Was bisher geschah:
Roland und Sergej hatten sie vermeintlich erfolgreich abgehängt. Ihr neuer Gegner waren die Straßen von Kambodscha. Nachdem Jessica und Max auf den Spuren von Lara Croft in den Tempeln von Angkor wandelten, erreichten sie Phnom Penh, die Hauptstadt Kambodschas. Nach einem bedrückenden Besuch im Genozid-Museum ging ihre Tour weiter in Richtung Vietnam, wo sie in Saigon endlich den Datenstick von Roland entschlüsseln lassen wollten.
Das Regime der Roten Khmer kostete 2,2 Millionen Menschen das Leben
Im April 1975 eroberten Pol Pots Rote Khmer Phnom Penh und übernahmen die Macht in Kambodscha. Sie wollten aus dem Land einen kommunistischen Agrarstaat machen. Erste Vorboten des sich entwickelnden Terrorregimes waren die Verbrennung von Büchern und die Abschaffung von Geld als Zahlungsmittel. Berufe wie Banker wurden damit überflüssig. Der urbane Raum galt ihnen als Gefahrenstelle für das angestrebte System. Innerhalb kürzester Zeit wurden so die Städte Kambodschas von den Roten Khmer geräumt. Phnom Penh, mit seinen damals zwei Millionen Einwohnern wirkte nach nur wenigen Tagen wie der Schauplatz eines postapokalyptischen Films. Die Einwohner waren fortan, gekleidet in schwarzen Einheitsuniformen, zur Arbeit auf den Feldern verdammt. Wer sich widersetzte, verschwand von der Bildfläche. Zuerst traf es die kritische intellektuelle Elite des Landes, weitete sich aber schon bald auf alle Einwohner des Landes aus. Es herrschte ein Klima der Angst und des Misstrauens. Denunzierungen ließen Menschen verschwinden und damit verabschiedete sich das Vertrauen. Nach dreijähriger Herrschaft waren etwa 2,2 Millionen Menschen verschwunden. Bis zu 30.000 ließen ihr Leben im »Sicherheitsgefängnis 21«, Toul Sleng. Nach dem Frühstück in ihrer Unterkunft, der Villa Langka, ließen sich Jessica und Max von Mopedtaxis zum Genozid Museum im Südwesten der Stadt bringen.
»Max, das ist einfach unfassbar grauenhaft «, fasste Jessica ihre bedrückte Stimmung in Worte.
»Absolut. Der ganze kranke Irrsinn, der hier stattfand, ist ja noch so unglaublich greifbar, weil er noch gar nicht so lange zurückliegt.«
»Und von Außen sieht das alles so ungefährlich aus, eben wie eine Schule und dann diese herumstehenden Palmen. Abgründe tuen sich auf …«
»…und es ist doch immer wieder erstaunlich, welch abartige Kreativität Menschen entwickeln, um andere Menschen zu quälen«, vollende Max den Satz von Jessica während sie vor einem der zahlreichen Folterinstrumente standen.
»Lass uns gehen, ich habe genug gesehen und eine Scheißwut in mir.«
»Das versteh ich. War es ein Fehler hier herzukommen?«
»Ganz und gar nicht, auch wenn es krass und traurig ist, so hilft es doch zu verstehen, welch Qualen dieses Land zu erleiden hatte.«
»DANGER! MINES!«
Spuren dieser Zeit fanden sich im gesamten Stadtgebiet. Ob die vielen Menschen, die an Krücken gefesselt waren, da sie eine oder mehrere Extremitäten durch eine Landmine verloren hatten oder die oft auftauchenden Feldwege inmitten der Häuserschluchten. Phnom Penh blieb eine skurrile, erschreckende und zugleich faszinierte Erfahrung für Max und Jessica. Nachdem sie sich tags darauf von einem Privattaxi an die knapp 200 Kilometer entfernte Grenze zu Vietnam fuhren ließen – ja, die Straßen waren auch hier in einem mehr als katastrophalen Zustand und der Toyota Camry mit seinen drei Fahrern (vorne saßen wirklich drei Leute und Max hätte nicht sagen können, wer von denen jetzt wirklich fährt) erweckte den Eindruck einer wahnwitzigen Ralleyfahrt – bekamen sie zum Abschied aus Kambodscha noch einen deftigen Stimmungsdrücker mit auf den Weg. Der Grenzübergang von Chau Doc war zu beiden Straßenseiten von überschwemmten Reisfeldern gesäumt. Alle paar Meter mahnte ein mit einem Totenkopf versehenes Schild »DANGER! MINES!«. Tatsächlich lagern in der Erde Kambodschas noch heute zwischen vier bis sechs Millionen Landminen, die dort von Guerilla-Truppen der Roten Khmer platziert wurden.
So marschierten Jessica und Max den schmalen Weg zwischen den beiden südostasiatischen Ländern zu Fuß entlang und wurden von einem beklemmenden Gefühl begleitet.
»Ein falscher Schritt genügt und es könnte aus sein«, ließ Jessica ihren Gedanken freien Lauf.
»Ja, aber zum Glück gibt es hier Warnschilder. Die ganzen armen Teufel, die wir in Phnom Penh gesehen haben, wurden nicht gewarnt. Ich hab irgendwo gelesen, dass etwa 15 Prozent der Bevölkerung von Unfällen mit diesen verdammten Landminen betroffen sind.«
»Ich liebe Dich«
Nach Erledigung der Formalitäten an der Grenze und am Ende des Weges angekommen, heuerten sie einen weiteren Fahrer an, der sie mitten ins Herz des Mekong-Deltas nach Can Tho fahren sollte. Der sich aus dem Autofenster bietende Blick auf die üppige Flora und Fauna Südvietnams wusste beide zu begeistern. Leider konnte der Fahrer kein Wort Englisch und weder Jessica noch Max sprachen auch nur einen Brocken Vietnamesisch. Gerne hätten sie mehr über die Region erfahren, doch so blieb es beim optischen Augenschmaus. Immerhin kannte der Fahrer, dem scheinbar wirklich alle Zähne im Mund fehlten, das durch Max’ Reisebüro gebuchte Kim Tho Hotel.
Wieder einmal war Max über die Empfehlung seines Reisebüros sehr glücklich. Das Hotel war relativ neu und beide bekamen ein Zimmer mit sagenhafter Aussicht auf einen Nebenarm des Mekongs. Auf dem Balkon stehend bewunderten sie das geschäftige Treiben auf dem Fluss, der Lebensader Asiens, der nach 4350 Kilometern sich hier kurz vor seiner Mündung in den Pazifik befindet. Am Abend schlenderten sie zur Hai Ba Trung Promenade und aßen mit Blick auf Onkel Ho, der seinen rechten Arm freundlich zum Gruß hob. Später besuchten sie noch das sich zu Füßen der Statur von Ho Chi Minh befindende Museum des einstigen Staatsoberhauptes.
Die Klimaanlage im Hotelzimmer surrte leise vor sich hin, als Jessica früh am nächsten Morgen wach wurde. Sie beobachtete den schlafenden Max neben sich. Trotz all des unglaublichen Wahnsinns, den sie in der letzten Zeit erlebt hatte, war sie froh, dass es so gekommen war, denn sonst hätte sie ihn wohl nie getroffen. Ihre gemeinsame Zeit hier in Asien war eine wahre Wiederbelebung für sie. Erstmals nach all den Jahren mit Roland wusste sie, was ihr bisher im Leben gefehlt hatte und was alles möglich ist. Es war, als hätte sie die Welt bisher nur mit einem halb geöffneten Auge erlebt. Jetzt, mit Max an ihrer Seite hatte sie beide Augen weit aufgerissen und wollte nie wieder in den alten Trott zurückfallen. Sie küsste Max auf die Wang und ging hinaus auf den Balkon, wo sich auf der anderen Mekongseite gerade die Sonne erhob. Es war gigantisch, den tiefroten Ball aufsteigen zu sehen und wie mit ihm das Leben zurückkehrte. Vereinzelte Boote knatterten bereits über den Fluss und Vögel erhoben ihre Stimmen zum Morgengruß. Die Luft war noch angenehm und alles wirkte noch herrlich verschlafen. In diesem Moment spürte sie die angenehm weichen Lippen von Max in ihrem Nacken.
»Was machst Du so früh schon auf den Beinen«, fragte er sie.
»Glücklich sein und den majestätischen Sonnenaufgang genießen. Schau doch nur.«
»Ein wahrlich opulentes Schauspiel.«
Jessica drehte sich zu Max um.
»Ich liebe Dich«, sagte sie und verhinderte seine Reaktion mit einem Kuss.
In diesem Moment sah alles nach einem perfekten Happy End für beide aus. Sie konnten ja auch noch nicht ahnen, was sie in Saigon erwarten würde.
Fortsetzung folgt