Entscheidung pro Leben

Während meiner Studienzeit war ich Vegetarierin. Keine Veganerin, die gab es damals noch nicht wirklich, sondern jemand, der sich ganz bewusst gegen das Essen von rotem Fleisch entschieden hatte. Eier aß ich, Milk trank ich, Fisch gehörte ebenfalls auf den Teller. Von Soja allein wollte ich mich dann doch nicht ernähren… Irgendwann, ich war längst berufstätig, ging ich wieder dazu über, hin und wieder (also selten!) Fleisch zu essen. Hier mal ein Steak, dort ein schönes Stück Filet. Niemals Schwein (das finde ich so widerlich wie Innereien), aber Rind. Ganz ohne Bioausweis, denn bio war damals alles, denn man kaufte beim Metzger um die Ecke. Kein Trara mit Herkunftspass und Schlachtgarantie, sondern Vertrauenssache.

Heutzutage ist Essen alles (vor allem ungesund), nur keine Vertrauenssache mehr. Wir brauchen grüne Stempel, um unser Gewissen zu beruhigen und grausige Videos, um zu erkennen, dass Viehhaltung mittlerweile keine artgerechte und respektvolle Haltung mehr ist, sondern strukturierte und standardisierte Tierquälerei innerhalb gesetzlicher Normen, die einhergeht mit angewandter Natur- und Lebensraumvernichtung. Die wenigen Ausnahmen bestätigen die Regel. Aber wenn die EU schon so großzügig Gelder verteilt, um unsere Landwirte zu Energiestofflieferanten umzuschulen, statt sie, wie es die eigentliche Aufgabe eines Bauern ist, vielfältige und gesunde Nahrungsmittel produzieren zu lassen? Wenn es opportuner ist, aus Wiesen und Sträuchern kilometerlange monokulturelle Plantagen werden zu lassen, und aus Äckern, die eigentlich das Getreide für unser täglich Brot liefern sollten, Biomasseproduktionsstätten – wer greift da nicht zum Pflanzenvernichtungsmittel, bevor er die damit vergifteten Wildblumen untereggt und Mais und Raps ansäht?

Ich habe großen Respekt vor der Natur, vor allem vor Tieren. Sie haben Gefühle, sie leiden unter der schlechten Behandlung, die dann medikamentös kompensiert wird – und ich erlebe es tagtäglich, denn ich wohne „auf dem Land“. Um die Ecke befinden sich mehrere Ställe, in die Kühe 8.760 Stunden pro Jahr* eingepfercht sind. Es stinkt daraus zum Himmel nach Ammoniak, die Rinder stehen sicht- und riechbar Tag und Nacht in ihren eigenen Exkrementen, fressen vom selben Boden Gras, das sie nur in geschnittener Form und nicht als Wiese kennen. Und sie fressen das, was noch wenige Tage vorher großzügig mit ihrer eigenen Gülle bespritzt wurde…  Und diese Milch soll ich trinken, dieses Fleisch soll ich essen? Mal ganz davon abgesehen, dass ich es unerträglich finde, Kühe ständig zu befruchten und ihnen ihre Kälbchen unmittelbar nach der Geburt wegzunehmen, um sie in Koben zu stecken, wo sie allein mit sich und ihrem neuen Leben als Produktionsanlage klarkommen müssen.

Wie gesagt, ich esse sehr selten Fleisch. Aber jetzt esse ich gar keines mehr. Diese Entscheidung wurde viel zu lang aufgeschoben – wider besseren (Ge)Wissens.

*Schaltjahre haben 8.784 Stunden


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