“Entweltlichung” – Ratzinger läßt Katze aus dem Sack

WEIMAR. (fgw) Sozusagen auf den letz­ten Drücker, ganz knapp vor sei­nem Rückflug, hat der Papst die Lunte an eine Sprengladung gelegt, die erst mit etwas Verzögerung zün­det. Er for­dert von den deut­schen Katholiken den Verzicht auf Privilegien, um wie­der zum wah­ren Glauben und des­sen über­zeu­gen­der Verkündung zurück­zu­fin­den.
Nun ist die Katze aus dem Sack, offi­zi­ell bestä­tigt durch das Presseamt des Heiligen Stuhls. Der Papst for­dert die Entweltlichung der Kirche. Ein neuer Begriff, den viele Menschen in Deutschland beju­beln, andere aber in tiefe Verwirrung stürzt. „Jeder Christ und die Gemeinschaft der Gläubigen sind zur ste­ti­gen Ände­rung auf­ge­ru­fen”, so das Oberhaupt einer Kirche, die sich gerade in Deutschland in sat­ten und „selbst­ge­nüg­sa­men” Pfründen und Privilegien ein­ge­rich­tet hat. „Um ihre Sendung zu ver­wirk­li­chen,…, hat sie sich gewis­ser­ma­ßen zu „ent­welt­li­chen”.

von Georg Korfmacher

In sei­ner ihm eige­nen Wortakrobatik sagt der Papst, was er schon lange meint, dass näm­lich die Kirche „Organisation und Institutionalisierung grö­ße­res Gewicht als ihrer Berufung zur Offenheit” gibt. Und dann ein völ­lig neuer Ton, bei dem so man­chem Kirchenoberen in unse­rem Land das Trommelfell geplatzt sein muss: „Die Geschichte kommt der Kirche in gewis­ser Weise durch die ver­schie­de­nen Epochen der Säkularisierung zur Hilfe, die zu ihrer Läuterung und inne­ren Reform wesent­lich beige­tra­gen haben.” Säkularisierung als Heilmittel für die Kirche! „Die Säkularisierungen – sei es die Enteignung von Kirchengütern, sei es die Streichung von Privilegien oder Ähnli­ches – bedeu­te­ten näm­lich jedes Mal eine tief­grei­fende Entweltlichung der Kirche, die sich ja dabei gleich­sam ihres welt­li­chen Reichtums ent­blößte und wie­der ganz ihre welt­li­che Armut annahm.” Er for­dert eine Armut, „die sich zur Welt geöff­net hat, um sich von ihren mate­ri­el­len Bindungen zu lösen, und so wurde auch ihr mis­sio­na­ri­sches Handeln wie­der glaub­haft.” Der his­to­ri­sche Bezug ist brand-aktuell.

Damit bestä­tigt der Papst die Forderung säku­la­rer und lai­zis­ti­scher Demokraten nach Abschaffung von Privilegien der „Amtskirchen”, die über die ein­sei­tige Bevorzugung der christ­li­chen Religion hin­aus alle ande­ren Religionen und Meinungen dis­kri­mi­nie­ren. In uner­war­te­ter Offenheit pos­tu­liert der Papst: „Die von ihrer mate­ri­el­len und poli­ti­schen Last befreite Kirche kann sich bes­ser und auf wahr­haft christ­li­che Weise der gan­zen Welt zuwen­den, wirk­lich welt­of­fen sein.” Wohl gespro­chen, aber dann bitte auch kon­se­quent sei­tens der christ­li­chen Kirchen und auch sei­tens unse­res Staates, der sich vie­ler­orts und viel zu viel in „part­ner­schaft­li­che” Beziehungen mit die­sen Kirchen ein­ge­las­sen und ein­ge­rich­tet hat.

Beruhigend fügt er noch flugs hinzu: „Es geht hier nicht darum, eine neue Taktik zu fin­den, um der Kirche wie­der Geltung zu ver­schaf­fen.” Es gehe nur um die Suche nach der „tota­len Redlichkeit”, um das Abstreifen, „was nur schein­bar Glaube, in Wahrheit aber Konvention und Gewohnheiten sind.”
Na, dann wohlan! Helfen wir der Kirche beherzt, ihre Weltlichkeit abzu­le­gen: In Sachen Einzug der Mitgliedsbeiträge ihrer Gläubigen als Steuer durch den Staat mit üblen Folgen bei Nichtzahlung, Kirchenleistungen für längst abge­gol­tene Enteignungen durch Napoléon, Konkordat mit dem teuf­li­schen Beigeschmack Hitler’scher Einflussnahmen aller Art, Bildung und Medien als beson­de­res Tummelfeld indok­tri­nie­ren­der Beeinflussung aller, ins­be­son­dere jun­ger Menschen, glei­ches Recht für alle im zivi­len wie im arbeits­recht­li­chen Bereichen, kein reli­giö­ser Bezug in Recht und Gesetz und vie­les mehr.

Während auf­rich­tige Demokraten sich noch die Augen ob sol­cher Töne des Papstes rei­ben, schreien Bischöfe und beson­ders eif­rige Christen irri­tiert Zeter und Mordio. Gerade das „deut­sche Unikat der Kirchensteuer” sichert den Kirchenoberen ein sat­tes Leben. Allerdings darf man nicht über­se­hen, dass der Vatikan mit sei­nem Prunk und Protz, mit Tiara und Tatütata, mit dem zuneh­men­den und medi­en­wirk­sa­men Circus Maximus für den Pontifex Maximus nicht unbe­dingt das beste Vorbild für diese neue Armut ist.

Die Tür zu einem säku­la­ren, lai­zis­ti­schen Staat ist aber unwi­der­ruf­lich jetzt auch in Deutschland weit auf­ge­stos­sen. Leben wir auch in unse­rem Land lai­zis­ti­sche Demokratie mit Einbeziehung und Respekt aller Bürger und nur dem Menschen und Recht als Richtschnur und Schiedsrichter ver­pflich­tet!

[Erstveröffentlichung: Freigeist Weimar]

Zitate nach FAZ

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