Wie war das mit der Redewendung „jemanden zu treten, der am Boden liegt“? So etwas tut man nicht. Gegen jemanden zu kämpfen, der einem in jedem Sinne unterlegen ist. So etwas tut man nicht. Jemandem was wegzunehmen, der nichts mehr hat. Das sagt man doch, oder? Wenn man doch nur genug Abstand und sich Rationalität erlauben kann. Ganz oft ist es jedoch so, dass man nur wenn man wirklich wirklich krank ist, sowas nötig hat. Ansonsten wurde man vorher verletzt und man will nur zu seinem Recht kommen sprich Rache. Das Gegenüber soll verletzt werden, wie man selbst verletzt wurde.
Aber was ist wenn die Zeit, die Wunden geheilt hat? Neueste Entwicklungen alte Geschehnisse in Vergessenheit geraten lassen. Ein Schleier über die Erfahrungen sich legt. Die Rationalität wiederkehrt und man erkennt, dass man die Vergangenheit nicht ändern kann und man seine Energie in die Zukunft investieren sollte. Dass man sich im Grunde einer Belastung entledigt hat, es jetzt für einen besser ist. Man ist über diese Beziehung hinaus gewachsen, musste sogar feststellen, dass sie einem nichts Gutes gebracht hat, wenn nicht sogar eingeschränkt hat. Das wirklich wirklich Beste an ihr war, dass sie zu Ende ging.
Gott sei Dank, machte ich solche Erfahrungen nicht oft. Deshalb kann ich nicht einschätzen, wie schlimm einzelne Entwicklungen, die gewickelt wurden, waren. Und wenn ich einen Maßstab dafür auftreiben könnte, wäre es sicher nicht anders das Empfinden. Ich stelle mich den Schatten meiner Vergangenheit, so habe ich an Silvester festgestellt. Ich fahre im Schlaf mit Aufzügen, dessen Fahrt ich mir erkämpfen muss. Ich aber trotz aller Ängste und Bemühungen an meinem Ziel ankomme. Ich habe mich weiterentwickelt, habe vergangene Gewichte losgelassen. Seitdem ging es bergauf. Obwohl es manchmal auch hilfreich ist, dass man keine Zeit hat zu denken, zu reflektieren. Irgendwann stellt sich einfach alles wieder ein, nur besser halt.
Leider musste ich zu meinem Bedauern feststellen, dass so eine Entscheidung über das Loslassen nicht einzig und allein mir obliegt. Die Gewichte spüre ich wieder an den Gliedern. Es scheint so, als ob ich mich nicht gerächt hätte, aber gerächt worden wäre. Während ich eine Weile mit der Weiterentwicklung beschäftigt war, den Wind unter meinen Flügeln zu spüren, wurden wohl die Rollen getauscht. Aufgeben ist nicht meins und am Boden lieg ich schon lange nicht mehr. Stattdessen findet sich da jemand anderer und ich scheine mich so weit weiterentwickelt zu haben, dass mir sogar dies egal ist.
Und was mache ich jetzt? Ich steh da drüber, ich habe es nicht nötig jemanden zu treten, der bereits am Boden liegt. Wenn ich also von ihm ablasse, müsste er mir das doch anrechnen. Zum Wegnehmen ist da sowieso nichts mehr. Wenn ich ihm immer wieder begegne, erkenne ich, dass er es nicht wert ist. Er wirkt fast durchsichtig. Er spürt aber, dass ich soviel mehr geschafft habe, nicht nur all das, was er mir nicht zugetraut hat, sondern wohl auch das, was er sich für sich selbst wünscht. Vielleicht bereut er sogar und mir ist es egal. Aber wenn er doch schon am Boden liegt und ich nicht mehr treten will, und ablassen werde, was soll ich tun, wenn er sich an mir festkrallt? Mich kratzt, beißt, versucht zu Boden zu ziehen? Immer noch ablassen? Aber es ist so sinnlos, so uninteressant, ich würde mich gerne mit anderen Dingen beschäftigen. Leider kann ich die Entscheidung nicht nur alleine für mich treffen. Wie erkläre ich all das meinem Kind? Wie soll ich einen dermaßen irrationalen Menschen kurz und schmerzlos in seine Schranken weisen? Umso mehr ich ihm erklärte, dass es sich für mich erledigt hat, umso mehr wurde deutlich, dass es nicht für ihn erledigt ist. Seltsam, dabei habe ich eher das Gefühl gehabt, dass er wirklich alles vorstellbare und darüber hinaus liegende getan hat, um es zu erledigen.
Also, wie werde ich Herr der Lage? Wenn ich nicht aufpasse, erledigt er mich. So ganz abwegig scheint es nicht zu sein. Denn dann wäre dieser Beitrag nicht so wie er ist …