kapitels. Aufmerksamen Beobachter-Lesern dürften jedoch ganze Abschnitte bekannt vorkommen: Estermann hat mindestens sechs Textstellen – mit minimen Änderungen – kurzerhand aus dem «Beobachter» übernommen. So heisst es etwa im «Beobachter»: «Einmal im Bundeshaus, immer im Bundeshaus – nach diesem Motto haben ehemalige Ratsmitglieder Anrecht auf einen Zutrittsausweis.» Bei Yvette Estermann tönt das so: «Dazu kommen die ehemaligen Parlamentarier, denn es gilt: einmal im Bundeshaus, immer im Bundeshaus.» Den Vorwurf des Plagiats weist die SVP-Politikerin gegenüber dem «Beobachter» zurück: «Ich habe gemeint, wenn man die Quelle angebe, dürfe man das.»

Auch die scheinbar Unabhängige hat Mandate und «Gäste»

Sowieso gibt sich Estermann unabhängiger, als sie tatsächlich ist. «Von Anfang an war ich im Parlament eine der ganz wenigen National- und Ständeräte ohne Mandat und ohne bezahlte Interessenbindung», schreibt sie in ihrem Buch. Ein Blick in das Register der Interessenbindungen des Parlaments zeigt jedoch: mit dem Präsidium der Yvette-Estermann-Stiftung und der Geschäftsführung der Gruppe «Neue Heimat Schweiz» hat auch die vermeintlich Unabhängige zwei Mandate inne.

Estermann kritisiert in ihrem Buch auch die Praxis ihrer Ratskollegen, mit den zwei Gästeausweisen, die jedes Parlamentsmitglied vergeben kann, vor allem Lobbyisten den Zugang zur Wandelhalle zu ermöglichen. Unerwähnt bleibt, dass auch sie selber zwei Ausweise ausgehändigt hat: an ihren Ehemann Richard Estermann, der eine Consulting-Firma betreibt (siehe Beobachter 18/2013), und an Peter With, den Präsidenten der SVP der Stadt Luzern. Beide deklariert sie unverdächtig als «Gast».

Den Textvergleich gibt es hier.


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