Was bisher geschah:
Mehr als 13.000 Kilometer hatten Jessica und Max auf ihrer abenteuerlichen Urlaubstour bereits hinter sich gelassen. Als Fremde trafen sie sich auf Mallorca und wurden durch schicksalhafte Fügungen zueinander gebracht. Mittlerweile waren sie als Pärchen in Südostasien unterwegs. Obwohl sie Jessicas Ex-Freund, Roland, bereits längst vergessen hatten, besaßen sie noch immer ein Andenken an ihn. Die ominöse Speicherkarte und ihr Geheimnis wollten beide nun in Saigon lüften und dem Spuk damit ein für alle Mal ein Ende setzen.
Eine wirkliche Maschinengewehrsalve an vietnamesischen Sing-Sang
Der Himmel über Saigon war in ein kraftvolles Abendrot gehüllt. Diverse Wolkenschichten türmten sich zu fantastischen Gebilden auf. Kein Zweifel, der Monsun hatte die Herrschaft über das Klima Südostasiens. Nicht dass es unentwegt regnen würde, doch zumindest ein kräftiger Schauer ging tagsüber – meist am Morgen – über der Region hinunter. Dabei kühlte es sich nicht merklich ab – ganz im Gegenteil. Statt einer trockenen Hitze fühlt es sich eher wie in einer großen Waschküche an. Nach knapp einer Woche hatten sich Jessica und Max an dieses außergewöhnliche Klima gewöhnt. Wichtig war es Klimaanlagen weitestgehend zu meiden, denn diese weitverbreitete technische Errungenschaft gaukelte ihnen doch nur das europäische Wetter vor, während draußen ein ganz anderer Song gespielt wurde, auf den sie durch eine regelmäßige Nutzung dieser Kältekammern niemals klargekommen wären.
Sie erreichten die südliche Metropole Vietnams am späten Nachmittag, also gegen 17 Uhr, was in den Tropen bedeutete, dass sie noch exakt 60 Minuten Tageslicht auskosten durften, bevor die Sonne um Schlag sechs bis zum nächsten Tag verschwand. Saigon, das heute eigentlich Ho Chi Minh City heißt, erreichten sie durch die Nutzung eines Linienbusses via Ving Longh in einer Tagestour. Ein wenig wehmütig hatten sie am Morgen das Kim Tho Hotel in Can Tho verlassen. Nur allzu gerne hätten sie noch einen weiteren Tag in der Stadt am Mekong verbracht, doch der Zeitplan war ein wenig eng, wenn sie noch den Freund von Jai in Saigon antreffen wollten.
Während andere Touristen, den sie auf dem Weg begegneten, in klimatisierten Minibussen reisten, mischten sich Jessica und Max unter die Einheimischen im lokalen Verkehrsmittel, das natürlich über keine künstliche Kältezufuhr verfügte. Doch beide hatten sich auf die Hitze eingestellt und so machte ihnen die stickige Luft im Bus nicht viel aus. Belastend war viel mehr eine Frau, die wohl zu einer ethnischen Minderheit des Landes gehörte. Sie schien einen Narren an Max gefressen zu haben. Der stand direkt neben ihr und sie ließ eine wirkliche Maschinengewehrsalve an vietnamesischen Sing-Sang auf ihn niederprasseln. Ein opulent buntes Kopftuch schmückte ihr Haupt, der Mund war so zahnleer wie der des Taxifahrers an der Grenze und um den Hals und an den Fingern glitzerten übermäßig viele Ketten und Ringe. Sie schien sich despektierlich oder zumindest belustigend über Max zu äußern – zumindest nahm er das an, da er kein Wort des Kauderwelschs verstand doch die Mehrheit der interessiert zuschauenden Masse an Mitfahrern herzhaft lachen musste ob der Äußerungen von der skurrilen Dame. So im Mittelpunkt zu stehen gefiel ihm wiederum gar nicht und als sie auch noch anerkennend in seinem spärlichen Brusthaar wühlte, war es Max wirklich zu viel. Er versuchte ihr zu verstehen zu geben, dass er jetzt einfach in Ruhe gelassen werden wollte. Jessica wiederum, glücklich nicht das Opfer zu sein, klinkte sich in die allgemeine Heiterkeit der Mitfahrer ein und bekam wahre Lachkrämpfe von den vergeblichen Versuchen ihres Freundes sich der alten Frau zu entledigen. Erst als er ihr eine seiner Zigaretten offerierte, nachdem sie ihm offenbar einige ihrer Ringe verkaufen wollte, gab die Frau Ruhe. Kein Wunder, denn nachdem sie sich die Fluppe mitten im Bus angezündet hatte, legte der Fahrer einen außerplanmäßigen Zwischenstopp ein um sie des Vehikels zu verweisen. Max atmete zufrieden durch und genoss den Rest der Fahrt in dem vietnamesischen Linienbus, der keine regulären Haltestellen ansteuerte. Gäste, die aussteigen wollten, machten durch Zuruf auf sich aufmerksam. Der Fahrer verringerte das Tempo auf Schrittgeschwindigkeit und ermöglichte so dem willigen Aussteiger einen relativ gefahrlosen Absprung. Genau so sah es dann auch bei den neu hinzukommenden Fahrgästen aus – nur eben umgekehrt. Sie winkten wie blöde am Straßenrand und gaben dann ordentlich Fersengeld, um auf den Bus der Marke Ikarus aufzuspringen. Verrückt!
Verkehrsregeln schienen außer Kraft gesetzt zu sein
Am Busbahnhof wurden beide sogleich von einer Scharr Mopedfahrer eingekesselt. Jeder wäre gerne der Glückliche gewesen, der die beiden Ausländer zu ihrem Hotel gebracht hätte. Doch Max wimmelte alle Dienstleister ab und lotste Jessica zu einem Taxi. Ein Fehler, wie sich rausstellen sollte, denn mit dem Moped oder sogar zu Fuß wären sie weitaus schneller gewesen. Sämtliche Max bekannte Verkehrsregeln schienen hier außer Kraft gesetzt zu sein. Millionen Moped- und Radfahrer standen einer Minderheit von Autofahrern gegenüber, die wiederum in langen Staus gefangen waren. Doch irgendwann erreichten sie das Le Duy Hotel im 1. Distrikt der Stadt und schon wartete ein neues Abenteuer auf die beiden Vietnamnovizen. Das Auto hielt am rechten Straßenrand, das Hotel stand wiederum auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Doch wie heil hinüberkommen, wenn beide Seiten durch einen dichten Strom von Fahrrädern, Mopeds und einigen Autos versperrt waren und eine Ampel sich nirgends in Sichtweite befand? Beide blickten beinahe eine Ewigkeit auf dieses Dilemma in der stillen Hoffnung ein Muster oder zumindest eine Lücke entdecken zu können. Doch Fehlanzeige. Hätte Max nicht Jessica einfach an die Hand genommen, sie würden wohl noch heute an dieser Straße in Saigon stehen. Das Geheimnis war Vertrauen. Vertrauen in die Rücksichtnahme der anderen Verkehrsteilnehmer, die offenbar immer vorsichtig mit dem schwächsten Glied der Kette – in diesem Fall den Fußgängern – umgehen würden. Beide taten vorsichtig einen Schritt vor den anderen und tatsächlich, wie Moses einst das Rote Meer spaltete, bahnten sie sich ihren Weg durch dieses Chaos aus Blech und Menschen, die ohne zu murren und zu hupen einfach um sie herumfuhren. Verblüffend einfach. Ein gleichartiger Feldversuch in Berlin hätte definitiv mit einem Krankenhausaufenthalt geendet.
Das vom Reisebüro gebuchte Le Duy Hotel war wieder einmal zauberhaft und kostete beide kaum viel mehr als ein Lächeln. Überhaupt hatten sie sich den raschen Pulsschlag Asiens bereits zu eigen gemacht und statt einer längeren Verschnaufpause auf dem Zimmer, stürzten sie sich nach einer schnellen Dusche bereits wieder in die hektische, laute und wunderschöne einstige Kolonialstadt Indochinas.
Sie spazierten zum Tao Dan Park und borgen rechts in die Thi Minh Khai ein. Die Route war von Max geschickt gewählt, denn so passierten sie direkt den imposanten Wiedervereinigungspalast der im Dunkeln durch eine imposante Illumination auf sich aufmerksam machte. Gleich in der Nähe des luxuriösen Sofitel Saigon Plaza Hotels ließen sie sich in einem Lokal nieder und nahmen ein sagenhaftes Abendessen – Huhn mit Reis – zu sich. Der Ausflug war auch dahin gehend praktisch, da sich die Wohnung von Huang, dem Kumpel von Jai, genau hier in der Gegend befand. Huang hatte sie am nächsten Vormittag in sein Heim eingeladen und so konnten Jessica und Max an ihrem ersten Abend in Saigon gleich das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden.
»Meine Eltern Gastarbeiter waren in der DDR«
Nach einer ausgezeichneten Nacht und einem wahrlich fürstlichen Frühstück im Hotel am nächsten Morgen brachen sie dann mitsamt der Speicherkarte zur Behausung von Huang in die Ly Tu Trong auf. Seine Wohnung befand sich, für einen Computernerd standesgemäß, im Souterrain des Mehrfamilienhauses. Huang, der sich optisch deutlich von seinem Freund Jai unterschied (groß, hager und mit einem Kassenbrillenmodell ausgestattet) öffnete ihnen die Tür und begrüßte sie sehr herzlich auf Vietnamesisch. Max stellte sich und Jessica vor und gab ihm zu verstehen, dass er vietnamesisch leider überhaupt nicht verstehen würde. Huang kicherte.
»Kein Problem Max, ich gut deutsch sprechen kann«, sagte er plötzlich.
»Wie das?«, fragte Jessica nach.
»Meine Eltern Gastarbeiter waren in der DDR. Nachdem Mutter mit mir schwanger wurde, sie musste zurück nach Vietnam, da es Vietnamesen verboten war Kinder zu bekommen. Sie sagte, ich müsse lernen Sprache um mich später dann bei der DDR über dieses Verhalten beschweren zu können. Nun, ich kann deutsch sprechen, aber keiner mehr da zum beschweren«, berichtete er und schloss den Satz wieder mit seiner grellen, aber sympathischen Lache.
»Das tut mir leid«, sagte Jessica.
»Nein muss nicht. Ist dennoch gut, das ich sprechen kann deutsch. Gut für´s Geschäft. Apropos Geschäft, Jai meinte, ihr hättet Speicherkarte, die ich entschlüsseln soll.«
»Ja in der Tat, wir fanden sie in einer Armbanduhr und würden gerne wissen was für Daten so geheimnisvoll versteckt gehalten werden – wir vermuten etwas Illegales, da der Besitzer der Daten gern krumme Geschäfte abwickelt«, erklärte Max ihm die Umstände ihres Besuches.
Er übergab Huang den Datenstick, der diesen sogleich in seinen aufgemotzten PC schob und mit seinen Fingern rasch klackernde Befehle in den Rechner hämmerte. Begleitet wurde diese Handlung von anerkennenden Schmatzlauten – was wohl ein gutes Zeichen war, wie Max vermutete. Als Huangs Hände mit ihrer Arbeit fertig waren ruhten sie für einen Moment sanft neben der Tastatur. Ihr Besitzer begutachtete sein Werk, nickte zufrieden und erhob sich wieder von seinem Arbeitsplatz.
»War interessante Verschlüsselung, doch ich habe Codeknackerprogramm. Wir jetzt warten einen Moment auf Ping-Singnal und dann wir können schauen Daten an. Wollt ihr einen echten vietnamesischen Kaffee haben?«
Während Jessica und Max den Kaffee genossen, der so süß war, dass er wohl in der Lage wäre, Plomben nebst Zahn problemlos zu entfernen, ertönte das angekündigte Ping-Singal. Alle drei gesellten sich nun um den Computerbildschirm und Huang legte den Inhalt der Speicherkarte frei.
»Ist Videodatei, die da gut geschützt wurde«, erklärte er und startete den Film. Nach nur wenigen Momenten war klar, um was für abartiges Bildmaterial es sich hier handelte. Jessica schaute angewidert zur Seite und Max bat Huang das Video sofort zu stoppen.
»War ich all die Jahre mit einem Pädophilen zusammen?«
»Kinderpornografie?! War ich all die Jahre mit einem beschissenen Pädophilen zusammen?« Jessica war fassungslos.
»Nein, denke ich nicht. Warum sollte er so was mit sich führen? Ich denke eher, dass er diesen Schund verkaufen wollte«, mutmaßte Max.
»Bist wirklich helles Kerlchen, Lockenkopp.« Eine Stimme mit einem starken russischen Akzent betätigte seinen Verdacht.
Alle drei drehten sich blitzartig zum Eingang der kleinen Wohnung um und schauten in den Lauf einer Beretta. In den Händen hielt sie der hässliche Gorilla, mit denen Max und Jessica bereits Bekanntschaft auf Mallorca machen durften. An seiner Seite stand Roland und hatte sein arrogantestes Lächeln aufgesetzt.
»Hallo Jessy! Hase, endlich sehen wir uns mal wieder. Du hast Dich nicht einmal von mir verabschiedet.«
Jessica war schockiert. Erst diese schrecklichen Bilder von alten Männern und Kindern und jetzt das plötzliche Auftauchen der beiden längst abgehängt geglaubten Ganoven.
Sergej ging raschen Schrittes auf Max zu und schlug ihm den Pistolengriff mitten ins Gesicht. Max ging zu Boden und verlor das Bewusstsein. Blut floss aus seiner Nase. Jessica schrie.
»Ahhhh … seit Tritt in die Eier von Dir auf Mallorca ich hatte tiefes Bedürfnis das zu tun. Fühlt sich wunderbar an«, erläuterte Sergej, während er voller Verachtung auf den jetzt am Boden liegenden Max hinunterschaute.
»Okay, her mit den verfluchten Daten und dann machen wir alle einen langen Spaziergang«, ergänzte er, während sein Blick vom ausgeknockten Max auf Jessica und Huang wechselte.
Fortsetzung folgt