Zum zweiten Teil
„Senor, wir haben hier keinen Tequila.“, sagte Pedro mit einem verschlagenen und zugleich ängstlichen Seitenblick auf Padre Léon. Dieser beeilte sich, in belehrendem Ton hinzu zu fügen: „Meine Herren Reisende. Wir sind überaus stolz, behaupten zu dürfen, dass wir das einzige Dorf zwischen hier und Mexiko sind, dass den Teufel Alkohol mit Stumpf und Stil ausgerottet hat. Sie müssen also, so leid es mir tut, mit unserem hervorragenden Quellwasser vorlieb nehmen.“ Während er dies sprach, überhörte er großzügig vereinzeltes Murren über die örtliche Alkoholregelung aus den Reihen seiner Hühnlein, nahm sich aber insgeheim vor, diesen Missstand auf die Liste für seine nächsten Sonntagspredigt zu setzen.
„Soso, ausgerottet. Wollen wir doch mal sehen, wer hier gleich ausgerottet wird. Habt Ihr überhaupt die leiseste Ahnung, wen Ihr vor Euch habt?“, krähte der Anführer fuchsteufelswild geworden, zog mit einer blitzschnellen, kaum sichtbaren Bewegung seinen Bohnenrevolver und schoß zweimal, laut ploppend in die Luft. „Nicht? Dann will ich es Euch sagen. Die unfreundlich blickenden Gentlemen hinter mir sind Bill, Joe und Bob. Und ich bin John Cock. Gemeinsam sind wir als Die Four Cocks bekannt. Na, geht Euch unterbelichtetem Federvieh jetzt ein Licht auf?“
Die Menge erstarrte. Die Four Cocks waren die berüchtigste Gangsterbande in weitem Umkreis. Auf ihr Konto gingen unzählige Überfälle auf Banken und Postkutschen, Mord, Entführung junger unschuldiger Hühnerladies samt Erpressung von Lösegeld sowie jede Menge Zechprellereien in den Saloons der Umgebung, wilde Schießereien, Diebstahl von Klapperhasen und allerlei anderen beweglichen Gütern. Die vier Brüder versetzten jeden, der mit ihnen zu tun hatte, in Angst und Schrecken und in 17 Staaten waren hohe Kopfgelder auf die Ergreifung der Pistoleros – tot oder lebendig – ausgesetzt. Mancher vorwitzige Sheriff, der es sich in sein übergeschnapptes Hühnerhirn gesetzt hatte, Die Four Cocks zu schnappen, hatte seinen Wagemut mit dem Leben bezahlen müssen. Und nun waren Bill, Joe, Bob und John Cock in Carrizo eingefallen. Das roch ganz gewaltig nach Ärger. So sah es auch Padre Léon, der sich jedoch den Schreck nicht anmerken ließ und mit fester Stimme sagte:
„Meine Herren Cock. Wir leben hier am Rand der Sierra Chica seit Generationen als arme Campesinos von unserer Flügel Arbeit. Was also wollen Sie von uns, wo es hier doch nichts zu holen gibt?“
„Soso, Ihr habt also nichts.“, sagte John mit einem sehr bedrohlichen Unterton. „Da lachen ja die Hühner. Los, rückt Eure Wertgegenstände und Euer Gold heraus. Und wenn wir zufrieden sind, ziehen wir vielleicht ab, ohne Euer elendes Kaff in Brand zu stecken.“
„Was für Gold? Welche Wertsachen? Senor Cock, Sie sehen doch, wie mittellos wir sind. Wir haben nicht einen lumpigen Peso in unseren Taschen.“, antwortete der Priester.
„Schnabel halten!“, fuhr John Cock dazwischen. „Was ist denn das für ein Ei, dass da um Deinen Hals hängt? Das sieht mir ganz nach Silber aus. Her damit!“
„Senor, das kann ich Euch nicht geben. Das ist ein heiliger Gegenstand. Dieses Ei darf nur ein Padre tragen. Und ich bin ein Padre.“, entgegnete Léon furchtlos.
„Das werden wir ja sehen.“ Der Ganove wandte sich zu seinen Brüdern um und befahl ihnen: „Schnappt Euch den Pfaffen und rupft ihn ordentlich.“
Das ließen sich Bill, Joe und Bob nicht zweimal sagen. Sofort saßen sie von ihren Klapperhasen ab und gingen breitbeinig, den Kamm voraus, auf den verdutzten Padre Léon zu. In diesem Augenblick stürzte ein Küken unter dem Rock seiner Mutterhenne hervor, fuchtelte dabei wild mit einem, aus einem Stück Holz geschnitzten, Spielzeugrevolver und nahm hin- und hüpfend vor dem Gangsterboss Aufstellung:
„PENG, PENG!“, fiepte das Küken. „Haut ab, Ihr bösen Ganoven, sonst schieße ich Euch alle tot. PENG, PENG! Wartet nur, wenn El Pollo nach Hause kommt, dann macht er Euch fertig. El Pollo ist der Größte. PENG, PENG!“
„So so, El Pollo also.“, antwortete John mit einem leichten, ins Sadistische gehenden Lächeln. „Mein Kleiner, ich zeige Dir mal, was ich mit Deinem großen El Pollo mache, wenn ich ihm begegne.“
Wieder hob er seinen Bohnenrevolver, zielte lässig und setzte dem Küken ein paar blaue Bohnen vor die nackten Krallen. Das Kleine piepste kreischend auf, ließ seine Spielzeugpistole fallen und rannte, so schnell es konnte, wieder unter den schützenden Rock seiner Mutter zurück. Die drei restlichen Brüder hatten kurz innegehalten. John erhob sich aus seinem Sattel, so dass ihn jedes Huhn auf dem Platz sehen konnte, warf einen nichts Gutes verheißenden Blick auf die angstvoll zusammengedrängte Menge und begann zu sprechen:
„Und nun hört mir mal genau zu. Wir machen jetzt Folgendes: Als erstes werden wir den vorlauten Padre da rupfen, damit Ihr seht, dass wir es ernst meinen. Dann wollen wir es für dieses Mal gut sein lassen. Aber freut Euch nicht zu früh. Zum nächsten Hühnermond kommen wir zurück. Dann liefert Ihr uns Euren ganzen Besitz aus. Aber das ist noch nicht alles. Ich kenne El Pollo, den alten Trunkenbold gut. Sehr gut sogar. Wenn ich mich recht erinnere, hat er einmal im Vollrausche erzählt, dass er aus diesem elenden Drecknest hier stammt. Und ich habe mit dem Mistkerl noch ein, zwei Hühnchen zu rupfen. Wenn wir also demnächst wieder kommen, werdet Ihr uns auch noch El Pollo geben, da wir ansonsten das ganze Dorf niederbrennen.“ Nach dieser kurzen Ansprache wandte er sich an seine wartenden Brüdern und sagte in bedrohlichem Tonfall: „Und jetzt bringt mir das verdammte Ei und die Schwanzfedern von unserem kleinen Priester hier.“
Mit diesen Worten stürzten sich Bill, Bob und Joe auf Padre Léon. Dieser wehrte sich nach Leibeskräften, trat und schlug wild gackernd um sich, doch gegen die drei Cock-Brüder hatte er keine Chance und sie hatten ihn alsbald überwältigt. Als sich der aufgewirbelte Staub verzogen hatte, lag der arme Padre ziemlich zerrupft auf der Straße. Die Cocks hatten ihm während des heftigen, aber kurzen Kampfes die Schwanzfedern ausgerissen, die sie sich nun triumphierend an ihre Hüte steckten. Bill gab John dümmlich grinsend ebenfalls eine der Schwanzfedern des Priesters und überdies das silberne Ei. Der Älteste hängte sich, fies lachend, das Schmuckstück um den Hals, deutete darauf und sagte zu Léon, der sich mühsam aus dem Staub erhob und allen anderen Hühnern auf dem Platz:„Das war nur die Anzahlung. Bald sehen wir uns wieder. Los Jungs, wir verschwinden. Adios“
Die drei Brüder kletterten in die Sättel ihrer Klapperhasen, dann wendeten Die Four Cocks ihre Reittiere und hoppelten donnernd in einer Staubwolke aus Carrizo heraus und zurück in den Glutofen der Sierra Chica.
Zum vierten Teil