Entmenschlichtes Fernsehen

Von Stefan Sasse
Die Reality-Shows des deutschen Fernsehens sind bekanntlich nicht gerade fein. Oftmals basiert ihr Prinzip auf der Erniedrigung der Protagonisten, häufig ohne dass diese es überhaupt merken - von "Bauer sucht Frau" bis "Frauentausch". Ein Prinzip, das in der Anpreisung von "Deutschland sucht den Superstar" in dem Satz "Wer es heute nicht gesehen hat, kann morgen nicht mitlästern" einen geradezu zynisch ehrlichen Ausdruck fand. Gegen das chinesische Staatsfernsehen aus Henan aber sind die Niveauabgründe, in denen man RTL regelmäßig findet, ein Witz. In China, das Land, das mehr Menschen zum Tode verurteilt und hinrichtet als der Rest der Welt zusammen, empfand man es offenbar als grandiose Idee, eine Reality-Doku mit den Todesdelinquenten zu machen (SZ berichtet). Und weil irgendwelche normalen Interviews oder der Gefängnisalltag nicht allzu spannend sind, hat man eine geradezu abscheuliche Moderatorin hergenommen, der keine Gemeinheit zu nieder war. Das Resultat ist erschreckend. 
So wurden die Interviews - denen natürlich keines der Opfer zustimmte - nicht für irgendeinen Informationsgewinn geführt, sondern dienten lediglich der Erniedrigung des Opfers vor 40 Millionen Zuschauern. So erkundigte sich die Moderatorin nach dem Befinden der Familie des Mörders, der wegen Muttermords verurteilt worden war, fragte ihn am Ende, als er längst in Tränen ausgebrochen war, ob er vielleicht seinen Bruder ein letztes Mal sehen wolle. Als er weinend erklärte, ihn gerne noch einmal sehen zu wollen, kam die gehässige Antwort "Aber er will dich nicht sehen!" Nicht einmal in seinen letzten Stunden wurde das Opfer in Ruhe gelassen, sondern bis zur Hinrichtungsstätte begleitet und gefilmt. Die Menschenwürde wird mit Füßen getreten, und nur einer Doku der BBC über die Vorgänge ist es zu verdanken, dass die Sendung nun eingestellt wurde. 
Man kann das Ganze jetzt natürlich mit dem Argument beiseite wischen, dass es sich in China, der kommunistischen Halbdiktatur am anderen Ende der Welt abgespielt hat. Aber das wäre zu kurz gesprungen. Die Decke der Zivilisation ist bekanntlich dünn, und die Ressentiments, aus denen sich die meisten Schlagzeilen der BILD speisen machen hier sicherlich kaum halt. Es ist uns zugute zu halten, dass eine solche Sendung hierzulande wohl einen Aufschrei verursachen würde - aber wie lange das anhalten würde, sei einmal dahingestellt. Die Vorstellung, dass Kriminelle, Mörder gar, kein Recht beziehungsweise nur ein eingeschränktes Recht auf Menschenwürde und Grundrechte hätten, findet hier im chinesischen Fernsehen einen plakativen Ausdruck, ist jedoch überwältigend weit verbreitet. China ist nicht besonders weit weg. In solchen Momenten ist es uns beängstigend nah. 


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