Zum achten Teil
Die untergehende Sonne stand glutrot über dem Horizont, als Monsieur Coq au Vin und Sancho in den Ort San Fernando einfuhren. San Fernando war, ganz im Gegensatz zu Carrizo ein schmuckes, kleines Dorf mit gepflegten Lehm- und Holzhäuschen, die sich wie Perlen links und rechts der Straße aufreihten. Es gab hier sogar hölzerne Gehwege auf Stelzen, die das Flanieren bei schlechter Witterung erträglicher machten. Eine weiß gekalkte Kirche mit einem goldglänzenden Ei an der Kirchturmspitze lag ein Stück weiter die Straße hinunter. Da San Fernando an einem kleinen Flusslauf erbaut war, der fast das ganze Jahr Wasser führte, gab es bei nahezu jedem Haus einen kleinen Blumen- und Gemüsegarten. Außerdem sah Sancho hier die ersten echten Palmen seines noch jungen Lebens. Mit vor Staunen offenem Schnabel saß Sancho auf dem Kutschbock, während Coq seinen Planwagen unter den johlenden Begrüßungen einiger durstiger Einwohner vor den örtlichen Saloon lenkte.
Sancho wollte unverzüglich losreiten und sich auf die Suche nach El Pollo machen, doch Coq au Vin hielt ihn auf: „Bleiben Sie, Sancho. El Pollo kann auch bis morgen früh warten. 'eute sind Sie mein Gast. Außerdem möschten Sie bestimmt wieder einmal auf eine rischtige 'ühnerstange schlafen.“
Sancho war das Ganze etwas unangenehm, doch der dankbare Händler bestand darauf, ihn einzuladen. „'eute machen wir uns eine schöne Abend in die Saloon. Und morgen früh reiten wir zu El Pollo. Isch muss darauf bestehen. Das gebietet die Gastfreundschaft und die 'öflischkeit.“, sagte Coq mit einer angedeuteten Verbeugung.
Doch von so viel Herzlichkeit überwältigt, konnte Sancho einfach nicht „Nein“ sagen und stieg vom Planwagen. Sogleich kam der Bursche, ein jugendlicher Gockel, der gerade seinen Kükenflaum abgeworfen hatte, aus dem Saloon geeilt, um die Hasen abzuschirren und zu versorgen. Kurz darauf erschien der Wirt selbst. Er war ein stattlicher Hahn, gekleidet in eine etwas fleckige Schürze. Freudestrahlend stürzte er auf Coq, der gerade vom Wagen geklettert war und begrüßte ihn überschwänglich: „Coq, Du alter Saufschnabel. Was für eine Freude, Dich hier zu sehen. Ich hatte Dich eigentlich schon gestern erwartet.
„Pepe, mon ami. Isch freue misch auch, wohlbe'alten 'ier zu sein und Disch wieder zu treffen. Isch 'atte unterwegs einige Malaisen zu erleiden, doch Dank unseres jungen Freundes (wobei er auf Sancho deutete) ist meine Reise am Ende doch noch glücklisch verlaufen.“
„Ihr müsst mir unbedingt mehr von Euren Abenteuern erzählen.“, sagte Pepe, nachdem er Sancho mit einem freundlichen Nicken begrüßt hatte. „Hier ist ja nie etwas los. Doch kommt erst einmal in die gute Stube.“
Pepe drehte sich zum Eingang seines Lokals um und pfiff kurz durch den Schnabel. Darauf kamen zwei weitere Gockel durch die Türe und begannen, Coqs Planwagen zu entladen. Dieser ermahnte sie noch sehr eindringlich, die lange, eingewickelte Kiste ja nicht zu berühren und betrat dann, gemeinsam mit Sancho, den Saloon. Drinnen angekommen, traute Sancho seinen Augen nicht. Dieses Lokal war so ganz anders als die elende, herunter gekommene Kaschemme, die er aus Carrizo kannte. Von der Decke hingen Kronleuchter, deren Kerzenlicht tausendfach in den Spiegeln reflektierte, die an den Wänden befestigt waren. Überall im Saloon standen Tische und Stühle, die tatsächlich zusammen passten. Auf der einen Seite war eine lange Theke mit, hinter der auf einem Regal Flasche an Flasche stand. Davor vor standen Barhocker, an denen sich einheimische und zugereiste Hühner aneinander reihten. Auf der gegenüber liegenden Seite war eine hölzerne Bühne aufgebaut, die jedoch im Moment mit einem tiefroten Vorhang zugezogen war. Neben der Bühne saß ein Papagei mit Zylinder und Monokel am Klavier und klimperte darauf herum, was das Zeug hielt. Fast alle Plätze des Lokals waren von trinkenden, lärmenden und Karten spielenden Hühnern besetzt. Sancho und Monsieur Coq nahmen an der Theke Platz. Sofort stellte ihnen der fleißige Pepe ein Getränk hin, nicht ohne zu erwähnen, dass es auf's Haus ginge. Sancho wollte sich gerade Coq zuwenden, als unter dem tosenden Applaus des Publikums eine feister, befrackter Hahn mit einem Gehstock die Bühne betrat. Mit einem Flügelwinken bat er um Ruhe im Saal und rief dann:
„Ladies und Gentlemen. Begrüßen Sie nur heute und exklusiv auf dieser Bühne die Stars der Sierra Chica. Sie sind extra für Sie angereist und haben dafür weder Kosten noch Mühen gescheut. Und hier sind sie. Freuen Sie sich zusammen mit mir auf: LAS ESMERALDAS!“
Der nächste Teil erscheint am Montag