Etappe 3 & 4
Ab 6 Uhr morgens fliegen die ersten Stirnlampen-Lichtkegel durch das Dorm und läuten das Ende einer unruhigen Nacht ein. Schläfrig trotten wir runter in den Frühstücksraum, wo geschäftiges Treiben herrscht.
Die halbe Hütte ist schon leer und professionell wirkende Wanderer machen sich bereit für ihre Tagesrouten. Wir lassen uns davon nicht beeindrucken.
Was uns an Expertise fehlt, machen wir locker durch gute Laune wett.
Nach einem kurzen und schlechten Frühstück starten wir motiviert in die dritte Etappe. Von Trient über die Fenêtre d’Arpettte (2664 m) bis nach Champex. Laut unseres Führers steht uns …eine der härtesten Etappen, der gesamten Route bevor. Das kann ja heiter werden!
Doch zunächst fängt alles relativ harmlos an. Auf der Schattenseite des Berges windet sich ein wunderschöner Pfad in angenehmen Kurven hinauf, steigt aber schon bald steil an. Stetig laufen wir dem Trient Gletscher entgegen, der majestätisch ins Tal hinabkriecht.
Nachdem wir die Baumgrenze überwunden haben, fängt der Anstieg erst so richtig an. Schon den ganzen morgen klagt mein Wanderpartner über Fußschmerzen. Bei unserer Whirlpool-Aktion vom Vortag, hat er sich auf dem Sonnendeck einen sechs Zentimeter langen Splitter in den Fuß gerammt. Den Splitter haben wir vor Ort entfernt aber der scherzende Fuß deutet darauf hin, dass wir möglicherweise etwas übersehen haben.
Während einer Pause schaue ich mir die Wunde noch einmal genauer an. Da ich meine Pinzette am Vortag verloren habe, gehe ich dabei mit zwei großen Klappmessern zu Werke. Als ich gerade mit beiden Klingen die Haut auseinander ziehe, kommen zwei Engländer um die Ecke, die wir am Vortag in der Hütte kennengelernt haben. Meine “deutsche” erste Hilfe Maßnahme, sorgt für rege Heiterkeit. Leider werde ich nicht fündig und so muss sich mein Genosse weiter quälen.
Nach und nach trudeln die Profis ein, die wir natürlich längst eingeholt hatten :o)
Die Felder überqueren wir im Ski-Style. So kann man schnell und spaßig Weg gut machen.
So marschieren wir ohne Pause weiter bis nach zehn Stunden endlich das erlösende Ortsschild von Champex vor uns steht.
Beim Abendessen lernen wir wieder interessante internationale Gäste kennen. Ein junges Paar aus USA und Israel, die in Singapur wohnen und ein rüstiges, älteres Paar, das schon sagenhafte 18 Tage auf Tour sind.
Am nächsten Morgen heißt die Devise: Entspannung. Die vierte Etappe von Champex nach Le Châble ist ein circa fünf stündiger Weg, der hauptsächlich moderat abfallend ins Tal führt. Genau das richtige nach den Strapazen des Vortages.
Den Rest der Etappe laufen wir gemeinsam. Wie alle Wanderer, denen wir auf der Tour begegnen, haben auch sie interessante Jobs. So ist der eine persönliche Berater von Rafael Nadal bei Pokerstars.com. Der andere arbeitet im VoIP-Geschäft. Sehr amüsante Zeitgenossen.
Als wir aber am Abend auf dem Dorfplatz zu Abend essen, steht auf einmal ihr Freund vor uns. Ein redseliger Franzose aus Marseille, der uns begeistert einlädt uns seinen Garten anzuschauen. Die Freundin sei zwar leider nicht da aber wir können auf ein paar Bier zu ihm nach Hause kommen. Nachbarn, Kindern und Dorfbewohner werden uns bei der Gelegenheit auch direkt vorgestellt.
Landidylle wie aus dem Bilderbuch. So kann man tatsächlich leben!
Unser Herbergszimmer teilen wir uns mit einem knallharten ungarischen Pärchen, die auch die Walker’s Haute Route laufen. Allerdings mit doppelt so viel Gepäck wie wir. Als ich mich beim Duschen entkleide, fällt mir mein Smartphone auf die Kacheln und zerspringt in tausend Teile. Jetzt bin ich endlich offline. Der Urlaub kann beginnen.
Ab morgen geht es wieder aufwärts!