„In welchem Jahrhundert leben diese gewählten Parlamentarier eigentlich?“ fragt sich Michael Cashman, Chef der schwul-lesbischen Intergruppe und britischer Abgeordneter der Progressiven Allianz der Sozialisten und Demokraten im Europäischen Parlament (PASD) (zu dieser Fraktion gehört auch die SPD).
Über wen sich dieser Mann so aufregt? Warum? Die Antwort möchte uns zu ähnlichen Reaktionen aufrufen.
Die Europäischen Volkspartei (EVP) beantragte eine Debatte über den sexuellen Missbrauch von Kindern und machte diese sich zur Bühne der homophoben Entgleisungen. Mehrer Politiker der konservativen Fraktion (zu der auch CDU und CSU gehören) machten Schwule für Kindesmissbrauch verantwortlich. So der litauische EVP-Abgeordnete Vytautas Landsbergis: “homophile Pädophilie” sei das Hauptproblem und Kinder müssten deshalb vor “homosexueller Propaganda” geschützt werden. Die slowakische EVP-Parlamentarierin Anna Záborská stimmte dem zu gern zu und sprach eine Warnung vor den “erwachsenen Männern, die es auf kleine Jungs” abgesehen hätten aus. Dies ist nur eine Fortsetzung einer Reihe ihrer homophoben Äußerungen. So nannte sie Aids eine “göttliche Strafe gegen Homosexuelle”. Die EVP stellt im Europaparlament mit 265 von 736 Abgeordneten im Moment die stärkste Fraktion. Die österreichische Abgeordnete Ulrike Lunacek (Die Grünen) machte sich trotzdem stark: “Wir haben keine Angst vor der hasserfüllten Rhetorik von Leuten wie Landsbergis oder Záborská. Aber diese Leute sollten sich davor fürchten, den Bezug zur Wirklichkeit zu verlieren.”
Der Pädophilie-Vergleich scheint in den letzten Monaten ein Wettbewerb um die erschütternsten und abwegigsten Äußerungen und Ideen geworden zu sein, vor allem seit den Missbrauchsskandalen der katholischen Kirche. Kardinal Tarcisio Bertone, der zweitmächtigste Mann im Vatikan, konnte nicht umhin schwule Priester die Schuld am Kindermissbrauch zu geben und die Piusbruderschaft forderte zugleich ein “Homo-Screening” für den Priesterberuf einzuführen. Kein Grund völlig zu resignieren, denn es scheint noch Hoffnung zu geben.
In England ist der offen schwul lebende Dekan Jeffrey John in die engere Auswahl für die Wahl zum Bischof von Southwark gekommen und dies mit Unterstützung der Anglikaner-Führung und der Politik. Er lebt einem Pfarrer schon lang in einer Partnerschaft zusammen. 2006 gingen beide miteinander die eingetragene Partnerschaft ein. Dafür war John lang umstritten. So hat der Dekan von St. Albans sich bereits 2003 für einen Bischofsposten in Reading beworben, doch musste seine Bewerbung schließlich zurückzuziehen. Diesmal stehen die Chancen durchaus besser, doch Kontroversen bleiben nicht aus. Diese Woche wird die “Crown Nominations Commission” den neuen Bischof von Southwark wählen. Premierminister David Cameron und Königin Elisabeth II. sind die letzten Instanzen, welche der Nominierung für die Staatskirche zustimmen müssen. Laut “Daily Telegraph” ist von dem konservativen Premier Unterstützung für John zu erwarten, nur die Königin sei “in großer Sorge” um die Einheit der Kirche.
Die Schere zwischen der zunehmenden Gleichberechtigung von homosexuellen Partnerschaften und absoluter Homophobie scheint immer weiter auseinander zu gehen, selbst im sich so einig präsentierenden Europa. Während Island die Ehe öffnet, halten 67% der Serben_innen die gleichgeschlechtliche Liebe für eine Krankheit, 56% für eine Gefahr für die Gesellschaft und 20% befürworten Gewalt gegen Lesben und Schwule.
Die Entwicklung kann nicht vorausgesagt werden.
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