Zum neunten Teil
Unter dem Jubel der Gäste öffnete sich der Vorhang. Der Papagei am Klavier stimmte einen Can Can an und haute dabei so in die Tasten, dass sein Bierglas auf dem Klavier wackelte und kleine Luftsprünge machte. Dann betraten die Stars des Abends die Bühne. „Las Esmeraldas“ waren drei fesche, knusprige Hühnchen, die sogleich zur Musik ihre schlanken, wohlgeformten Hühnerbeine durch die Luft schwangen und dabei mit pinken Federboas wedelten. Das Publikum war so hingerissen, dass jede Menge Pesostücke und die eine oder andere Banknote auf der Bühne landeten. Es mangelte auch nicht an enthusiastischem Krähen, Gackern, Herumgehopse sowie diversen anzüglichen Bemerkungen über die körperlichen Vorzüge der „Las Esmeraldas“.
Als die Stimmung ihren Siedepunkt erreicht hatte, ploppte plötzlich knallend ein Schuss und traf einen der Kronleuchter, der krachend zu Boden stürzte und in tausend Stücke zersprang. Sofort herrschte Totenstille in Saloon und alle blickten sich um. An einem der Spieltische standen sich zwei aufgeplusterte Gockel mit gezogenen Revolvern gegenüber.
„Verdammter Falschspieler!“, krächzte der eine Gockel und zielte mit seinem Revolver auf den Kontrahenten.
„Stimmt gar nicht.“, ereiferte sich der andere Hahn und schlug mit den Flügeln. Dabei fielen ihm einige Asse, die garantiert nicht zum Kartenblatt gehörten, aus den Ärmeln seiner Jacke.
Der Betrogene schrie, zur Menge gewandt: „Jetzt habt ihr es selbst gesehen. Dieser Gockel ist ein Falschspieler, Betrüger und Zinker. Und jeder weiß, was man mit solchen Subjekten macht.“
Er drehte sich wieder zu seinem Gegner um und spannte den Hahn seines Bohnenrevolvers. In diesem Augenblick griff sich der Falschspieler den Spieltisch und kippte ihn samt Spielkarten, Gläsern, der Whiskyflasche, Pesomünzen, Dollarnoten und Goldnuggets dem anderen Hahn entgegen, der samt dem Möbel und allem, was darauf war, zu Boden ging. Der Betrüger rannte darauf hin, die Pistole in der Rechten, auf die Bühne und schnappte sich die Hübscheste der „Las Esmeraldas“. Inzwischen hatte sich der andere Gockel wieder aufgerappelt und fegte ebenfalls zur Bühne, hielt aber inne, da er Falschspieler die arme Tänzerin in eisernem Griff als Deckung vor sich hielt und ihr die Mündung seines Revolvers an den Kopf gesetzt hatte. Inzwischen hatten mehrere der Gäste ebenfalls ihre Pistolen gezogen, als der Geiselnehmer hysterisch krähte:
„Aus dem Weg, alle aus dem Weg. Ich haue jetzt mit meiner Geisel ab und falls mich jemand dabei aufhalten sollte, puste ich unserem reizenden Hühnchen hier sein hübsches, kleines Köpfchen weg.“
Damit stieg er, das verängstigte Tanzhuhn vor sich her schiebend und schubsend, von der Bühne und bewegte sich durch eine schmale Bresche, die die übrigen Gäste gebildet hatten, in Richtung Ausgang. Sancho und Monsieur Coq, die den Auftritt von der Theke aus beobachtet hatten, verständigten sich schweigend aus den Augenwinkeln und erhoben sich von ihren Barhockern. In dem Moment, als der Ganove mit seiner eingeschüchterten Geisel an ihnen vorbeikam, kickte Sancho seinen Barhocker mit einem unauffälligen Hahnentritt um. Die Tänzerin stolperte darüber und riss den verdutzten Falschspieler mit sich zu Boden. Dieser drehte sich jedoch im Fallen und feuerte einen Schuss auf den unvorbereiteten Sancho ab. Die blaue Bohne perforierte seinen Kamm und schlug hinter der Theke in einen kristallenen Spiegel ein, der klirrend zersplitterte.
Coq nutzte das allgemeine Durcheinander und die Unübersichtlichkeit der Situation, um sich im selben Augenblick geistesgegenwärtig mit seinem beträchtlichen Gewicht auf den zu Boden gegangenen Betrüger zu werfen. Er schlug ihm mit aller Kraft die Pistole aus den Flügeln und zerrte ihn dann von der Tänzerin weg, die hysterisch gackernd auf Schwingen und Füßen unter den nächsten Tisch in Deckung kroch. Sofort kamen einige Gäste dem Händler zu Hilfe und nach einem kurzen und heftigen Flügelgemenge war der Halunke endgültig überwältigt und wurde den Schwingen des Gesetzes in Gestalt des inzwischen herbei gerufenen Sheriffs von San Fernando überantwortet. Sancho griff sich vorsichtig an den Kamm und sah das dunkle Blut an seinen Federn.
„Alles nischt so schlimm. Aber eine Loch wird in die Kamm bleiben.“, sagte Coq au Vin, der sich mittlerweile wieder aufgerappelt und den Staub von seiner Weste geklopft hatte, als er Sanchos Wunde sah. Sofort war auch Pepe mit dem Verbandskasten zur Stelle und klebte dem verwundeten Sancho auf beide Seiten seines Kammes ein Heftpflaster. Dann drehte sich der Wirt zu den anderen Gästen um und krähte, so laut er konnte:
„Zu Ehren von meinem tapferen Freund Monsieur Coq und seinem heldenhaften Begleiter Sancho, der den Falschspieler erledigt hat, sind heute alle Getränke gratis.“
Während die ausgelassene Menge noch jubelte und sich Getränke bestellte, als gäbe es kein Morgen mehr, ließ sich der erschöpfte Sancho auf seinem Barhocker nieder, um erst einmal zu verschnaufen. Als er wieder aufblickte, stand ein wunderschönes, goldfarbenes Hühnchen mit musterndem Blick vor ihm und hauchte schließlich: „Herzlichen Dank, Señor Sancho, wenn ich mich nicht irre. Ich bin Ihnen unendlich dankbar, dass Sie mir das Leben gerettet haben. Mein Name ist Esmeralda.“
Der nächste Teil erscheint am Freitag. Zudem wird es in den nächsten Tagen noch einen Extrabeitrag zur "Entscheidung in der Sierra Chica" geben.