Episode 20

Was bisher geschah:

Familie Schönbeck verbrachte die erste Woche ihres gemeinsamen Urlaubs in Kalabrien. Nach einigen Startschwierigkeiten war die Familie letztlich glücklich in einem wunderbaren Hotel vereint. Sie genossen die freien Tage und freuten sich auf die bevorstehende Kreuzfahrt im Mittelmeer. Doch am vorletzten Tag kam es am Frühstückstisch zum Streit mit Tochter Dorothea. Das würde sich schon geben, meinte Oma Mathilda. Tat es nicht. Dorothea packte ihren Rucksack und hinterließ einen Abschiedsbrief. Sie war weg und erzählt hier, wie es weiter ging.

Ich hab meine Sachen gepackt und bin abgehauen

Ich hatte die Faxen dicke. Diese sich immer wiederholenden Debatten mit meinem Dad über den Umgang, den ich so pflege. Ja, meint er denn, ich nehm mir Leute wie Kevin als Vorbild? Mir ist durchaus klar, dass der Junge seine Probleme mit dem Leben hat, aber kann er denn da was für? Seine Eltern harzen; waren wohl noch nie arbeiten. Der Vater trinkt mächtig viel, und wenn Kevin ihm dann in die Quere kommt, rüttelt der Alte kräftig am Ohrfeigenbaum. Da ist niemand, der sich auch nur einen Dreck um ihn schert. Doch trotz allem hat sich Kevin seinen Humor bewahrt und den mag ich sehr. Er bringt mich zum Lachen und mit ihm kannst du immer was erleben. Ganz anders bei denen so sehr von meinen Ellis verehrten Marlene und Julia. Hör mir auf. Ja, die kommen aus gutem Elternhaus. Der Dad von Julia ist Botschafter und Marlenes Vater in irgendeinem Vorstand. Und? Die beiden benehmen sich unglaublich dämlich und herablassend, als wären sie wichtig. Und dann diese ständigen Angebereien: »Ich habe einen Privatlehrer, der mir Chinesisch beibringt, mein Vater meint, das ist für meine berufliche Zukunft ungemein von Vorteil« oder »Am Wochenende fahren wir wieder zu unserem Gestüt raus nach Brandenburg und Du?«. Ach komm, dumme Zicken sind das und was soll ich mit denen anfangen? Die bekloppten Börsenkurse auswendig lernen? Danke.

Na jedenfalls hat es mir gereicht. Ich hab meine Sachen gepackt und bin abgehauen. Wenn sie nur an mir rumnörgeln können, dann sollten sie mal sehen, wie sie ohne mich dran sind. Um Karlchen tat es mir leid. Hatte ich den kleinen Pupser noch am Frühstückstisch als Psycho bezeichnet. Autsch. Aber er kann auch manchmal nervig sein wie ein Sack Flöhe. Ja, ich weiß, mit ihm ist nicht alles in Ordnung und neuerdings bekommt er auch Pillen dagegen, aber ihn könnte auch mal jemand in seine Schranken weisen. Immer steht er im Mittelpunkt und sorgt für großes Theater. Dennoch hab ich ihn gern – er ist mein Bruder.

Überleg mal, du wirst von Lava erwischt

Ich mag meine Familie und der Urlaub war bis dahin eigentlich gar nicht so mies, wenn man mal davon absieht, dass ich kein Internet hatte und das total ätzend war. Oma hat viele Geschichten von früher erzählt. Klingt für mich immer alles krass. Kein iPod, keine Pizza, die einem nach Hause geliefert wird. Damals muss es übel gewesen sein. Und dann gab es noch diesen Abend im Amphitheater des Scoglio de Leones. Das war der Hammer! Da wurde italienische Livemusik gespielt und alle waren gut drauf. Und der Strand und diese bombastische Aussicht, die wir vom Balkon des Zimmers hatten! In der Ferne konnte man sogar einen Vulkan sehen. Paps meinte, der heißt Stromboli und wäre immer noch aktiv. Ich bekam eine Gänsehaut. Überleg mal, du wirst von Lava erwischt wie die ganze Meute damals da in Pompeji. Krass.

Gut, also eigentlich hatte ich meinen Spaß. Klar es war jetzt nicht so aufregend und cool wie wahrscheinlich bei meiner Freundin Franzi, die mit ihrer Mum nach Zypern geflogen ist oder wie bei Jenny die mit ihrer älteren Schwester nach Mallorca fahren durfte. Und dann natürlich Carola, die große Schwester von Franzi! Oh mein Gott! Sie ist in diesem Jahr mit ihren Mädchen nach Hawaii geflogen! Überleg mal, da chillen, wo sie auch diese superkrasse Serie Lost gedreht haben! Das will ich auch alles unbedingt in den nächsten Jahren erleben. Aber so was von! Da kommt mir solch Familiending hier nicht mehr in die Quere. Und doch war Italien natürlich um Ecken geiler als in Berlin zu verrotten, wenn deine ganzen Freunde auch nicht in der Stadt sind. Nur ganz allein mit Kevin abhängen klingt dann auch nicht mehr so super.

Aber für den Moment war mir das alles zu viel. Ich weiß auch nicht, in letzter Zeit geh ich immer so schnell an die Decke, wenn ich mich mit meinen Erzeugern zoffe. Ich will das gar nicht, aber die behandeln mich einfach wie ein kleines Kind und dabei werd ich doch bald schon 16! Nur ein bisschen mehr Freiheit und ein eine Prise mehr Vertrauen, mehr verlange ich doch nicht. Mir tut es dann auch immer recht bald leid, wenn ich die Diskussionen mit einer scheppernden Tür, Tränen oder wie in diesem Falle mit der Flucht beende. Apropos Flucht. Das war echt das erste Mal, das ich abgehauen bin und ich hatte natürlich überhaupt keinen Plan, wo es hingehen sollte und bereute die Tat bereits, aber gleich aufgeben? Nein, das kam überhaupt nicht in Frage. Einen Denkzettel hatten die sich redlich verdient und den wollte ich ihnen auch geben – aber das ich jetzt für immer verschwinden wollte war Quatsch mit Soße.

Durch eine Berührung wurde ich wach

Ich schlenderte als Erstes runter zum Strand und dort dann erst einmal ein ganzes Stück weg vom Hotel in südlicher Richtung. Nach etwa zwei Stunden Gelatsche bekam ich dann ordentlich Knast. Glücklicherweise hatte ich ja die Minibar des Zimmers geplündert und so besaß ich genügend Proviant für ähhh mindestens einen Tag. Ich suchte mir ein schattiges Plätzchen abseits der Touris und aß meine klebrigen Oreo-Kekse und trank Cola. Merke: Warme Cola schmeckt so richtig ätzend und der Inhalt einer Minibar, ohne die Minibar dabei zu haben, ist bei heißem Wetter so richtig sinnlos. Eine schöne Pleite. Aber da ich jetzt schon mal dieses gemütliche Plätzchen gefunden hatte, machte ich es mir richtig gemütlich. Packte mir Musik auf die Ohren, las in meiner Young Miss und schlief irgendwann sogar ein.

Durch eine Berührung wurde ich wach. Es muss bereits später Nachmittag gewesen sein, denn der Strand war ungemein leer und die Sonne befand sich auf dem Rückzug. Irgendwer machte sich da an der rechten Tasche meiner Shorts zu schaffen, in welcher sich mein iPod befand. Blitzartig öffnete ich meine Augen und erblickte zwei Atzen, die wohl knapp älter als ich waren. Sie sahen mächtig runtergekommen aus. Der eine, der sich gerade meines Mp3-Spielers bemächtigen wollte, hatte schmuddlige dunkle Haare, zerrissene Hosen und ein Unterhemd an, das wohl vor langer Zeit einmal weiß war. Sein Kumpel harmonierte bestens mit ihm. Er trug dunkle kurz geschorene Haare und eines dieser Spaßshirts (»I´m with stupid«) zu dunklen Adidassporthosen mit vier Streifen. Als der Dieb sah, dass ich wach war, ließ er nicht etwa von seinem Vorhaben hab, nein, er grinste mir ins Gesicht und griff fester nach dem Objekt seiner Begierde. Panisch schlug ich ihm auf die Hand, die er daraufhin tatsächlich zurückzog und rutschte rasch nach Hinten weg, bis mein Rücken an den Felsen stieß, unter dem ich vorhin Schatten gefunden hatte. Der Abzieher blickte sich um, sah das niemand da war, dessen Aufmerksamkeit seine Handlungen erregen könnten und sprach rasch irgendwas auf Italienisch zu seinem Kumpel. Dann galt seine ganze Aufmerksamkeit wieder mir.

»Young lady alone?«, quatschte er mich mit fiesem Englisch zu.
»Please, let me alone«, gab ich ihm zu verstehen.
»Shut up. You give us all you have!«, meinte er und sein Gesicht wurde plötzlich zu einer krass hassverzehrten Fratze.

Fortsetzung folgt


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