Erdogan, der Anti-Integrator

Erdogan, der Anti-Integrator

Die Kanzlerin zittert, die Presse spitzt erwartungsvoll die Bleistifte und alle, die in Köln, Neukölln oder sonstwo in der Republik mit türkischen Jugendlichen arbeiten, würden sich und allen türkischstämmigen Menschen in Deutschland am liebsten die Ohren zuhalten. Recep Tayyip Erdogan kommt, und er hat wieder seinen Holzhammer dabei.

Türken sollten nie vergessen, dass sie eigentlich Türken sind, Deutschland braucht türkische Schulen, türkische Kinder müssen zuerst türkisch, dann Deutsch lernen, Assimilation ist ein Verbrechen, die Türkei will bei der Integration mitregieren: Bei den vergangenen Besuchen hatte der Ministerpräsident stets einen Strauß polemischer Parolen als Gastgeschenk dabei, und diesmal ist es nicht anders.

Die Bild-Zeitung konnte sich das nicht entgehen lassen und hat Erdogan vor dem Festakt zu 50 Jahren Anwerbeabkommen zum ausführlichen Interview gebeten. Diesmal erfahren wir vom Premier: Deutschland würdigt die Verflechtung der Türken hierzulande nicht genug und es verletzt die Menschenrechte, wenn es Deutschkenntnisse von Einwanderern fordert.

All diese Fragen ließen sich durchaus diskutieren. Tatsächlich schaffen türkische Unternehmer Hunderttausende Arbeitsplätze. Türkische Schulen in Deutschland zum Beispiel gibt es bereits. Ob sie der Integration dienen, ist streitbar. Aber in der Türkei gibt es auch deutsche Schulen. Auf der anderen Seite sollte ein Sprachwissenschaftler Herrn Erdogan erklären, dass Kinder durchaus in der Lage sind, zwei Sprachen gleichzeitig zu erlernen.

Doch um eine besonnene Diskussion geht es dem türkischen Präsidenten ja gar nicht. Er liebt es, sensible gesellschaftliche Fragen mit politischen Konflikten zu vermengen. Das ist jetzt der Fall, wenn er betont, ein türkischer EU-Beitritt, der von der Bundesrepublik abgelehnt wird, würde die Integration intensiv vorantreiben. Oder wenn er quasi nebenbei noch einmal die doppelte Staatsangehörigkeit fordert.

Aber auch in seinem eigenen Land lässt Erdogan diese Handschrift erkennen, das beweist zum Beispiel sein Umgang mit dem Kurdenkonflikt. Den zu entschärfen war er eigentlich vor sechs Jahren angetreten. Doch weil ihm die linke kurdische Partei BDP im Süden des Landes Wählerstimmen streitig machte, heizte er den Konflikt wieder an – ein deutliches Merkmal dafür, wie der Präsident mit Minderheiten im eigenen Land umgeht.

Ganz nebenbei: Erdogan behauptet im Bild-Interview, das türkische Volk sehe das deutsche «mit sehr positiven Gefühlen». Das wäre wünschenswert, die jährliche BBC-Umfrage zu den beliebtesten Nationen allerdings spricht eine andere Sprache. Demnach gehört die Türkei zu den Ländern, in denen Deutschland den schlechtesten Ruf hat. Darauf üben die plakativen Äußerungen des Präsidenten sicherlich keinen positiven Einfluss aus.

Was Recep Tayyip Erdogan tut, ist die Antithese von Feingefühl und den vielen kontinuierlichen, kleinen Schritten, die für so einen komplexen Prozess wie Integration notwendig sind. Den Menschen, völlig egal ob Türken, Deutsche oder türkischstämmige Deutsche, die täglich am Mosaik des Zusammenlebens basteln, werfen seine Schläge mit dem Holzhammer regelmäßig die Steinchen durcheinander.

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Provokantes Interview – Erdogan, der Anti-Integrator

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Tags: Menschenrechte, Recep Tayyip Erdogan

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