Erdoğan, Irrer oder „weiser Seher“?

Von Almabu

Über Leo Brux und sein unentbehrliches Blog blog.initiativgruppe.de stiess ich auf die DTN-Meldung, dass Erdoğan den Austritt der Türkei aus der UN erwäge. Meine erste Reaktion war klar, sie lautete etwa so, „jetzt ist er endgültig durchgeknallt“, der Recep natürlich, nicht der Leo! Dann dachte ich etwas länger über diese Frage nach und kam zu einem differenzierteren Urteil.

Erdoğans Aussagen sind m.E. zunächst einmal sachlich richtig und politisch in sich schlüssig. Die Behauptung des von den DTN zitierten „Experten für türkische Aussenpolitik“(?) Dr. Günter Seufert hingegen, von einer politischen Isolation der Türkei, kann ich nicht uneingeschränkt nachvollziehen.

Tatsache ist, dass das Kräfteverhältnis im Un-Sicherheitsrat dem Zustand der Welt Mitte der 40er Jahre des vorigen Jahrhunderts entspricht. Die vertretenen Mächte entsprachen im Wesentlichen der Anti-Hitler-Koalition im WWII. Dass heute, rund 70 Jahre nach dem WWII klar von den USA abhängige Länder wie Großbritannien und Frankreich Veto-Mächte sind und Indien und Brasilien zum Beispiel nicht einmal vertreten sind, ist ein Anachronismus, der in keiner Weise den Realitäten von 2013 entspricht. Der UN-Sicherheitsrat ist zusammen mit dem selektiven Gebrauch des Argumentes der Menschenrechte ein Kontroll- und Kampfinstrument des Westens, dem von Russland oder China nur ein gelegentliches Veto entgegen gesetzt werden kann.

Erdoğans Bemerkung war womöglich aus dem Zusammenhang gerissen worden?
Er hätte wohl besser zunächst für eine konkrete Überarbeitung der UN-Satzung, der Zusammensetzung der Gremien und der Spielregeln geworben und Verbündete dafür gesammelt und erst danach, sollte es – wie zu erwarten ist – zu keiner Einigung kommen, eine Alternativ-Organisation in den Raum stellen sollen? Aber die Türkei ist keineswegs isoliert, nicht einmal im Westen, vom Osten ganz zu schweigen. Sie ist ganz klar mittlerweile zu einem Machtzentrum aus eigener Kraft gewachsen und Obama weiss dies und berücksichtigt dies. Über die EU kann Erdoğan ganz gelassen lachen. Die wirtschaftliche Entwicklung der Türkei und die Verschiebung der Machtverhältnisse im Nahen Osten haben die Notwendigkeit eines  EU-Beitritts obsolet gemacht. Die Türkei braucht ihn nicht mehr, sie will ihn vermutlich nicht mehr und er würde auch nicht funktionieren. Glaubt vielleicht jemand, Erdoğan würde sich von Lady Ashton, Barroso, van Rompuy & Co. bindende politische Vorgaben machen lassen und stimmgleich mit Belgien und Luxembourg in Brüssel sitzen wollen?

Aber faktisch ist es ohnehin der Westen selbst, der den UN-Sicherheitsrat entwertet, wenn er ankündigt, notfalls auch ohne dessen Einschaltung in Syrien tätig werden zu wollen. Der Westen nutzt den Rat, wenn es ihm passt und missachtet ihn und UN-Beschlüsse, wenn es ihm nicht passt (z.B. in Fragen Israel betreffend). Obama hält es übrigens mit dem US-Parlament ganz ähnlich.

Es gibt außer den USA, dem UK, Frankreich, Israel und der Türkei(!) niemanden, der militärisch in Syrien eingreifen möchte, die US-Vasallen Saudi-Arabien und Katar lasse ich hier mal unerwähnt. Trotzdem wird es wohl zu einem solchen Eingreifen kommen, aus fabrizierten Gründen, wie wir es aus dem Irak und Lybien bereits kennen und wie es offenbar auch schon für den Iran geplant ist. Wir schlittern in einem Krieg von globalen Dimensionen. Man nennt das Weltkrieg… Obama soll sich am vergangenen Wochenende bereits auf ein militärisches Vorgehen mit Cameron geeinigt haben. Die Franzosen freuen sich, mitmachen zu dürfen und auch Guido Westerwelle und Frau Merkel werden rechtzeitig die Kurve kriegen…

Gestern noch im Kanal, Morgen Syrien und dazwischen Gibraltar befreien?

Bei den erwarteten riesigen unterseeischen Gas- und Ölmengen im östlichen Mittelmeer zwischen Zypern, Israel, Syrien und der Türkei und den gigantischen Gewinnerwartungen wird jetzt der Player mit den besten Raffinerien und Pipelines vor Ort in Aleppo, nämlich Syrien ausgeschaltet, bzw. übernommen. Das ist der Plan. Die Pläne des Westens gehen aber zuletzt häufig schief und führen zu Massentod, Verelendung und Chaos, von ihrer moralischen Verkommenheit mal ganz abgesehen. Russland, China, der Iran und Andere werden sich dies nicht ewig tatenlos ansehen können. Dieses Machtpoker-Spiel nähert sich deshalb seinem Ende…