Was bisher geschah:
Max befand sich auf der Flucht. Vor seinen Eltern, vor seiner Ex-Freundin und vor seiner Zukunft. In Barcelona traf er auf Anna. Doch bevor er sie richtig kennenlernen konnte, war er schon wieder weg. Dank eines gewonnen Fährtickets fand er sich am späten Abend im Hafen der mallorquinischen Stadt Alcudia wieder. Ohne auch nur die geringste Idee zu haben, wie es für ihn weitergehen würde, ließ er sich auf einer Bank an der Hafenpromenade nieder. Er blieb nicht lange alleine, denn schon bald machte er Platz für eine attraktive junge Dame mit der er rasch ins Gespräch kam.
Auf der Flucht
Atemlos rannten Jessica und Max durch die engen und verwinkelten Gassen Alcudias. Seinen schweren Reiserucksack brachte Max immer wieder fast um sein Gleichgewicht. Der Koffer von Jessica, den er wie einen Zementsack auf seiner rechten Schulter balancierte, tat sein übriges. Maurer, die diesen Stoff für ihre Arbeit benötigen, können sich beim Transport des Bindemittels meist Zeit lassen. Max hingegen gab mächtig Fersengeld, denn er wollte lieber nicht wissen, was dieser grobschlächtige Typ mit dem Hut vom Hafen mit ihnen anstellen würde, wenn er sie denn in die Finger bekäme.
Gerade eben noch saß er ganz entspannt mit der hübschen Blondine auf der Bank und unterhielt sich prächtig. In dieser knappen halben Stunde, die die beiden hatten, erfuhr Max ziemlich viel über das Mädchen. Wie auch er, war sie auf der Flucht, hatte am Nachmittag ihren Freund verlassen, der wohl gerade alleine und traurig in ihrer gemeinsamen Unterkunft im Süden der Insel hockte. Ebenso war sie sich ihrer Zukunft ungewiss, hatte Zweifel die sie plagten und Wünsche die sie sich erfüllen wollte, doch bisher nicht traute zu äußern. Max war hin und weg gewesen von ihrer offenen Art (gut ja, ihr Äußeres spielte ihm da auch in die Karten sie sympathisch zu finden). Eigentlich plapperte nur sie. Offenbar hatte das Mädchen schon sehr lange niemandem ihr Herz ausgeschüttet und Max hörte wirklich gerne zu.
Cheroots am Inle See
Er hätte ewig mit ihr in dieser lauen Sommernacht am Hafen von Alcudia sitzen können, während die Touristen lärmend an ihnen vorbeizogen. Die Szene erinnerte ihn an die sagenhaften Abende am Inle See in Myanmar. Dort im Paradise Inle Resort lernte er vor zwei Jahren Jennifer kennen. Beide waren alleine mit dem Rucksack in Südostasien unterwegs und trafen sich auf einem lokalen Markt des Fischerstädtchens Mine Thauk. Jennifer beobachtete dort wie Max von einem kambodschanischen Händler dazu gedrängt wurde, einmal von seinen köstlich frittierten schwarze Vogelspinnen zu kosten. Max schüttelte sich und lehnte ab. Die umstehenden Leute begannen zu lachen und sich um ihn zu scharen. Ein Ausländer der diese Delikatesse ablehnte? Nein, das konnte nicht sein. Ihm war klar, hier würde er nicht ohne einen Happs von dem achtbeinigen Monster rauskommen. Doch allein der Anblick dieser schwarzen haarigen Spinnenbeinchen ließ seinen Magen krampfen. Delikatesse hin oder her, Spinnen gehen gar nicht! Es war Jennifer, die ihm aus der Patsche half. Sie schob sich durch die neugierige Menge, entriss dem verblüfften Händler die Spinne und hatte diese mit zwei Bissen verputzt. Max erschauderte, die Menge applaudierte und einen kurzen Moment später gingen alle Gaffer wieder ihrem geschäftigen und lauten Treiben auf dem Markt nach und ließen die Weißbrote stehen. Max war ihr sehr dankbar und doch auch angeekelt, dass sie dieses Ungeheuer verspeist hatte. Doch egal, sie mochten einander sofort, vielleicht auch weil beide bereits zu lange allein unterwegs waren. Aus Kosten- und Sympathiegründen teilten sie sich einen dieser landestypischen Bungalows im Resort, die auf Pfählen über dem Wasser erbaut wurden. Sie blieben vier Nächte. Drei davon verbrachten sie mit endlosen Gesprächen, wobei sie Cheroots qualmten und sich von der eigentümlichen Atmosphäre des Sees berauschen ließen. In der vierten Nacht fielen sie übereinander her und waren fortan ein Paar. Bis zu diesem Sommer.
Jessica hätte er ebenfalls noch gerne Stunden zugehört, doch sie wurden unterbrochen, als ein extrem großer und extrem bulliger Typ im dunklen Anzug vor ihnen erschien. Um den Hals trug er eine beeindruckende Goldkette von der Stärke eines Kälberstricks und auf dem Kopf hatte er einen breitkrempigen schwarzen Borsalino. Die Idealbesetzung eines typischen Gangstermovies, dachte sich Max noch und musste grinsen als der Typ auf deutsch mit starkem russischen Akzent zu sprechen begann und dabei auch noch den obligatorischen Goldzahn freilegte.
»Du Dich da raushalten!«
»Jessica Mai?«, fragte er Jessica.
»Äh, ja?«, antwortete sie beunruhigt.
»Du mitkommen, Roland möchte Dich sprechen.«
Max bemerkte ihren beunruhigten Gesichtsausdruck, doch hielt sich noch zurück.
»Was heißt er will mich sprechen? Und wer sind Sie überhaupt und wie haben Sie mich gefunden?«
»Spielt keine Rolle. Du mitkommen freiwillig?«
»Ich werde nicht mit Ihnen mitkommen. Sie können Roland ausrichten, dass wenn er mir etwas mitzuteilen hat, er doch bitte persönlich erscheinen möge und jetzt Guten Abend Herr … «
Der Hüne ließ sie erst gar nicht mehr aussprechen und packte Jessica am linken Arm, bereit sie sich über die Schulter zu werfen und dem Rückweg anzutreten. Das war der Moment wo Max sich einmischte.
»Hey Goldie, nimm Deine Finger von ihr. Die Dame hat unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass sie Dich nicht begleiten will«, sagte er völlig tough und dabei bekam er gerade weiche Knie, was ihm bewusst wurde, nachdem er aufstand, um bei der geplanten Entführung zu intervenieren.
»Du Dich da raushalten!«, war die knappe Reaktion des Russen, bevor er Max mit seiner linken Hand mühelos zurück auf die Bank schubste.
Panik machte sich im Gesicht von Jessica breit, die sich nun mit aller Kraft gegen die mächtige Pranke des Schwarzhutes wehrte. Es gelangt ihr nicht, und ehe sie es sich versah, lag sie zum Abtransport auf seiner Schulter bereit. Max hatte sich wieder aufgerappelt, stellte sich dem Russen in den Weg und bemerkte, während er mit seiner Hand auf einen imaginären Punkt hinter dem Russen deutete: »Ist das etwa einer der Klitschkos der da hinten läuft?«
Irritiert blickte der Hüne sich um und verlor dabei Max für den Bruchteil einer Sekunde aus den Augen. Diesen Moment nutzte Max und trat dem Gorilla mit voller Wucht in die Weichteile. Laut stöhnend ging dieser in die Knie und löste dabei den Klammergriff um Jessicas Beine.
»Jessica, lass uns hier schleunigst abhauen!», schrie Max, griff seinen Rucksack und ihren Koffer und beide rannten los.
Durch verschiedene Links-Rechts-Kombinationen in den Straßen Alcudias außer Puste und ohne die geringste Ahnung wo sie sich mittlerweile befanden, tauchte vor den beiden ein Hotel auf. Die Rezeption des Ferrer Maristany war noch besetzt. Max blickte sich suchend um, konnte den Russen nirgends ausmachen und zog Jessica in Richtung Lobby.
Fortsetzung folgt