© Stefan Scherer
Das jedenfalls befürchtet wohl EU-Energiekommissar Günther Oettinger (CDU), wenn er den deutschen Ausbau der Ökoenergien vorbildlich nennt, gleichzeitig aber vor einer „schleichenden Deindustrialisierung“ Deutschlands warnt.
Nun ist Herr Oettinger ja in der Vergangenheit eher durch sein skurriles Englisch als durch herausragende Leistungen in seiner politischen Aufgabe aufgefallen, und seine Partei ist auch nicht gerade die Krone der Innovation, so weit es die Energiepolitik betrifft. Da war ja zunächst der Ausstieg aus dem Ausstieg aus der Atomenergie (schon damals gegen den allgemeinen gesellschaftlichen Konsens in Deutschland durch die Parlamente gepeitscht und mit Milliardensubventionen für die Atomlobby bedacht) – und dann der Ausstieg aus dem Ausstieg aus dem Ausstieg, ausgelöst durch die Atomkatastrophe in Fukushima, die selbst einer Naturwissenschaftlerin wie Angela Merkel die wohl atomtechnisch schwer verquollenen Augen öffnete. Muss denn wirklich erst das Nachbarkind kräftig auf die Herdplatte gefasst haben, bis „unser Mädchen“ Angie merkt, was die Stunde geschlagen hat? Und falls Fukushima nicht reicht, empfehle ich, den nächsten Urlaub in Deutschland zu verbringen: Zielvorschläge wären die Asse und Gorleben, dort bekommt man ziemlich schnell ein strahlendes Lächeln…
Apropos Fukushima: wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass die Atomenergie das „Potential“ hat, ganze (Industrie-)Nationen in, jedenfalls aber an den Rande des Abgrunds zu befördern, dann war es wohl diese Katastrophe; die japanische Wirtschaft, Gesellschaft und Volksgesundheit ist massiv getroffen, die Folgen unübersehbar, der Reaktor vor Ort weiterhin unkontrolliert – auch wenn er aus unseren Schlagzeilen verdrängt wurde durch islamischen Frühling, Kachelmann und Almserien.
Aber aus den Köpfen der Menschen scheint weder die Katastrophe in Fukushima noch die Zerstörung der Umwelt durch den Raubbau an den fossilen Energieträgern verdrängt zu sein, denn 94% der Bevölkerung in Deutschland unterstützen den Ausbau von erneuerbaren Energien. Und sie unterstützen ihn anscheinend nicht nur bei Umfragen, sondern auch tatsächlich, denn inzwischen stammen über 20% der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien – mit wachsender Tendenz und sehr häufig getragen durch Bürger, die in Genossenschaften Windräder errichten oder Solarkollektoren auf ihren Dächern installieren.
Die Politik? Sie bremst, wo sie nur kann: Milliarden werden in Förderprogramme für energetische Sanierungen gesteckt, und niemand berechnet, ob solche energetischen Sanierungen überhaupt jemals die Energie und den Ölverbrauch wieder einbringen, den sie verbrauchen, Unterstützung für den Ausbau der Gewinnung von erneuerbarer Energie wird zurückgefahren, und unser Sprachenkünstler in Europa warnt vor dem Rückfall Deutschlands ins Mittelalter: Deindustrialisierung, ein neues Angstwort macht die Runde!
Und warum: Deutschlands Stromkosten seien gefährlich hoch, so Oettinger in grandioser Verkennung der tatsächlichen Verhältnisse: Nein, nicht unsere Stromkosten sind zu hoch, sondern die bisherigen Stromkosten sind gefährlich zu niedrig gewesen – und sind es eben in vielen Ländern immer noch; sie beruhen nämlich auf einer Milchmädchenrechnung, weil man den erneuerbaren Energien sämtliche anfallenden Kosten vor ihrer Erzeugung, während ihrer Erzeugung und nach ihrer Erzeugung anlastet, während man insbesondere bei der Atomernergie, aber auch bei der Energiegewinnung aus fossilen Brennstoffen schlicht die Folgekosten nicht auf den Preis aufschlägt.
Aber damit sind die Kosten ja nicht weg, sondern sie werden einfach (heimlich) sozialisiert, d.h., sie belasten den Bürger eben nicht durch einen höheren Strompreis, sondern durch höhere Steuern, aus denen dann wiederum die Folgekosten als versteckte Subventionen der stromerzeugenden und stromverbrauchenden Industrie bezahlt werden – und deren Milliardengewinne möglich machen. Oder glaubt jemand, dass die Senkung der Mineralölabgaben nicht anderweitig wieder ausgeglichen werden müssten – oder der Rückbau der Atomkraftwerke plötzlich von den Gutmenschen aus der Atomindustrie bezahlt wird, nur damit der Steuerzahler geschont wird. Und jetzt bitte nicht darauf abstellen, dass die Atomkraftwerke nun ein paar Jahre früher dicht gemacht werden – die Milliarden für ihren Abbau „Stein für Stein“ wären in jedem Fall entstanden.
Aber warum tut Oettinger so etwas, warum macht er solche Panikmache und, obwohl er genau weiss, dass der Umbau des Energiesektors dringend notwendig ist?
Er schützt damit alte Industrien, die zum Sterben verurteilt sind – oder die sich schnellstens ändern müssen. Deutschland war einmal ein Hochtechnologieland, doch diejenigen Technologien, die uns in der Welt berühmt gemacht haben, sind diejenigen des letzten Jahrtausends. Wir müssen das einsehen und nicht nur unsere Energiewirtschaft umgestalten, sondern auch unsere Industrie insgesamt. Dies ist eine Herausforderung, aber auch eine Chance, der wir uns dringend stellen müssen. Die Bevölkerung unseres Landes hat es begriffen – wenn Herr Oettinger es nicht begreift, dann wird ihn der berühmte Satz von Mikhail Gorbatschov ereilen: „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben!“
Photo: http://www.rascherer.de/Photovoltaik.html
PS: Nicht, dass mir wieder vorgeworfen wird, ich rede viel und tue nichts: Unsere Photovoltaikanlage hat inzwischen über 13.000 Kilowattstunden produziert und dabei 7.200 Kilogramm CO2 eingespart. Zusätzlich hat der Einbau einer strombetriebenen Kühl- und Wärmeanlage in unserem aus dem Jahre 1753 stammenden Haus zu einer Verringerung des Ölverbrauchs um 2.000 Liter geführt.
Wir haben uns dafür entschieden, im Bereich der passiven Energieeinsparung nur Fenster und Türen zu sanieren und den Dachboden zu dämmen. Dadurch haben wir für die Gesamtmassnahmen einschliesslich der Klimatisierung und der Photovoltaik lediglich rund 50% der Kosten aufgewandt, die einzig und allein die komplette Passivsanierung gekostet hätte – und wir haben inzwischen Einnahmen, die unsere gesamten Stromkosten übersteigen und damit noch einen Teil des restlichen Zukaufs von Energie finanzieren. Und dabei liegt der Verbrauch an fossilen Energieträgern inzwischen sogar unter demjenigen, der uns bei einer Passivsanierung vorhergesagt worden ist. Und wir konnten nicht nur die Eigenarten eines so alten Gebäudes erhalten, sondern auch noch die Lebensqualität in dem Gebäude: das Klima im Gebäude hat sich nämlich nicht, wie in vielen energetisch sanierten Häusern (Stichwort: Schimmelbildung!), verändert.