Erdrückende Ruhe

Am Freitag war ich seit Geburt der Kleinen das erste Mal ohne meine Kinder - so ganz allein - draußen - spazieren, nur ich.

"Herrlich" sagt Ihr jetzt bestimmt. "Nach einem Jahr das erste Mal - das wurde aber auch Zeit" kommt Euch vielleicht in den Sinn.

Für mich war es total ungewohnt, das Haus ohne meine beiden Mädels zu verlassen, obwohl ich keinen Termin habe, keine Verpflichtung, nicht arbeiten muss und auch sonst nichts vor habe. Ich lief einfach ziellos, planlos und ohne Zeitdruck draußen rum. Erstmal ging ich schnellen Schrittes - in dem Tempo, wie ich es gewohnt war, wenn ich einen Termin habe.

Und als ich heute die Wohnung verließ, wusste ich, dass für die nächsten Minuten während meines Spaziergangs niemand nach mir rufen wird, sie haben den Papa da, der ihnen das erfüllt, was sie dann brauchen - und zwar genauso gut wie ich. Davon bin ich überzeugt, das glaube ich und darauf vertraute ich, denn sonst hätte ich es sicher nicht übers Herz gebracht, zu gehen. Und so war es. Die Große verabschiedete mich mit den Worten "jetzt zieh deine Jacke an und geh endlich" und die Kleine lag auf dem Bett und ließ sich gerade vom Papa den Schlafanzug anziehen.

Also ging ich mit einem kurzen "Tschüss, bis gleich" raus und schloss die Wohnungstür hinter mir. Kein Weinen, kein Quengeln - es war ruhig, als wäre es das Normalste der Welt. Ist es ja auch eigentlich. Schon nach ein paar Minuten dachte ich: "Wofür rennst Du jetzt so? Es wartet doch keiner auf Dich, die Mädels haben Zeit mit dem Papa und das gönne ich ihnen, ich gehe etwas langsamer". Das ist gar nicht so leicht, ein langsames Tempo an den Tag zu legen, einfach mal durch die Straßen laufen, Gedanken schweifen lassen und der Natur zuzuhören. Es scheint, als hätte ich diese Ruhe schon komplett verlernt, denn immer habe ich die Kinder um mich und habe mich schon so sehr an den Grundlärmpegel gewöhnt, der mit Kindern eben herrscht. Und ich habe mich auch daran gewöhnt, gebraucht zu werden und für sie da zu sein, wenn sie nach mir rufen.

Auf einmal bin ich mit mir allein - mit meinen Gedanken - mit den Geräuschen der Natur - ohne ein "Mama" hier oder "kannst Du mal bitte" oder "guck mal" oder "wuäh". Einfach nur Vogelzwitschern,

Erdrückende Ruhe

ein paar vorbeifahrende Autos, das Surren der Ampel, das Rauschen der Blätter - meine Schritte.

Erdrückende Ruhe

Das ist so unglaublich - irgendwie so erdrückend. Was mache ich eigentlich hier und warum und wofür? "Für mich soll ich das tun" wurde mir immer wieder gesagt, "weil ich eine Auszeit brauche", "weil ich auch mal ohne die Kinder sein muss".

Bald steht der Elternabend für die Eltern der neuen Kinder im Kindergarten an. Ich werde dorthin gehen und weil ich mich besser fühle, wenn ich vorher einmal erfahren habe, dass es auch ohne mich klappt, habe ich es am Freitagabend probiert, einmal rauszugehen, sodass sie ohne mich mit dem Papa zu Hause sind.

Kein Kind hat geweint, als ich die Wohnung verlassen habe. Das hat mich schon mal sehr beruhigt. Ich habe zwischendurch keine verzweifelte Nachricht bekommen, dass ich bitte nach Hause kommen soll. Auch das hat mich sehr beruhigt. Nach einer halben Stunde bin ich wieder vom Spaziergang nach Hause gegangen und wurde von vier strahlenden Augen freudig begrüßt. Die Kleine wich an dem Abend allerdings nicht mehr von meiner Seite und sobald ich den Raum verließ, weinte sie bitterlich. Verständlich, denn es war ja wirklich das allererste Mal, dass sie ohne mich zu Hause war.

Mein Mann erzählte mir dann, dass sie gut gespielt haben und es eine schöne Zeit war. Ich fragte, ob das Einschlafen wohl auch geklappt hätte. Da meinte er, irgendwann wären sie wohl eingeschlafen, aber zu dem Zeitpunkt waren sie wohl noch nicht müde genug. Ich müsse das mal öfter machen, damit sich die Kinder daran gewöhnen, hat er gesagt. Ja, vielleicht hat er Recht, dass es dann leichter ist, wenn sie es kennen, regelmäßig vom Papa ins Bett gebracht zu werden, weil ich nicht da bin. Trotzdem werde ich mir jetzt nicht regelmäßig vornehmen, abends ziellos durch die Straßen zu laufen, um diese Situation herbeizuführen, dass sie sich damit arrangieren müssen. Diese Situationen werden auf uns zukommen, wie z. B. beim Elternabend oder wenn ich bald einen Tag pro Woche die Spätschicht auf der Arbeit übernehme und dadurch erst zu Hause bin, wenn die Kinder hoffentlich schon lange schlafen. Ich vertraue darauf, dass es dann auch wirklich klappt, ganz ohne zu üben.

Ich vertraue auf meinen Mann,

  • dass er mindestens genauso gut und liebevoll wie ich mit den Kindern umgeht.
  • dass er die nötige Geduld hat, wenn beide weinen, weil sie vielleicht noch weiter spielen möchten oder mich vermissen.
  • dass er beiden Kindern gerecht wird und auch beim Einschlafen die Ruhe ausstrahlt, um sie in den Schlaf zu begleiten.

Ich vertraue auf meine Kinder,

  • dass sie die Zeit mit dem Papa genießen.
  • dass sie mit der Situation, wie sie ist, zurechtkommen, auch wenn sie ungewohnt ist.
  • dass sie beide ruhig einschlafen, wenn sie müde sind.
  • dass sie sich freuen, wenn ich wieder da bin.

Was ich daraus gelernt habe: Ich möchte nicht regelmäßig die Abende ohne die Kinder verbringen, sondern die Zeit mit ihnen genießen, solange sie meine Nähe noch einfordern und brauchen. Von ganz alleine wird es auf uns zukommen, dass sie die Nähe abends weniger brauchen und verlangen. Dann kann ich immernoch überlegen, was ich mit der Zeit dann anfange. Wenn es drauf ankommt und ich wirklich nicht da bin, dann klappt es, weil ich auf meinen Mann und meine Kinder vertrauen kann und weil es bisher immer geklappt hat, wenn ich weg war.

Wie ist das bei Euch? Genießt Ihr die Zeit ohne Eure Kinder? Plant Ihr regelmäßig Auszeiten für Euch ein, um die Kinder daran zu gewöhnen, auch mal bei jemand anders zu sein? Oder lasst Ihr es eher drauf ankommen, wenn es soweit ist und vertraut darauf, dass es schon klappen wird? Eure Renate

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