Englands berühmteste Schriftstellerfamilie – Zu Besuch bei den Brontës

Jeden Morgen, noch bevor ich mich an meinen Schreibtisch setze und meine Finger über die Tastatur gleiten lasse, werfe ich einen Blick aus meinem Fenster. In der Ferne, dort, wo die grünen Wiesen enden, ragt eine felsige Klippe in den nebelverhangenen Himmel auf. Dahinter beginnt eine Landschaft, die auf den ersten Blick so seltsam kahl und rau erscheint, dass die Phantasie gezwungen ist, etwas Lebhaftes, Gewaltiges zu erfinden, um deren eigentümlichen Charme zu bewältigen, der so schwer beschreibbar ist. Das Moor erstreckt sich wie ein gräserner, sumpfiger Teppich über die Pennines, die bis auf die späten Sommermonate, wenn die Heide purpur blüht, wie riesige, seidene Kamelrücken auf der Erde ruhen. Meine Augen schärfen sich, sobald ich das Moor am Horizont erblicke und mein Herz öffnet sich den Rufen von alten Mythen und längst vergessenen Fabelwesen.

Es gibt kaum eine bessere Möglichkeit, dem Kopf Freiraum zu verschaffen als auf einem langen Spaziergang über das Moor. Die Gedanken lösen sich von eingefahrenen Mustern und schwirren leicht und frei über ausgeblichene Pfade davon, um mit neuer Fülle zu mir zurückzukehren, damit sie mir helfen, die leeren Seiten zu füllen. Das englische Moor ist eine Inspirationsquelle und ein Lockmittel für den kreativen Geist. Darum wundert es mich nicht, dass genau in dieser Landschaft eine der berühmtesten Schriftstellerfamilien Englands einst lebte und wirkte. Die Rede ist von den Geschwistern Brontë, genauer gesagt den Schwestern Emily (1818-1848), Charlotte (1816-1855), Anne (1820-1849) und deren Bruder Branwell (1817-1848).

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Aufgewachsen sind die Geschwister im Pfarrhaus (dem heutigen Brontë Parsonage Museum) ihres irischstämmigen Vaters Patrick Brontë (1777-1861) im kleinen Örtchen Haworth in West Yorkshire. Ihre Welt war ringsherum begrenzt durch die kargen Weiten der Moore, die sich auf stürmischen Höhen rund um ihren Heimatort erstreckten. Nach dem frühen Tod der Mutter im Jahr 1821 übernahm deren Schwester Elizabeth Branwell die Erziehung der Kinder, die angeregt durch Branwells Spielzeugsoldaten ihre eigenen Phantasiewelten erschufen und in Form von Geschichten und Gedichten in winzigen Miniaturnotizbüchern niederschrieben. Auch die Schwestern erhielten eine solide Schulbildung, doch ihre Welt blieb zunächst beschränkt auf die wenigen Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung, die einer Frau damals zur Verfügung standen. Durch ihre Arbeit als Lehrerinnen und Gouvernanten und verschiedene Bildungsreisen erweiterten sie dennoch kontinuierlich ihren Erfahrungshorizont und entwickelten schließlich jede für sich ihren ganz eigenen literarischen Stil.

Unter männlichen Pseudonymen und zunächst auf eigene Kosten veröffentlichten sie mehrere Romane und Gedichtbände, die später Eingang in die Weltliteratur fanden und heute zu den Klassikern der englischen Belletristik gehören. Die bekanntesten Werke sind Emilys „Sturmhöhe“ (Wuthering Heights), Charlottes „Jane Eyre“ und Annes „Die Herrin von Wildfell Hall“.

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Ihr Bruder Branwell hingegen, der sich zunächst als Porträtmaler versucht und einzelne Gedichte veröffentlicht hatte, verfiel nach einer unglücklichen Liebe dem Alkohol und begann seine Familie mehr und mehr zu terrorisieren. Er verstarb im September 1848 an Tuberkulose. Bezeichnend für seine ambivalente Stellung unter den erfolgreichen Geschwistern ist ein berühmtes Porträt der Schwestern, das er selbst gezeichnet hat. Nach der Fertigstellung hat er sich aus dem Bild wieder herausgewischt und hinterließ einen traurigen Schatten auf dem Papier.

Im Dezember folgte ihm Emily und im Mai des darauffolgenden Jahres auch Anne. Charlotte, die zu diesem Zeitpunkt bereits eine bekannte Schriftstellerin war, veröffentlichte weitere Werke und heiratete den Hilfsprediger ihres Vaters Arthur Bell Nichols. Aber auch sie verstarb jung. Im März 1855 erlag sie einer schweren Tuberkulose-Erkrankung.

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Das kleine Marktstädtchen Haworth ist während der Sommermonate ein wahrer Touristen-Magnet, vor allem für Literaturfreunde aus Fernost, denn viele Wegweiser sind in japanischer Sprache verfasst. An diesem noch sehr kühlen Frühlingsmorgen aber, an dem es uns hierher verschlägt, sind die Gassen mit den hübschen Backsteinhäuschen wie leer gefegt. Ich versuche mir vorzustellen, wie die Schwestern damals mit erhitzten Wangen und in hoffnungsvoller Erregung ihre Manuskripte unter dem Arm zum Postamt eilten, um ihre Werke zu den großen Verlegern nach London zu schicken. Für sie hing an diesen Papierbündeln so viel mehr als die Hoffnung auf eine Veröffentlichung. Es war ihre Chance, sich als Frau zu verwirklichen, gesehen zu werden, mehr aus dem Leben herauszuholen als ein Dasein hinter Herd und Wiege. Es scheint als hätte sich bis auf ein paar moderne Ladenschilder äußerlich nicht viel verändert seid die Schritte der Brontës einst über den Pflasterstein hallten, und dennoch ist die Welt inzwischen eine andere.

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Das Wohnhaus der Familie liegt direkt am Eingang des Friedhofs. Eine Erinnerung daran, dass alles unweigerlich einem Ende zugeht. Vielleicht war der stetige Blick auf die Gräber ein Anlass, die Feder schneller über das Papier gleiten zu lassen, der Nachwelt so viel zu hinterlassen wie nur irgend möglich. Es ist erstaunlich wie unverstellt und lebensecht alles im Haus selber wirkt, so als wären die Brontës eben erst zu einem Spaziergang übers Moor aufgebrochen, hätten Stifte und Papier nur kurz fallengelassen und würden gleich nach ihrer Rückkehr wieder am Esstisch Platz nehmen, um weiter zu dichten.

Doch am meisten berührt mich Branwells Zimmer. Hier sieht es aus, als hätte ein Sturm gewütet. Branwells Sturm. Das Bettzeug ist zerwühlt, überall liegen wild dahingekritzelte Skizzen verstreut. Kerzenwachs und diffuses Licht ergießen sich über die Hinterlassenschaften eines trostlosen Schicksals und erschaffen ein mehr als düsteres Stimmungsbild. Branwell und sein schamlos vergeudetes Talent berühen mich fast mehr als die leuchtende, kraftvolle Schreibkunst der Schwestern. Sie hinterließen der Welt einen unbezahlbaren Reichtum, nicht weil die Welt sie mit Möglichkeiten überschüttete, sondern weil sie stark und talentiert genug waren. Branwell aber besaß alle Möglichkeiten, doch er war schwach und blieb ein undeutlicher Schatten.

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Als wir den Heimweg antreten, fühle ich eine eigenartige Stille in mir und denke über mein eigenes Schreiben nach und wie schwer es mir an manchen Tagen fällt, etwas zu Papier zu bringen. Liegt es daran, dass mir als schreibende Frau heute viel mehr offensteht? Lässt mich diese Sicherheit träge werden?

Haworth überrascht mich an diesem Tag nicht so sehr als ein neckischer literarischer Pilgerort, sondern eher als eine mahnende Erinnerung daran, dass die größten Möglichkeiten nicht von außen dargeboten werden, sondern dass wir sie uns selbst schaffen müssen. Dass alles, was es dazu braucht, in uns bereits vorhanden ist. Vielleicht waren es immer nur die falschen Gründe, die mich zögern ließen und ich beschließe, ich schreibe fortan nicht mehr nur, weil ich kann, sondern weil ich mich glücklich schätzen kann, da Schriftstellerinen wie die Brontës einst um diese Freiheit so sehr gerungen haben.

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Und hier liegt das hübsche Haworth:



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