Erfolgreiche „Zwei Männer ganz nackt“ von Sébastian Thiéry

am Theater Vorpommern

Der Titel zieht! Besonders Frauen! Paarweise oder in Grüppchen. Junge, Jüngere und Damen mittleren Alters vorzüglich. Ganz nackt – das ist trotz allgegenwärtiger Sexualisierung unseres zivilen bürgerlichen Lebens noch immer gewöhnungsbedürftig. In der Öffentlichkeit ein Tabu, das, gebrochen, polizeiliche Maßnahmen nach sich zieht. Im Paradies war „ganz nackt“ Symbol für sündlose Freiheit – unter Gottes Auge. Aber wir wissen, wie es endete!

Anders im Theater. Ein kurzer verlegen erregender Schauer mag wohl einigen Zuschauern weiblichen und männlichen Geschlechts über den Rücken gelaufen sein, als unvermittelt ein völlig ungeschützt nackter, wohlgestalter Mann, durch den Ruf seines Handys geweckt, auf die Bühne stürzte. Als dann die Handlung Fahrt aufnahm und ein zweiter Nackter eher lässig die Szene betrat gab es noch vergleichende Blicke, aber man hatte sich schon gewöhnt!

Der Regie (Oliver Scheer) gelingt, dass es nie peinlich für den Zuschauer wird, da hier nicht sexualisierte Nacktheit zu Markte getragen wird. Das macht den Rang der Inszenierung aus. Nicht das Nacktsein an sich führt zu Heiterkeit im Publikum, sondern die Komik vielfach wiederholter Bemühungen der Männer, ihre Blöße zu bedecken, anstatt sich endlich mal anzuziehen! Dabei helfen ihnen den Bühnenraum schlicht strukturierend herabhängende weiße Voiles (Bühne und Kostüme – Xenia Hufschmidt)!

Wenngleich das durchgehende Thema des Stücks Sexualität ist, genauer Homosexualität, so wird sie hier nicht plump vorgeführt. Sexuelle Anspielungen werden ironisch gebrochen, mit indiziösen Fundstücken verdächtigen Tuns wird humorvoll gespielt. Die Komik der Komödie speist sich aus der Absurdität eines verdrängten, komplett ausfallenden Erinnerungsvermögens.

Die zwei Männer müssen verschreckt feststellen, dass sie sich kennen: Nicolas Prioux (Ronny Winter) und sein Chef Alain Kramer (Jan Bernhardt).

Dramatische Zuspitzung erfährt die verfahrene Situation durch das Erscheinen von Alains Ehefrau Catherine (Maria Steurich). Jede Notlüge, jeder hilflose Versuch ihres Mannes, sich zu rechtfertigen, macht es nur noch schlimmer – zum Vergnügen des Publikums. Man wird nie genau erfahren, ob sie ihn nicht ganz gern überführen würde – auch als Erklärung für die ganze, wie sich nach und nach herausstellt, Misere ihres beider verfehlten Ehelebens.

Zum Erfolg dieser Inszenierung trägt ganz maßgeblich das glückliche durch die Regie erlaubte Ausagieren schauspielerischen Könnens bei.

Jan Bernhardt darf als hilfloser Chef und vermeintlich bester Ehemann seinem Affen Zucker geben. Ständig schwankend zwischen depressivem Kleinmut und manische Hektik, versucht er einen Rettungsanker für sein altes Leben zu finden. Das missrät so gründlich wie komisch. Mit melancholischen Momenten, die Bernhardts starke Bühnenpräsenz komplettieren, berührt er das Herz und gewinnt endgültig die Sympathie des Publikums als ein moderner „Ritter von der traurigen Gestalt“.

Ronny Winter dagegen besticht durch die glaubhaft Gestaltung eines ganz anderen Charakters. Changierend zwischen Naivität und Gerissenheit, mit sympathischem Charme und jugendlicher Lässigkeit, ficht ihn das Heikle der Situation kaum an. Erst als er gegen Ende aussteigt und seinem Chef kündigt, scheint hinter einer scheuen Anhänglichkeit und wissender Überlegenheit ein Ernst auf, der auch seinerseits eine gewisse Tragik ahnen lässt.

Maria Steurich ist mit der Aufgabe betreut, die eigentliche Spielmeisterin im Stück zu sein. Als Frau Kramer hat sie vermeintlich alles im Griff. Modern, emanzipiert, ungeeignet eine Opferrolle zu übernehmen, will sie, vorgeblich, lediglich wissen, woran sie ist. Sie hat wenig Grund, Empathie oder andere echte Gefühle zu zeigen. Deshalb lässt sie auch nicht ahnen, welche Konsequenzen sie aus eventuellen Ergebnissen ihrer intriganten Ermittlungen ziehen würde. Das macht ihre Figur nicht gerade sympathisch. Wie aber Maria Steurich, leicht augenzwinkernd, ihre Aufgabe erfüllt, das überzeugt und bringt auch ihr die Sympathie des Publikums ein  und – wie auch den beiden anderen Darstellern –  herzlichen, lang anhaltenden Beifall.


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