Was bisher geschah:
Für Familie Schönbeck sollte es in diesem Sommerurlaub nach Kalabrien gehen. Oma Mathilda und Sohn Karl waren bereits eine Woche zuvor geflogen. Sabine, Martin und Tochter Dorothea folgten. Der Abreisetag brachte die üblichen Überraschungen mit sich. Erst wollte Dorothea nicht, dann der Berliner Straßenverkehr und letztlich ein Mitarbeiter der Fluglinie. Doch allen Widrigkeiten zum Trotz, Martin brachte sie in den Flieger nach Lamezia Terme. Dort angekommen, übernahmen sie den Mietwagen und während sie gerade auf dem Weg zu Oma und Sohn waren, folgte der nächste Horror, als der Reifen des Autos platzte.
Martins Herz machte einen Satz
Alles ging sekundenschnell. Nach dem lautstarken Knall fing Dorothea sofort an zu schreien, Sabine krampfte sich in die Armlehne. Martin, dessen Herz ebenfalls einen mächtigen Satz machte, hatte Glück, das sein innerer Autopilot bestens funktionierte. Er hatte beide Hände am Lenkrad, trat sofort die Kupplung, vermied es auf die Bremse zu steigen und war bemüht den Wagen in der Spur zu halten, da dieser nach rechts und damit in die Leitplanke ausbrechen wollte.
Er hatte oft davon gehört, dass in solchen Momenten angeblich das gesamte Leben im Zeitraffer an einem vorbeiziehen würde. Jetzt, da er für eine solche Erfahrung prädestiniert war, konnte er deren Wahrheitsgehalt nur bedingt bestätigen. Immerhin hatte er ein Familienfoto im Kopf, dass vor zwei Jahren am Strand der Tom Pipers Bay auf Jamaika entstand. Sie hatten damals einen 14-tägigen Badeurlaub im Grand Palladium Jamaica Resort & Spa über ihr Reisebüro gebucht. Das Bild entstand kurz vor Sonnenuntergang, als sie nach dem Abendessen noch eine Strandwanderung machten. Die Kinder waren fantastisch gewesen und lachten viel an diesem Tag. Es war der zweite Abend auf Jamaika und hinter ihnen lag ein perfekter Tag. Doro und er hatten einen Windsurf-Kurs absolviert, Sabine hatte das SPA unsicher gemacht und selbst der kleine Karl hatte im Miniclub eine gute Zeit gehabt.
Martin wollte diesen Moment festhalten und bat einen typischen Rastafari, ein Foto von ihnen zu schießen. Auf diesem rissen die Kinder die Arme in die Höhe und alle lachen. Das Bild hatte er sich später auf seinen Bürotisch gestellt.
Mehr erschien in dem Moment des geplatzten Autoreifens nicht vor seinem inneren Auge. Für Visionen dieser Art blieb auch gar keine Zeit, schließlich musste er sich konzentrieren und den Wagen ausbalancieren. Andere Autofahrer hupten, doch das nahm er jetzt nicht wahr. Der Mietwagen verlor rasch an Geschwindigkeit und holperte über die Autostrada. Martin behielt die Kontrolle über den Wagen, er schlingerte zwar noch ein bisschen aber letztlich kam der Ford ruckelnd auf dem Seitenstreifen zum stehen.
Alle verharrten noch einen Moment in ihrer Panikposition. Sabine saß gepresst im Sitz und ihre Hände waren immer noch in Mittelarm- und Türlehne gekrallt. Dorothea hielt sich an ihrem Sicherheitsgurt fest und hatte die Beine angezogen. Martins Hände waren noch um das Lenkrad gekrampft, so stark, dass das Weiße der Fingerknöchel deutlich zu sehen war. Dabei war er vornüber gebeugt und Schweiß stand ihm auf der Stirn. Wäre der Verkehr auf der Autobahn nicht so laut gewesen, man hätte sicherlich den lauten und raschen Beat ihrer Herzen gehört.
Wie viel Glück sie hatten
»Okay, ich glaub wir haben es geschafft«, löste Martin die Anspannung. Er blickte zu Sabine und drehte sich zu Dorothea um. »Alles okay bei euch?«, erkundigte er sich.
Beide nickten und zitterten dabei am ganzen Körper.
»Kommt, wir steigen jetzt erst einmal aus und ich ruf die Mietwagengesellschaft an, dass die uns mal schleunigst einen neuen Wagen bringen sollen.«
Nachdem Martin die Mietwagenfirma verständigt und ein Warndreieck positioniert hatte, warf er einen Blick auf den Hinterreifen, oder besser gesagt, auf die Überreste des Hinterreifens. Es war nur noch sehr wenig Gummi auf der Felge. Sie mussten ordentlich Funken geschlagen haben. In diesem Moment begriff Martin, wie viel Glück sie hatten. Er ging zu Sabine und Dorothea, die beide an der Leitplanke lehnten und nahm sie in den Arm.
»Für einen einzigen Tag ist mir das eine Spur zu viel Action«, bekannte Sabine und musste lachen. Doro fügte hinzu: »Und ich dachte, mit euch würde es auf jeden Fall langweilig werden.« Jetzt mussten alle lachen und waren überglücklich mit dem Schreck davongekommen zu sein.
Nach etwa einer Stunde Wartezeit tauchten Mitarbeiter der Mietwagenfirma mit einem Abschleppwagen und einem Ersatzwagen auf und verhielten sich absolut professionell, was Martin ein wenig den Wind aus den Segeln nahm, da er die Leute eigentlich zusammenstauchen wollte, was man ihm denn hier für eine Kurre angedreht hatte. Doch wer weiß schon, wessen Fehler der geplatzte Reifen war. Vielleicht ist er ja auch einfach nur in einen spitzen Gegenstand gefahren?
»Cool, ein Jeep!« War die Reaktion von Dorothea auf den neuen Mietwagen.
»Okay, ich glaube der hat auch Allrad, dann macht euch mal auf wilde Serpentinenfahrten gefasst«, konterte Martin lässig.
»Nee lass mal Paps, war doch schon genug Action für einen Urlaub.«
»Schönbeck ist Ihr Name?«
So gut sie vorhin in der Zeit lagen, so mies sah es jetzt nach der Reifenpanne für sie aus. Sie waren spät dran, Mathilda und Karl hatten schon längst ihr Zimmer im Hotel Santa Lucia räumen müssen. Verabredet war 17 Uhr und jetzt war es bereits halb sieben.
Als sie in die Hoteleinfahrt in Parghelia einbogen, sahen sie bereits Mathilda, die mit verschränkten Armen und schmalen Lippen in ihre Richtung blickte, während Karl gerade bunte Blumen im Hotelgarten zertrampelte.
Als er sie entdeckte, lief er direkt auf das Auto zu, fiel seiner Mutter sehnsüchtig in die Arme und petzte sofort, wie unfair Oma zu ihm im Urlaub gewesen sei. Mathilda rollte die Augen, begrüßte ihre Familie und stieg in den Wagen ein. Nachdem Martin das Gepäck verladen hatte und sie weiter nach Tropea fuhren, fragte Mathilda noch, wo denn ihr Gepäck sei.
»Ach Mutter, das ist eine lange Geschichte«, antwortete Martin. Doro und Sabine mussten lachen.
Sie erreichten das Hotel Rocca Nettuno Garden gegen halb acht, stellten den Wagen ab und gingen gemeinsam zur Rezeption. Ein erschöpfter aber glücklicher Martin begrüßte die Rezeptionisten. Sie erkundigte sich nach dem Namen und warf einen prüfenden Blick in ihren Computer.
»Schönbeck, sagten Sie ist ihr Name?«, hakte die Dame nach.
»Ja, Martin Schönbeck und Familie, auf den Namen hatte ich reserviert.«
Wieder klapperten ihre Finger über die Tastatur des Rechners.
»Nein, tut mir leid, für sie existiert keine Reservierung bei uns.«
Fortsetzung folgt