Es gibt eine große Anzahl von Modellen, mit deren Hilfe immer wieder versucht wurde, die Menschen in verschiedene Kategorien einzuteilen: angefangen bei der fast 2500 Jahre alten klassischen Temperamentenlehre, die eine simple Einteilung in Sanguiniker, Choleriker, Melancholiker und Phlegmatiker vornahm, über die Zuordnung der einzelnen Sternzeichen (ich selbst bin zum Beispiel Wassermann) bis zum heutigen DISG-Modell, das gerne für Persönlichkeitstests verwendet wird.
Als ich vor vielen Jahren den Wunsch in mir verspürte, mich selbst und andere besser zu verstehen, habe ich mich mit einigen dieser Methoden befasst und sehr viel gelernt. Der Schweizer Psychiater Carl Gustav Jung hätte mich sicher ganz klar als “introvertiert” eingestuft. Und jede philosophische und psychologische Schule hat wieder andere Einteilungen. So habe ich viel Zeit damit verbracht, mir selbst auf die Schliche zu kommen. Doch so recht passte das alles nicht. Schließlich wurde ich dann aber fündig und entdeckte für mich das Enneagramm.
Die Aussagekraft und Treffsicherheit dieses Persönlichkeitsmodells fasziniert mich auch heute noch ebenso wie seine vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten, und ich gewinne immer wieder neue und tiefere Erkenntnisse. Es verbesserte meine Menschenkenntnis im privaten und beruflichen Leben enorm. Fern davon, Menschen in “Schubladen zu sortieren”, hilft es mir dabei, zu erkennen,
- worin sich Menschen unterscheiden,
- welche Stärken und Schwächen die einzelnen Persönlichkeitstypen auszeichnen,
- wie sich jeder Mensch mit seinen Licht- und Schattenseiten annehmen kann,
- wo mögliche Hindernisse für die persönliche Entwicklung liegen,
- welche Entwicklungsrichtung jeweils förderlich ist,
- wo typische Stolpersteine im Umgang mit anderen Menschen liegen und
- wie ich mit unterschiedlichen Menschen besser zurechtkommen kann.
Eine Teilnehmerin meines Selbstwert-Seminars hat in einem Kommentar auf einen sehr schönen kostenlosen Enneagrammtest hingewiesen, den ich gerne mit Dir teilen möchte. Hier geht’s zum Test. Ich selbst bin übrigens ganz klar eine FÜNF auf dem Weg der Besserung!
Lebensaufgaben
Für die im Enneagramm vorgestellten 9 Persönlichkeitstypen gibt es jeweils ganz besondere Herausforderungen, die sich aus ihren Ängsten, Fähigkeiten und Abwehrmechanismen ergeben. Wenn wir uns dieser Herausforderung stellen, müssen wir immer unsere Komfortzone überwinden. Das bedeutet, dass wir unsere Denkgewohnheiten, unser typisches Verhalten und unseren Handlungsspielraum erweitern und neue Wege gehen. Bei mir als FÜNF sah das zum Beispiel so aus, dass ich mit dem von mir so fleißig gehorteten Wissen irgendwann den Schritt aus meinem Elfenbeinturm hinaus wagen musste, damit es Früchte tragen konnte. Ein Freund sagte einmal zu mir, ich müsse “aus der Schale kommen”. Für Dich wird es vielleicht eine andere Herausforderung sein, der Du Dich stellen musst, um immer mehr Du selbst zu werden.
Wenn Du aufmerksam durchs Leben gehst, kannst Du beobachten, dass Menschen das oft sogar ganz unbewusst tun. Das Enneagramm ist ja nicht erfunden worden, um Dir vorzuschreiben, wie Du Dich zu entwickeln hast. Es beschreibt und strukturiert vielmehr in seinem System die unzähligen Beobachtungen, wie Menschen sich im Laufe ihres Lebens verändern, wenn sie in guter seelischer Verfassung und auf einem guten Weg sind. Schauen wir uns die Möglichkeiten der einzelnen Typen einmal der Reihe nach unter dem Schwerpunkt Lebensaufgabe an.
Typ 1
Für Menschen vom Typ 1 heißt die zentrale Lebensaufgabe, zu akzeptieren, dass es nicht nur richtig und falsch gibt, sondern dass es mehr als nur einen “richtigen” Weg gibt.
Die Fähigkeit, in Wahlmöglichkeiten zu denken, können sie bei SIEBENern lernen, genauso wie das Alle-Fünfe-gerade-sein-Lassen. Wenn EINSer diese Hürde meistern, dann werden ihre visionären und reformerischen Anteile auch von anderen gewürdigt. Dann brauchen sie nicht mehr mit Strenge zu (be)urteilen, sondern können manche Ungereimtheiten, Widersprüche und Unvollkommenheiten lassen, wie sie sind, und sich vom Zwang des eigenen Anspruchs lösen. Mit ihrer heiteren Ausgeglichenheit erreichen sie wesentlich mehr an Veränderungen als mit kritischem Perfektionismus.
Wenn EINSer in einer guten Verfassung sind, sind sie entspannt und gelöst und gehen humorvoll mit sich und anderen um. Ihr innerer Kritiker – der bei ihnen normalerweise oft zu Wort kommt – tritt in den Hintergrund, sie richten ihr Augenmerk mehr auf positive Entwicklungen als auf Fehler und erleben Leichtigkeit und Lebensfreude.
Typ 2
Für ZWEIer heißt die zentrale Lebensaufgabe, sich selbst anzunehmen und zu lieben und sich in seinem Selbstwertgefühl von der Zustimmung anderer unabhängig zu machen. Mein E-Book und meinen Kurs habe ich also vor allem für die ZWEIer unter uns geschrieben und produziert.
Der Pfeil geht zu Punkt 4, wo ZWEIer die Fähigkeit, sich mit sich selbst und den eigenen Gefühlen zu beschäftigen, sehr stark ausgeprägt finden. Was für VIERer eine Selbstverständlichkeit ist, sich selbst wahrzunehmen und bei der eigenen Befindlichkeit zu verweilen, ist für ZWEIer eine manchmal unüberwindlich scheinende Hürde. Sie zu nehmen beschenkt ZWEIer mit tiefer Demut und macht sie zu ZWEIern, die ihren Wert in sich selbst finden.
Wenn Menschen vom Typ 2 in einer guten Phase sind, erspüren sie ihre persönlichen Bedürfnisse und entdecken ihre eigene Kreativität. Dadurch werden sie frei, ihr natürliches Talent, etwas für andere zu tun, zu entfalten, ohne darauf angewiesen zu sein, dass ihnen durch Dankbarkeit gezeigt wird, wie liebenswert und unersetzlich sie sind.
Typ 3
Für Menschen vom Typ 3 heißt die zentrale Lebensaufgabe, Zugang zu ihren eigenen Gefühlen zu entwickeln und die Wirklichkeit ohne Beschönigung anzunehmen, wie sie ist. Für DREIer sind hier im Blog vor allem die Beiträge zum Thema Bewusst leben interessant.
Für ihre Entwicklung können sie sehr viel von Punkt 6 lernen. Besonders können sie sich solche Menschen zum Vorbild nehmen, wenn es darum geht, sich für Menschen oder eine Sache zu entscheiden und dann loyal dazu zu stehen, unabhängig davon, wie die Lage sich entwickelt. SECHSer sind Meister darin, Schwachstellen zu entdecken und vorauszusehen, was schief gehen kann. Die bei der SECHS übertriebenen Selbstzweifel bewirken bei DREIern, dass sie sich in ihrer einseitigen Leistungsorientierung selbst in Frage stellen. Sie helfen ihnen, Versagen nicht zu beschönigen, sondern es zu akzeptieren und sich zuzugestehen. Wenn DREIer sich darauf einlassen können, ohne Schönfärberei und Zweckoptimismus die Realität anzuschauen und auf Schein zu verzichten, kommt ihr Talent, tüchtig und effizient zu sein und andere motivieren zu können, zu seiner besten Entfaltung, weil sie es nicht mehr dazu benutzen müssen, Schönheitsfehler zu verdecken und ihr Mäntelchen nach dem Wind zu drehen. DREIer, die glaubwürdig sind und auf die man sich verlassen kann, haben sich aus ihrer Selbstverstrickung befreit.
Wenn DREIer in einer guten Phase sind, treten Erfolg und Leistung in den Hintergrund. Sie finden Zugang zu ihren persönlichen Gefühlen, erkunden, wer sie wirklich sind, und entdecken Tätigkeiten, die nicht nur nützlich sind, sondern einen tieferen Sinn in sich selbst haben.
Die Typen 4 bis 9 besprechen wir nächste Woche,
“gleiche Stelle, gleiche Welle”.
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