Entscheidung in der Sierra Chica, Teil 2


Zum ersten Teil
Von einem Moment auf den nächsten war es mit der trägen Mittagsruhe in Carrizo vorbei. Die Einwohner stürzten, bewaffnet mit Mistgabeln, Dreschflegeln, entzündeten Fackeln und sogar einigen Bohnenrevolvern in verschiedenen schlechten Erhaltungszuständen aus ihren Hütten und Schattenplätzen, rannten auf der Straße wie ein wild gewordener Hühnerhaufen durcheinander, um sich endlich vor der Kirche zu versammeln. Schnatternd, gackernd und so hektisch mit den Flügeln schlagend, dass Federn in alle Richtungen stoben, diskutierten sie die bedrohliche Situation. Doch dann öffnete sich die Kirchentüre und heraus trat würdevoll Padre Léon, das geistliche Oberhaupt von Carrizo. Der Padre war ein schwarzes Federvieh von Ehrfurcht gebietender Gestalt. Er hatte einen mächtigen, roten Kamm auf seinem Haupt, prächtig glänzende Schwanzfedern und einen imposanten scharfen Schnabel zwischen seinen klaren Hühneraugen. Padre Léon trug eine dunkelbraune, wenngleich staubige Soutane aus grob gewirktem Stoff und vor seiner Brust baumelte an einer Kordel ein silbernes Ei. Am Bauch wurde das Gewand des Padre von einem breiten Gürtel zusammengehalten, an dem neben einem Holster mit einem schön gearbeiteten Bohnenrevolver ein lederner Beutel mit Ersatzbohnen der blauen Sorte für das Magazin des Revolvers hing.
So ausgerüstet trat Padre Léon auf den Platz. Er hob leicht seine Flügel und sofort kehrte unter der Einwohnerschaft von Carrizo Ruhe ein. Dann baute er sich vor dem eingeschüchterten Sancho auf, kratze ein wenig auf dem staubigen Boden herum und fragte ihn schließlich:
„Mein Sohn, wie kommst Du dazu, zur Mittagsstunde, während der jedes ordentliche Huhn seine Siesta hält, hier vor die Kirche zu stürmen und lauthals Alarm zu schreien?“
„Vier Reiter, Padre. Und sie kommen in unser Dorf.“, japste Sancho, noch ganz außer Atem.
„Bist Du Dir da auch ganz sicher?“, fragte der Padre.
„Meine Augen haben mich noch nie getäuscht, Padre.“
„Du hast auch noch nie etwas gesehen, mein Sohn.“, herrschte der Priester den armen Sancho an.
„Das stimmt, Padre.“, antwortete Sancho kleinlaut.
„Trotzdem gut aufgepasst, mein Sohn.“, sagte Léon. „Und nun wollen wir unseren Besuch mit gebührendem Respekt in Carrizo Willkommen heißen.“
Eine ganze Weile passierte nun nichts. Auf dem Platz vor der Kirche war es mucksmäuschenstill gewordenen. Die einzigen Geräusche waren das pausenlose Zähneklappern der Klapperhasen an der Tränke und das unaufhörliche Summen der Fliegen. Plötzlich bogen vier Reiter nebeneinander auf die Straße ein. Ein leichtes Raunen ging durch die versammelte Hühnerschar und manch ein entschlossener Hahn schloss seine Flügel fester um die Mistgabel oder den Dreschflegel. Die Küken versteckten sich unter den weit ausladenden Röcken ihrer Mutterglucken und spähten zugleich neugierig hinüber zu den Reitern. Was sie sahen, waren vier abgerissene graubraune Galgenvögel von Hühnern, die allesamt staubbedeckt und schlecht rasiert daherkamen. Alle vier trugen schäbige Cowboyhüte, speckige Lederwesten, vielfach geflickte und trotzdem löchrige Hosen und Stiefel mit glänzenden Sporen. An ihren Gürtel hingen eindrucksvolle Bohnenrevolver und allerlei Messer. Sie ritten betont langsam und lässig auf ihren Klapperhasen, die im Gegensatz zu ihren Reitern gepflegt waren und aussahen, als hätten sie erst kürzlich auf unfreiwillige Weise ihren Besitzer gewechselt. So gesehen passten sie damit überhaupt nicht zu dem restlichen Bild, dass sich den überraschten und etwas verängstigten Bewohnern von Carrizo bot. Die Klapperhasen trugen links und rechts Satteltaschen, die den Eindruck erweckten, als wären sie mit allerlei Beute und illegal erworbenen Gütern vollgestopft. Geladene Maisgewehre, die ebenfalls an den Satteln der Nager festgemacht waren, vervollständigten die Ausrüstung der vier Desperados. Endlich erreichten die Reiter den Platz vor der Kirche und machten dort halt. Einer von ihnen ritt etwas weiter nach vorne und baute sich, stolz auf seinem Klapperhasen sitzend, direkt vor Padre Léon auf, der sogleich zu sprechen anhub:
„Wir haben nicht oft Fremde in Carrizo und trotzdem heißen wir alle freundlich Willkommen. Doch sagen Sie mir, Senores, was führt Sie in unser abgelegenes Dorf?“
„Meine Brüder und ich haben Durst!“, knurrte der Anführer und blickte Léon scharf unter seinen buschigen Augenbrauen an.
„So sollt Ihr zu trinken haben.“ antwortete der Priester.
„Pedro, mein Sohn“, rief Padre Léon quer über den Platz in Richtung Saloon: „Bring den Herren etwas zu trinken, denn sie haben Durst.“
Sogleich war eine verstohlene Bewegung im Saloon wahrzunehmen. Dann kam Petro, der örtliche Schankwirt, mit einer großen Holzkelle, gefüllt mit Wasser auf den Platz. Auf dem Weg verschüttete er dabei vor lauter Zittern eine nicht unbeträchtliche Menge des kostbaren Nass. Schließlich gelangte er doch halbwegs heil zum vordersten der Reiter und hielt ihm mit einem unterwürfigen „Senor“ die Kelle unter den Schnabel. Der Anführer nahm Pedro die Kelle aus der Hand, roch an ihrem Inhalt, probierte einen kleinen Schluck und schleuderte dann angewidert das Gefäß in den Straßenstaub.
„Wasser!“, spuckte der Reiter verächtlich in Richtung Pedro aus. „Das ist etwas für Euch elende Bande oder die Klapperhasen. Bring uns Tequila, aber ein bisschen rapido, wenn ich bitten darf.“
Zum dritten Teil

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