Episode 10

Was bisher geschah:

Jessica war mit ihrem Freund Roland nach Mallorca geflogen. Ihre Beziehung zu ihm lag bereits längere Zeit in den letzten Zügen, doch das wolltes sie sich bisher nicht eingestehen. Der Urlaub sollte ihr Klarheit bringen und die kam dann tatsächlich sehr rasch. Nach einer erneuten Beleidigungs- und Missachtungssalve ihres Freundes, folgte eine vergeblich letzte Diskussion. Roland versuchte die Vogel-Strauß-Taktik, die Jessica nicht überzeugen konnte. Während er alleine zum Hotelpool ging, nahm sie ihre Sachen und verließ ihn in einem Taxi mit unbestimmten Ziel.

»Señora mögen den Song nicht?«

Und wieder war es Zeit für den Refrain.

»Stop in the name of love before you break my heart«

Jessica hasste diesen Hit der Supremes. Gerade jetzt. Roland hatte ihr Herz gebrochen. Wobei, so ganz stimmte das nicht. Es gab nicht diesen einen Knall, der einem das Herz in tausend Stücke reißt, nein, ihre Beziehung hatte einen langen Atem im Todeskampf bewiesen. Wie blöd war sie eigentlich gewesen, dass sie annahm, ein gemeinsamer Urlaub könnte alles wieder ins Lot bringen? Ehrlichkeit, Aufmerksamkeit, Liebe. All das hatte sich in den letzten Jahren ganz heimlich aus dem Staub gemacht.

»I’ve tried to hard hard to be patient hoping you’ll stop this infatuation«

Sie blickte aus dem Fenster des Taxis. Zu ihrer Rechten lag das jetzt beinahe komplett glatte Mittelmeer. Jessica fragte sich warum die See am Abend immer so ruhig wird, selbst wenn den ganzen Tag hohe Wellen gegen das Land peitschten. Das Meer verschwand wieder und machte Platz für das Gesicht von Roland. Warum nur ist er so kalt geworden, so gleichgültig, so eigensinnig? Jessica hatte keine Antworten parat und sie wusste immer noch nicht so recht, wie sie sich jetzt fühlen sollte. Eine Befreiung war diese Flucht nicht. Doch Bleiben war auch keine Option. Sie war leer und gleichgültig in diesem Moment.

»Stop in the name of love before you break my heart«

»Könnten Sie vielleicht bitte diesen Mist ausstellen, ja?«, forderte sie den Taxifahrer auf. Dieser hatte den gesamten Song über fleißig mitgepiffen und war nun irritiert.
»Señora mögen den Song nicht? Haben was gegen die Liebe?«, fragte er neugierig in seinem doch recht passablen Deutsch, nachdem er das Radio leiser gedreht hatte.
»Tja, wenn ich was dagegen hätte, würde ich jetzt nicht hier bei Ihnen im Taxi sitzen.«
»Eh?«
»Schon gut, ich bin nur gerade nicht in der Stimmung für solch Musik.«

»Ja, genau! Alcudia! Da will ich hin«

Nur wenig später hielt das Taxi vor einem größeren Hotelkomplex im Örtchen S’Illot. Der Fahrer verkündete fröhlich, dass sie jetzt an ihrem Ziel angekommen sei.
»Welchem Ziel?«, fragte Jessica ihren offenbar kauzigen Fahrer.
» Señora, Sie haben gesagt, Sie wollen da hin, wo schön ist und mir ist eingefallen das Hotel Be Live Punta Amer hier in S’Illot.«
Jessica blickte ihn erstaunt an und musste lachen. Natürlich, sie hatte dem Fahrer überhaupt kein Fahrziel genannt und jetzt durfte sie sich nicht wundern.
»Das ist lieb von Ihnen«, sagte sie »aber ich will in gar kein Hotel. Ich will …. ach Mist, ich weiß nicht, wohin ich will,« gestand sie dem Mann. Der blickte sie verdutzt an, dabei hatte er schon eine Menge komischer deutscher Touristen in seinem Wagen gehabt. Gerade als er etwas sagen wollte, kam die Blondine ihm zuvor.
»Halt! Jetzt weiß ich es. Ich hab einmal eine Reportage über Mallorca gesehen und da war ich ziemlich beeindruck von einem Hafen, wo viele Sportboote ankerten. Der Ort sah ziemlich nett aus … wie hieß hier doch gleich …. Arkedia … Alkadia … «
»Sie meinen Alcudia!«, posaunte der Taxifahrer, froh das Rätsel gelöst zu haben und in freudiger Erwartung einer hohe Gage, da der Weg dorthin doch noch ein ganzes Stück wäre.
»Ja, genau! Alcudia! Da will ich hin.«

Der Fahrer startete den Wagen und fuhr in westlicher Richtung davon. Zwischen den roten Rücklichtern leuchtete noch ein gelber sonnenklartv-reisebuerso.de-Sticker auf, bevor der weiße Wagen in der malloquinischen Dämmerung verschwand.

Mit der Dunkelheit kamen bei Jessica Zweifel und Traurigkeit. Sie kämpfte tapfer dagegen an und redete sich ein, dass auch wieder bessere Zeiten kommen werden. Sie konnte ja nicht ahnen, dass dies schon recht bald sein sollte und das sie bereits im nächsten Winter mit einem Menschen, den sie sehr liebgewonnen haben wird, einen tollen Schnorchel- und Badeurlaub in Ägypten verbringen würde. Dort in Hurghada, besser gesagt im Fünf Sterne Iberotel Aquamarine Resort, wird sie dann an diesen Abend auf Mallorca zurückdenken und ein Lächeln wird sich auf ihrem Gesicht breitmachen. Bis dahin wird es jedoch noch ein weiter Weg.

Was würde Roland wohl gerade tun?

Der Fahrer setzte sie am Restaurante Miramar, direkt am Hafen von Alcudia ab. Jessica bedankte sich, bezahlte den Mann und stand plötzlich ganz allein mit ihrem Koffer in dem abendlichen Trubel. Lachende Gesichter zogen an ihr vorbei und verschwanden in den Hafenkneipen. Was würde Roland wohl gerade tun? Würde er sich Sorgen machen? Sie suchen? Immerhin ist sie jetzt bereits seit knappen drei Stunden auf der Flucht. Sie blickte auf ihre Armbanduhr, die exakt auf halb zehn stand. Ihr Magen grummelte. Natürlich, sie hatte Hunger, hatte ja seit dem Morgen nichts mehr gegessen gehabt. So suchte sie sich eine nette Taverne in einer Nebenstraße, abseits der munteren Partycrew am Hafen und genoss eine fangfrische Dorade und dazu passend einen Schoppen des weißen Hausweins.

Etwa eine Stunde später bezahlte sie die Rechnung und ging, begleitet von dem klackernden Geräusch ihres Trollies wieder in Richtung Hafen. Einen Plan besaß Jessica nicht und irgendwie kam sie sich verdammt dämlich und deplatziert vor. Sie erblickte eine Bank am Hafenkai, die jedoch von einer Person besetzt war. Jessica machte sich nichts daraus, sie wollte einfach nur dort sitzen und den sich bei leichten Wellengang schaukelnden Booten im Hafenbecken zusehen. Als sie sich der Bank näherte, erkannte sie einen jungen Mann mit dunklem Haar und Dreitagebart. Sein Gesicht hatte sympathische Züge. Neben ihm lag ein großer Rucksack auf der Bank, so dass Jessica den Jungen wohl oder übel bitten musste, Platz zu schaffen. Doch das war gar nicht nötigt, denn als sie direkt vor der Bank stand, nahm er sein Gepäckstück rasch zur Seite und bot ihr mit dem linken Arm einladend die nun leere Seite der Bank an. Sie setzte sich.

»Vielen Dank«, sagte Jessica.
»Dafür doch nicht. Ich freue mich doch sehr, jetzt einen Gesprächspartner zu bekommen, der nicht nur Spanisch spricht«, antwortete er und lächelte ihr zu.
Sie erwiderte das Lächeln.
»Ich bin übrigens Max«, sagte er und reichte ihr die Hand.

Fortsetzung folgt


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